Keiner werfe den ersten Stein [2002]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. Februar 2003
Genre: Krimi

Originaltitel: The Inspector Lynley Mysteries: Payment in Blood
Laufzeit: 90 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: -

Regie: Kim Flitcroft
Musik: Robert Lockhart
Darsteller: Nathaniel Parker, Sharon Small, Lesley Vickerage, Ronald Pickup, Jonathan Firth, Julian Wadham


Kurzinhalt:
Auf dem Anwesen von Sir Stuart Stinhurst (Ronald Pickup) proben die Darsteller eines neuen Stücks gerade das jüngste Drehbuch, als die Autorin ermordet wird. An den Tatort gerufen werden die Polizisten Barbara Havers (Sharon Small) und Thomas Lynley (Nathaniel Parker), der mit einer der Verdächtigen, Helen Clyde (Lesley Vickerage) eine Vergangenheit hat.
Als sie am Tatort ankommen, müssen sie feststellen, dass die Beziehungen zwischen den Verdächtigen – einer Handvoll Leute, die gemeinsam an einer Soap-Opera beteiligt sind – beinahe wie in einer solchen Fernsehserie verworren sind. Der Mordfall scheint mit den neuesten Drehbuchänderungen der Autorin zu tun gehabt zu haben – und mit Selbstmord einer Frau aus dem benachbarten Dorf.
Lynleys persönliche Gefühle für Helen sind der Aufklärung des Falles allerdings nicht unbedingt dienlich.


Kritik:
Romanautorin Elizabeth George schickte in diesem Mordfall ihre beiden Helden in ein kammerspielähnliches Szenario, bei dem die Gruppe der Verdächtigen auf engstem Raum miteinander gefangen ist, und sich die Ermittler nicht nur einer Mauer des Schweigens gegenüber sehen, sondern auch einer Vielzahl von Spuren – es gibt auf den ersten Blick einfach zu viele Verdächtige und zu viele "Motive", als dass ein einzelner Täter dabei übrig bleiben könnte.
Doch einmal mehr ist ein Teil des Ermittlerduos privat involviert und einmal mehr wird die Hintergrundgeschichte um Barbara Havers und ihre kranke Mutter nur am Rande weiterentwickelt, anstatt dass dieser Handlunsstrang endweder ganz fallen gelassen wird, oder richtig ins Zentrum rückt.

Doch als Hauptproblem des Films erweisen sich nicht die Darsteller, die ansich ganz gut sind, auch nicht die lustlose Synchronisation, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Fall selbst nicht interessant ist. Da mag es noch so viele Verwirrungen und Verstrickungen geben, der Zuschauer ist zwar immer wieder versucht, mitzuraten, wer der Täter ist; und doch ist die Auflösung auf Krampf überraschend. In den letzten Minuten wird ein Mörder präsentiert, dessen Zusammenhang mit dem Opfer in wenigen Sätzen erklärt wird. Ein wahres Katz-und-Maus-Spiel wie in der Krimireihe Columbo gibt es nicht, die Ermittler befragen einen nach dem anderen, legen damit aber weder Nerven blank, noch wecken Interesse. Dafür baut das Geschehen nicht genug Spannung auf, bis der zweite (obligatorische) Mord geschieht, vergeht zu viel Zeit, als dass eine Bedrohung für die übrigen Verdächtigen entstehen könnte.
Der Hauptverdächtige ist nach Schema F der Krimihandbücher selbstverständlich nicht der Täter – oder doch?

Ein Hauptproblem der Lynley-Reihe ist und bleibt die Tatsache, dass die einzelnen Szenen viel zu kurz sind. Da stürmt ein aufgebrachter Polizist in ein Zimmer und will jemanden befragen, die eigentliche Szene ist aber dann keine 20 Sekunden lang.
Dialoge gibt es genau genommen nicht wirklich, viel mehr stellt einer der Gesprächspartner eine Frage und der andere antwortet darauf mit einem 30 sekündigen Monolog. Das mag in Romanform funktionieren und ist da sogar bisweilen notwendig, aber für Filmdialog ist das zu wenig. Die Gespräche wirken wie angerissen, als würde die eigentliche Substanz fehlen und die entscheidenden Fragen nie gestellt.

