Lost: Staffel 6 [2010]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 9. August 2020
Genre: Drama / Fantasy / Thriller

Originaltitel: Lost: Season 6
Laufzeit: 795 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2009 / 2010
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Jack Bender, Paul Edwards, Tucker Gates, Bobby Roth, Mario Van Peebles, Daniel Attias, Stephen Semel,
Musik: Michael Giacchino
Besetzung: Matthew Fox, Evangeline Lilly, Josh Holloway, Jorge Garcia, Terry O’Quinn, Naveen Andrews, Daniel Dae Kim, Yunjin Kim, Henry Ian Cusick, Emilie de Ravin, Michael Emerson, Jeff Fahey, Néstor Carbonell, Ken Leung, Zuleikha Robinson, Sam Anderson, L. Scott Caldwell, Dominic Monaghan, Elizabeth Mitchell, François Chau, Jeremy Davies, Fionnula Flanagan, Maggie Grace, Rebecca Mader, Ian Somerhalder, John Terry, Sonya Walger, Cynthia Watros


Kurzinhalt:

Es war ein waghalsiger Plan, den die verbliebenen Überlebenden des Oceanic-Fluges 815 in die Tat umsetzten. Er hätte alles in Ordnung bringen sollen, doch sind Jack (Matthew Fox), Sawyer (Josh Holloway), Kate (Evangeline Lilly) und die übrigen ihrem Ziel nicht näher gekommen. Während sie von Jacob (Mark Pellegrino) als mögliche Kandidaten auserkoren wurden, schart auch der Mann in Schwarz ein Gefolge um sich, mit dem er sein seit langer Zeit bestehendes Ziel, endlich zu erreichen hofft. Am Ende wird es an allen liegen, auch an Richard (Néstor Carbonell) und Benjamin Linus (Michael Emerson), welche von beiden Seiten siegreich sein wird. Für sie alle steht auf dieser trügerisch-idyllischen Insel nicht weniger als das Größtmögliche auf dem Spiel. Aus dem Grund ist Sayid (Naveen Andrews) bereit, alles zu tun, wohingegen Sun (Yunjin Kim) und Jin (Daniel Dae Kim) nichts sehnlicher suchen, als einander. Während Hurley (Jorge Garcia) das Wichtigste in seinem Leben bereits verloren hat, ist Desmond (Henry Ian Cusick) ein Schlüssel, das Ende herbeizuführen. Die Frage, die niemand mit Sicherheit beantworten kann ist nur, welche Seite siegreich sein wird …


Kritik:
Nach sechs Jahren schicken sich die Macher der TV-Mystery-Serie Lost an, die immens verschachtelte und gleichzeitig weit verzweigte Geschichte des Ensembles aufzulösen und gleichzeitig abzuschließen. Was in den 18 Episoden tatsächlich geschieht, vor allem, wie die Serie endet, soll das Publikum selbst erfahren. Doch es lohnt sich, zumindest einige Aspekte aufzugreifen, um zu verstehen, weshalb der Serienabschluss derart polarisierte. Das Finale in Spielfilmlänge mit etwas mehr als 100 Minuten, mit dem treffenden Titel „Das Ende“, ist auch genau das. Zumindest irgendwann. Bis dahin liefern die Macher viele Erklärungen für das Vorangegangene, verlagern den Schwerpunkt der Erzählung teilweise weg von den eigentlichen Hauptfiguren und erörtern die mysteriöse Insel an sich. Das letzte Kapitel dieser Reise ist genau dadurch nicht weniger interessant, verlangt von den Zuseherinnen und Zuseher jedoch mehr als bislang einen Glaubenssprung.

Der beginnt unmittelbar nach dem Ende der letzten Staffel, die mit einem unvorhergesehenen Twist das Publikum auf die Folter spannte. Nachdem die Serie bislang parallel zu den Ereignissen der Überlebenden des Absturzes auf der Insel in Rückblicken deren Vergangenheit beleuchtete, dann zeigte, was zumindest einige von ihnen danach erlebten, beginnt die letzte Staffel mit Eindrücken des Oceanic-Fluges 815, der im Jahr 2004 unversehrt in Los Angeles landet. Wer nun jedoch vermutet, dass alles, was bis dahin geschehen ist, rückgängig gemacht worden wäre, der irrt. Denn früh stellt sich heraus, dass die vertrauten Personen, die aus dem Flugzeug steigen, nicht das Leben gelebt haben, das man bereits kannte. Über die 18 Folgen hinweg wird ihr Weg in Los Angeles gezeigt, der am Ende an einen Punkt führt – und der sie wie gehabt miteinander verbindet. Beim Zusehen mag man vermuten, dass dies eine alternative Realität wäre, ein „was-wäre-wenn“-Szenario, doch auch das trifft nicht wirklich zu. Vielleicht ein bisschen.
Es soll genügen zu sagen, dass was diese zweite große Erzählebene ist, am Ende aufgelöst wird. Und sie ergibt durchaus Sinn, wenn man die Serie als das sieht, was sie zumindest ab der Hälfte andeutete, sein zu wollen.

