Let Me In [2010]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 11. Juni 2012
Genre: Drama / Horror / FantasyOriginaltitel: Let Me In
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Matt Reeves
Musik: Michael Giacchino
Darsteller: Kodi Smit-McPhee, Chloë Grace Moretz, Richard Jenkins, Cara Buono, Elias Koteas, Sasha Barrese, Dylan Kenin, Chris Browning, Ritchie Coster, Dylan Minnette, Jimmy 'Jax' Pinchak, Nicolai Dorian, Rebekah Wiggins
Kurzinhalt:
Los Alamos, New Mexico im Winter 1983. Der zwölfjährige Owen (Kodi Smit-McPhee) lebt mit seiner Mutter (Cara Buono) in einer Wohnsiedlung und hat außer der Schule kaum Kontakt mit anderen Kindern. Dort wird er oft gehänselt, insbesondere Kenny (Dylan Minnette) hat es mit seinen zwei Helfershelfern auf ihn abgesehen. Dann sieht Owen eines Abends durch sein Fernrohr, mit dem er die Nachbarn immer wieder beobachtet, wie neue Nachbarn einziehen.
Wenig später sieht er auf dem Hinterhof die gleichaltrige Abby (Chloë Grace Moretz), die ihm aber gleich sagt, dass sie keine Freunde sein können. Dennoch verbringen sie immer mehr Zeit miteinander und Owen erzählt Abby sogar, wie er in der Schule misshandelt wird – etwas, das er selbst vor seiner Mutter verschweigt. Dass Abby anders ist, erkennt Owen schon daran, dass er sie nie in der Schule sieht, oder am Tag. Sie ist meist auch barfuß unterwegs, obwohl der Schnee knöchelhoch liegt. Abbys Vater (Richard Jenkins) ist nachts immer wieder unterwegs und bald stellt ein Polizist (Elias Koteas) immer mehr fragen. Je mehr sich Owen Abby anvertraut, umso bedingungsloser akzeptiert er sie. So steuern alle Beteiligten auf eine Tragödie zu ...
Kritik:
Produzent Simon Oakes gab in einem Interview an, dass er John Ajvide Lindqvists Roman So finster die Nacht [2004] trotz der international erfolgreichen Verfilmung aus dem Jahr 2008 erneut für den amerikanischen Markt auf die Leinwand bringen wollte, weil der Film dort bisher nur einem kleinen Publikum vorbehalten war. Zusammen mit Regisseur Matt Reeves gelingt ihm mit Let Me In eine leichter zugängliche Interpretation des bekannten Stoffes, die aber nach wie vor darunter leidet, dass sie keine wirklichen Sympathiefiguren bietet – zumindest keine, die am Ende noch am Leben sind. Und eine Schlüsselszene, die notwendig wäre, den Leidensweg eines Charakters begreiflich zu machen, ist im Film gar nicht vorhanden, sondern lediglich als Gelöschte Szene auf der Heimvideoveröffentlichung.
An welches Publikum sich das düstere Fantasy-Drama dabei richtet ist immer noch schwer einzuschätzen. Auf Grund der grafischen Gewaltdarstellungen sind Kinder und Jugendliche außen vor und ob sich erwachsene Zuseher für eine Geschichte interessieren, bei der zwei Kinder die Hauptrollen einnehmen, ist fraglich. Wie wenig die Erwachsenen eine Rolle spielen geht sogar so weit, dass das Gesicht der Mutter von Protagonist Owen gar nie zu sehen ist. Von welcher Seite aus der Kontakt als erstes abgebrochen ist, erfährt man nicht. Aber sie scheint kein Teil seines Lebens zu sein und selbst sein Vater versteht ihn nicht, wenn er sich an ihn wendet. Dabei hat Owen zumindest zu Beginn ganz normale Probleme eines 12jährigen: In der Schule wird er von Kenny und seinen zwei Gehilfen soweit gehänselt, dass es sogar bis zur Misshandlung reicht. Woher Kennys Bösartigkeit stammt erfährt man in einer kleinen Szene, die treffend die alltägliche Gewaltspirale auf den Punkt bringt. Owen hat keine Freunde, seine gottesfürchtige Mutter scheint sich lieber in den Schlaf zu trinken, anstatt ihm zuzuhören und so verwundert es nicht, dass Owen sich der neu in die Nachbarschaft gezogenen Abby anvertraut, die selbst im tiefsten Schnee barfuß auf dem Hinterhof steht. Owen hat sie beobachtet, wie sie mit ihrem Vater mitten in der Nacht eingezogen war und kann ihre Gespräche stellenweise durch die Wand seines Zimmers hören, auch wenn er sie nicht deuten kann. Durch seine Augen und Ohren setzt sich ein Puzzle zusammen, das man glaubt zu verstehen, selbst wenn man viele Lücken dabei durch Mutmaßungen auffüllt. Let Me In verzichtet darauf, die eigentlichen Zusammenhänge zwischen Abby und ihrem Vater zu erläutern, auch wenn manche Andeutung in den Dialogen gemacht wird.
