Life Itself [2014]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 16. August 2014
Genre: Dokumentation / BiografieOriginaltitel: Life Itself
Laufzeit: 121 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2014
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt
Regie: Steve James
Musik: Joshua Abrams
Personen: Roger Ebert, Chaz Ebert, Martin Scorsese, Werner Herzog, Errol Morris, Ramin Bahrani, Gene Siskel, Marlene Siskel, Ava DuVernay, A.O. Scott, William Nack, Stephen Stanton (Stimme)
Kurzinhalt:
Als Roger Joseph Ebert im Frühjahr 2007 zum ersten Mal seit beinahe einem Jahr auftrat, sahen sich die Zuschauer auf dem von ihm initiierten Filmfestival Ebertfest einem ganz anderen Menschen als in den Jahren zuvor gegenüber. Die letzte Krebsoperation hatte ihn nicht nur an öffentlichen Auftritten in der bekannten Fernsehshow gehindert, sondern ihm auch seine Stimme geraubt. Mit seiner Erkrankung ging der meist gelesene Filmkritiker der USA offen um, darunter in einem ausführlichen Artikel des Esquire von Chris Jones mit dem Titel "Roger Ebert: The Essential Man". Dokumentarfilmer Steve James beleuchtet das Leben des Mannes, durch den die Bezeichnung "Daumen hoch" als Filmwertung international ein geflügelter Begriff geworden ist.
Kritik:
Am 4. April 2013 verlor die Filmwelt ihren einflussreichsten Kritiker und ihren größten Fürsprecher. Roger Ebert war schon lange vor diesem Zeitpunkt mehr als nur eine bekannte Showgröße in den USA. Er hatte früher als die meisten anderen die sozialen Medien entdeckt und darüber hunderttausende Menschen überall auf der Welt angesprochen. Filmemacher Steve James wirft in Life Itself einen Blick auf den Werdegang dieses Mannes, der trotz oder gerade auf Grund seiner schweren Krankheit nie aus den Augen verlor, was für ein wundervolles Geschenk das Leben ist.
Basierend auf Eberts gleichnamiger Autobiografie aus dem Jahr 2011 begannen die Dreharbeiten wenige Monate vor seinem Tod. Viele Einstellungen zeigen den "Alltag" des damals bereits 70jährigen, der nach mehrfachen Krebserkrankungen und zahlreichen Operationen erneut ins Krankenhaus eingeliefert wurde und später eine Rehabilitationsbehandlung über sich ergehen lassen musste. Sieht man ihn in diesen Bildern, hat er rein äußerlich nur wenig mit der Figur gemein, die in den 1960er Jahren als jüngster Filmkritiker einer überregionalen Zeitung bei der Chicago Sun-Times ihre Karriere begann. Auf Grund einer Krebswucherung musste sein Unterkiefer entfernt werden, seither konnte er nicht mehr sprechen, essen oder trinken. Durch den offenstehenden Mund sieht es so aus, als wäre er immer fröhlich, auch wenn seine Augen eine andere Sprache sprechen. Wirft James einen Blick zurück auf Roger Eberts Leben, auf die erfolgreiche Fernsehshow, die ihn zusammen mit seinem Konkurrenten Gene Siskel berühmt gemacht hat, dann sieht man zuerst seine Leibesfülle und hört seine temperamentvoll streithafte Persönlichkeit. Spätestens dann kommt in uns die Frage auf, wie viel von dieser Person nun noch im Krankenbett liegt.