In den ersten Jahren war die Vermutung zumindest groß, Lost wäre eine Drama-Serie mit Science-Fiction-Elementen. In den letzten Staffeln deutet sich jedoch an, dass der Erzählung ein bedeutend größerer Fantasy-Aspekt innewohnt, als man anfangs vermuten würde. Insoweit ist es nur konsequent, dass die Macher diesen Weg schließlich auch zu Ende gehen. Die Mythologie, die sie aufbauen, ist auch in sich stimmig, nicht obwohl, sondern gerade weil sie nicht alles erklärt. Auch mit den letzten Episoden, wenn sich „Seit Anbeginn der Zeit“ ausschließlich um die Figur von Richard Alpert dreht, oder in „Über das Meer“ Jacob und der Mann in schwarz beleuchtet werden, sind diese Erläuterungen ausreichend, um ein Verständnis für die Zusammenhänge zu schaffen, die Lücken jedoch groß genug zu belassen, um die Mystik derselben nicht zu verlieren. Nicht zuletzt mit dem Ursprung und der Natur der Insel, die seit langem unausgesprochen über der Geschichte schweben, halten sich die Macher Vieles offen.

Das letzte Jahr ist umso mehr geprägt von dem Kampf Gut gegen Böse, die in jenem malerischen Paradies aufeinander treffen und am Ende dasselbe wollen, aber aus unterschiedlichen Gründen und mit verschiedenen Ergebnissen. Bis es schließlich soweit ist, schließt die Serie mit vielen Figuren ab und wenn kurz vor dem Finale der einst so fröhliche und aufmunternde Hurley in Tränen aufgelöst am Strand sitzt, könnte es die Stimmung des Publikums kaum besser auf den Punkt bringen. Dass das Schicksal der Charaktere in Lost so nahegeht, liegt gerade daran, dass die Figuren allesamt derart gelungen ausgearbeitet sind. Teilweise getrennt seit mehr als zwei Staffeln, würde man ihnen wünschen, dass sie endlich zusammenfinden und ihre Reise einen guten Abschluss findet. Doch der Weg, den die Autorinnen und Autoren für sie bereithalten, könnte hoffnungsloser kaum sein. Sie in der anderen Erzählebene zu sehen, was sie nach der Landung in Los Angeles erleben, macht die emotionale Achterbahnfahrt nur noch größer.

Davon profitiert nicht zuletzt auch die Besetzung, die bislang stets gefordert war, hier aber stellenweise am Ende ihrer Kräfte angekommen scheint. Zu sehen, wie sich die Darstellerinnen und Darsteller gegen das Unausweichliche stemmen, sie mit letzter Kraft darum bemüht sind, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, ist schlicht beeindruckend. Egal, ob die am meisten im Fokus stehenden Figuren von Matthew Fox, Evangeline Lilly, Josh Holloway, Jorge Garcia oder Terry O’Quinn, oder Naveen Andrews als Sayid, Daniel Dae Kim oder Yunjin Kim, sie alle spielen schlicht fantastisch. Ergänzt werden sie von Henry Ian Cusick und Michael Emerson, die erneut zu den Highlights der Serie zählen, aber auch Emilie de Ravin, Néstor Carbonell und Jeff Fahey tragen immens zum Gelingen der letzten Staffel bei. Zu sehen, wie sie alle, und andere bekannte Gesichter, erneut Momente zugeschrieben bekommen, in denen sie glänzen dürfen, ist ein großer Service für die Fans und rundet Lost außergewöhnlich gut ab.

Handwerklich unterscheidet sich die aufwändig produzierte Serie nicht von großen Hollywood-Kinoproduktionen. Auch 20 Jahre später nicht. Die Handschrift der einzelnen Menschen hinter der Kamera ist zwar spürbar, sie alle tragen jedoch dazu bei, Lost zu einem stimmigen Gesamteindruck zu verhelfen, der gerade beim Finale auch von den hochwertigen Trickeffekten profitiert. Ein unschätzbarer Aspekt, der die Serie prägt und gleichzeitig auszeichnet, ist die musikalische Untermalung von Michael Giacchino. Seine Kompositionen vereinen alle Charakteristika der Mystery-Serie, angefangen vom Drama, über die unglücklichen Liebesbeziehungen, bis hin zu den mystischen Elementen. Gerade seine Themen sorgen in den letzten Episoden dafür, dass sich regelmäßig ein Kloß im Hals des Publikums bildet.