Wie die Beziehung zwischen Abby und Owen weiter verläuft sollten interessierte Zuseher selbst herausfinden. Je mehr man darüber weiß, umso länger erscheint der Mittelteil, der sich hauptsächlich auf die Entwicklung jener Figuren konzentriert. Man sollte sich im Nachhinein jedoch überlegen, wer hier wen manipuliert und letztlich sogar rekrutiert. Es rückt manche Charaktere in ein ganz anderes Licht.
Wovon Let Me In, abgesehen von den schattierten, wenn auch nicht sehr sympathisch gezeichneten Figuren, außerdem noch lebt ist die handwerkliche Umsetzung durch Matt Reeves, dem mit dem dokumentarisch angehauchten Science Fiction-Film Cloverfield [2008] eine der innovativsten Genrebeiträge gelang. Sein beeindruckendes Gespür für Perspektiven und Bildkomposition erkennt man bereits in den ersten paar Minuten, die zusammen mit dem unterschwellig kraftvollen Score von Michael Giacchino eine Stimmung aufbauen, der man sich kaum entziehen kann. Nicht nur, dass das Publikum nur gezeigt bekommt, was es sehen soll, es finden sich hier viele Einstellungen, die im Gedächtnis bleiben. Vom gescheiterten Angriff auf den Beifahrer im Auto, bis hin zu Owens endgültiger Entscheidung für Abby, indem er die Badtür verschließt: Die Bildgewalt ist umwerfend.
Dass Reeves außerdem der Versuchung widersteht, den Gewaltgrad für das amerikanische Publikum weiter anzuheben, sondern weiterhin den Großteil in den Köpfen der Zuseher zum Leben erweckt, ist ihm anzurechnen und macht manches des Gezeigten auch erst ertragbar. Doch selbst die anvisierten erwachsenen Zuschauer werden mit der ungewohnten Balance zwischen Fantasy, Horror und Drama ihre Zugangsschwierigkeiten haben. Dabei ist der Film bemerkenswert gespielt und erstklassig umgesetzt. Auch die Verlagerung des Schauplatzes aus Schweden in die USA, jedoch in der gleichen Zeit wie die Romanvorlage, ist tadellos gelungen. Am Ablauf der Geschichte gibt es nichts zu bemängeln, es sind vielmehr die Figuren selbst, die man zwar versteht, aber zu denen man dennoch keine Verbindung aufbauen kann. So entschuldigen alle Hänseleien, die Owen erduldet, nicht, wovor was er wissend die Augen verschließt. Hat Owen bei dem Telefonat mit seinem Vater, bei dem er fragt, ob es das Böse gibt, prophetisch vielleicht sogar sich selbst gemeint? Was ist schlimmer, Böses zu tun, oder Böses zuzulassen?
Fazit:
So ruhig wie die Szenen aufgebaut werden erinnern sie an ein Talent, das M. Night Shyamalan früher zeigte, wenn auch meist nicht so durchgängig oder abwechslungsreich. Regisseur Matt Reeves erzählt sein ruhiges Horror-Drama durch erstklassige, bedeutungsstarke und beeindruckende Bilder, die nachwirken. Er findet Perspektiven, die Interesse wecken und lässt auf glaubhafte Weise das Jahr 1983 wiederauferstehen. Doch so bestechend die Optik von Let Me In ist, und so hervorragend die jungen Schauspieler Kodi Smit-McPhee und Chloë Grace Moretz, ergänzt von einem ebenso erstklassigen Elias Koteas, die Charaktere verkörpern, man sucht eine Identifikationsfigur vergebens.
So ist ihr Schicksal zwar mitunter bewegend, die unausweichliche Tragödie tragisch und auch die Spirale, die sich immer wieder neu entfacht deutlich zu sehen, aber man sieht kein Potential, daraus auszubrechen. Als Charakterbeobachtung ebenso gut gelungen wie als Milieustudie durch das Zeitkolorit, besticht der Film durch seine beunruhigende und überzeugende Atmosphäre. Aber nur für ein erwachsenes Publikum und nur, wenn man sich auf die bedachte Erzählweise einlässt.