Angesichts dieses Schicksals und des absehbaren Ausgangs seines Kampfes gegen den Krebs, würde es nicht wundern, wenn Life Itself sich auf Roger Eberts Einfluss, auf seine guten Seiten, konzentrieren würde. Doch findet die Dokumentation auch Zeit, den anderen Teil dieses Mannes zu beleuchten, der lange Zeit alkoholabhängig war, ehe er sich von dieser Sucht lossagen konnte. Auch wird gezeigt, mit welch sturer Vehemenz er in Konkurrenz zu Gene Siskel stand. Dass ihre gemeinsame Show insbesondere später von dieser Energie leben würde, konnte in den frühen Tagen, in denen ihr Umgang bedeutend rauer war, noch niemand erahnen. Ebenso wenig, welche Auswirkung sie auf die übrige Zunft der Filmkritiker in den USA haben sollten. Aussagen von Weggefährten nach, war Ebert nicht immer ein einfacher Mensch. Die Tatsache, dass er im Jahr 1975 den Pulitzerpreis gewann und er dies sein Gegenüber mitunter auch spüren ließ, zählt hier ebenfalls dazu. Doch in der Krankheit fand seine Sturheit einen Gegner, der sich nicht besiegen lässt.
Die Schattenseiten, die Steve James hier ebenso unverblümt aber würdevoll zeigt wie auch die Krebserkrankung, die Ebert im letzten Jahrzehnt seines Lebens prägte und ihm mitunter sogar seinen Lebenswillen nahm, vervollständigen eine Persönlichkeit, die Interessierte bereits einige Jahre lang kennenlernen konnten. Doch auch wer seinen persönlichen Gedanken in seinem Blog gefolgt ist, ihn in Life Itself privat zu erleben, besitzt ein anderes Gewicht und rückt seine Worte in ein anderes Licht. Woher er trotz der Tatsache, dass jede Bewegung schmerzte und ihn anstrengte die Kraft zum Schreiben nahm, macht die Dokumentation in seiner Liebe zu Chaz Ebert, der Frau seines Lebens, sehr greifbar. Sie scheint diejenige gewesen zu sein, dank der er zwar nicht weniger beharrlich in seinen Meinungen, aber weniger absolut in seiner Argumentation dorthin geworden ist. Ihr Umgang miteinander besitzt eine Anmut und ein Verständnis für den anderen, das selbst die Krankheit in ihre Schranken zu weisen scheint.
Hört man Filmemacher wie Werner Herzog, Martin Scorsese oder Ramin Bahrani über den Mann sprechen, der ihre Werke lobte, wenn sie herausstanden, aber auch tadelte, wenn sie es nicht taten, dann klingt ihren Worten ein Respekt nach, als würden sie über eine unnahbare Ikone sprechen. Chaz gab vor Fertigstellung der Dokumentation den Wunsch ihres Mannes weiter, dass er einen Film über den Mann und nicht die Ikone sehen wollte. Der Wunsch wird ihm mit Life Itself fraglos erfüllt. Es macht die Biografie vermutlich noch berührender und stellenweise trauriger, als sie ansonsten geworden wäre.
Fazit:
Sieht man die einst massige Person von Roger Ebert in den Rollstuhl versunken, gezeichnet von einer unerbittlichen Krankheit, weckt das tiefes Mitgefühl mit ihm und seiner Familie. Doch Filmemacher Steve James gelingt mit Life Itself mehr als nur diese Perspektive. Er lenkt sie auf den Menschen hinter dem Namen, zeigt seine Leidenschaft und damit den Ursprung seines Lebenswillens. Einzig über sein berufliches Schaffen in den letzten 15 Jahren schweigt sich die Dokumentation großteils aus.
Zu hören, wie der Sprachcomputer mit losgelöster Roboterstimme Eberts Gedanken darüber wiedergibt, dass er die Veröffentlichung des Filmes vermutlich nicht erleben wird, lässt einen leicht den Gesichtsausdruck des lebenserfahrenen Mannes übersehen, der keine Furcht vor dem Tod verspürt und keine Wut angesichts seiner gesundheitlichen Situation. Das berührende, melancholische und bewegende Porträt feiert das Leben von Roger Ebert. Der Tod ist Teil eines jeden Lebens, aber es ist was bis dahin geschieht, das es lebenswert macht. Gerade in seinem Fall ist das so inspirierend wie ermutigend und sehr sehenswert, nicht nur für Kenner seines Lebenswerkes.