Die Frage, die sowohl Interessierte als auch diejenigen beschäftigen dürfte, die die Serie bereits gesehen haben, ist, ob und wenn ja, wie der Abschluss der Serie für diesen Kritiker gelungen ist. Darauf eine Antwort zu geben, ist nicht einfach, ohne Details zu verraten, die hier nicht verraten werden sollen. Vieles hängt wie so oft davon ab, was das Publikum erwartet. Betrachtet man die vielen verschiedenen Elemente, die Lost in den sechs Jahren aufgegriffen hat, von der seltsamen Insel an sich, gewissermaßen unsterblichen Figuren oder dem Dharma-Projekt und seinen Experimenten, dann gibt es Vieles, was die Macher hier zu einem Abschluss bringen sollen. Auf Manches gibt das kurze TV-Special „The New Man in Charge“ Antwort, das als Bonus-Material auf der Heimvideoveröffentlichung enthalten ist und gewissermaßen als Epilog dient. Insgesamt ergibt, innerhalb der Regeln, die die Macher der Serie aufgestellt haben, was geschehen ist, durchaus Sinn. Das heißt nicht, dass man mit dem grundsätzlichen Verlauf der Geschichte einverstanden sein muss.
Doch betrachtet man beispielsweise die prominent in Szene gesetzte Glasmalerei in der Kirche beim Finale, dann wird deutlich, worum es in der Serie an sich geht. Anstatt eine vollkommen absurde Erklärung zu finden, die die Geschehnisse der gesamten Serie zunichtemacht, erhält Lost einen wirklichen Schluss, der sowohl traurig stimmt als auch hoffnungsvoll. Das Opfer der Figuren war damit nicht umsonst und sie alle vereint zu sehen, ist ein gelungener Abschluss, wenn auch keiner, der alle zufriedenstellen wird. Trotzdem, insgesamt ist „Das Ende“ womöglich der beste Schluss, den die Geschichte finden konnte. Dass hier ausgerechnet Jack, der zentrale Held der Serie, der immer darum bemüht ist, allen zu helfen und alles in Ordnung zu bringen, die Hilfe all derer annehmen muss, die mit ihm auf der Insel bruchlandeten, um gerettet zu werden, bringt vor allem seine Entwicklung zu einem fantastischen Abschluss. Blickt man auf die vergangenen Jahre oder auch nur den Beginn der letzten Staffel zurück, dann ist durchaus erkennbar, dass das Ende nicht in den letzten Stunden entschieden wird, sondern lange vorbereitet wurde. Allein für diesen Weitblick und das Durchhaltevermögen verdienen die Macher Anerkennung.


Fazit:
Es ist ein ungewöhnlicher Schritt, den die Macher im letzten Jahr von Lost gehen, wenn sie sich für ein Ende entscheiden, das die Gruppe zuvor auseinanderreißt und sie am Schluss doch gewissermaßen vereint. Gerade diese zahlreichen Opfer sind es, die das Publikum fesseln. Wenn Figuren, die man über Jahre kennen und lieben gelernt hat, die Geschichte verlassen müssen, schweißt es den Rest nur umso mehr zusammen. Man würde es kaum für möglich halten, dass es für die meisten, sonderbaren Dinge, die auf jener Insel geschehen, eine Erklärung gibt, doch im Lauf der 18 Episoden liefert die Serie zumindest eine Mythologie, die in sich schlüssig erscheint. Damit driftet die Erzählung zwar bewusst in Richtung Fantasy, doch war dieser inhaltliche Wechsel bereits vor einigen Jahren absehbar. Insofern kommt das eigentliche Ende auch nicht vollkommen überraschend. Dass es nicht bis ins letzte Detail erklärt wird, ist kein Kritikpunkt. Vielmehr behält man sich auf diese Weise die Mystik, die die Serie lange Zeit geprägt hat. Dass alle Charaktere nochmals ins Zentrum gerückt werden, schließt am Ende den Kreis, der buchstäblich dorthin zurückführt, wo alles begann. Staffel 6 ist wie gewohnt hochwertig produziert, von allen Beteiligten hervorragend gespielt und inhaltlich ebenso mutig wie gelungen, sofern man sich auf den Abschluss einlässt und gleichzeitig im Hinterkopf behält, dass auf diese Weise die Reise der Figuren nicht umsonst war – und nicht notwendigerweise zu Ende ist.
Insgesamt unterstreicht Lost durch das Ende den Eindruck einer in sich stimmigen, aufwändig produzierten und packenden Drama-Serie, dessen Ensemble stets preiswürdig gefordert ist. Diese Serie schrieb zurecht TV-Geschichte und ist immer noch eines der besten Beispiele für mitreißende Unterhaltung, die Mystery und Mystik kombiniert. Mag sein, dass die Macher das immens hohe Tempo der ersten Staffel nicht aufrechterhalten konnten. Doch die Verbindungen, die sie innerhalb der facettenreichen Figuren geschaffen haben, sind es, die das Publikum bis zuletzt in die Story investiert halten. Das ist ein Kunststück, das nur wenigen Geschichten gelingt. Auch als Teil des Publikums darf man sich hier glücklich schätzen.