Unglaubwürdig ist auch das Verhalten der Beteiligten; während die Jugendlichen panisch auf die Situation reagieren, bleiben die Erwachsenen ruhig und gelassen und meinen im gelangweilten Tonfall "einer von uns muss ein Mörder sein". Mit einer solchen Person in einem Raum eingesperrt zu sein – und das auf längere Zeit – scheint ihnen nichts auszumachen.

Neue Facetten bei Lynley und Havers sucht man ebenfalls vergebens, auch wenn sich hier herauskristallisiert, welche Rolle die einzelnen Figuren im Team übernehmen sollen: Im Gegensatz zum gewohnten Genre-Einerlei, ist Havers hier die impulsive, aufbrausende Kraft, stets mit einem frechen Spruch auf den Lippen, während Lynley der zurückhaltende Kopf ist, der auch bedeutend mehr an der Lösung des Falles arbeitet. Ihm fallen die Erkenntnisse wie Schuppen von den Augen, lange bevor sein weiblicher Partner dahinter kommt.
In dieser Hinsicht kann das Gespann durchaus überzeugen, auch wenn manche Antworten von Barbara Havers etwas zu überspitzt sind, hin und wieder beinahe taktlos.
Als neuer Charakter der Serie wird Helen Clyde eingeführt, die in den kommenden Filmen noch öfter auftreten wird. Sie selbst spielt nicht schlecht, ihre Motivation wird allerdings nie deutlich.

Das Drehbuch lässt leider viel vermissen, was man von einem guten Krimi erwarten würde, insbesondere der Erzählfluss ist durch die unausgegorenen und nicht ausgenutzten Handlungsebenen mehr als nur zähflüssig. Den Dialogen fehlt es an Pointen und an Feuer, auch in hektischen Gesprächen kommt für den Zuschauer keine mitreißende Stimmung auf.
Ebenso ergeht es der Dramaturgie, die den klaustrophobischen Schauplatz nicht zu nutzen vermag. Kamera und Schnitt gerieten bestenfalls durchschnittlich und wirken mancherorts aufgesetzt hektisch. Gespräche sind meist nicht mit einer ruhigen Stativkamera eingefangen, sondern vermitteln mittels Handkamera ein überflüssiges Geschwindigkeitsgefühl, das wohl die fehlende Spannung ausgleichen soll.
Die Musik hinterlässt keinerlei erinnernswerte Melodien und stört ab und an sogar die Szenen selbst.
Nicht einmal die Darstellerleistungen können voll und ganz überzeugen. Während die drei Hauptcharaktere routiniert, wenn auch nicht begeistert spielen, erscheinen die anderen überzeichnet aufgeregt oder ruhig, bis auf wenige Ausnahmen kein Glanzlicht.

Das Problem an Keiner werfe den ersten Stein, abgesehen vom unpassenden deutschen Titel, ist sicherlich der Fall, der weder mitreissen kann, noch besonders originell gestaltet ist. Die Verstrickungen zwischen den Beteiligten mögen im Roman darüber hinwegtäuschen, im Fernsehfilm ist davon allerdings nicht viel übrig geblieben.


Fazit:
Nach dem interessanten Auf Ehre und Gewissen [2002] gibt es bei diesem Lynley-Rätsel leider wieder nur Hausmannkost; das Zweigespann ist nicht interessanter geworden, neue Hintergründe hat man nicht wirklich erfahren (abgesehen von Helen Clyde) und der Fall im schmucken Haus reißt nach Jahrzehnten voller Krimis nun wirklich niemanden mehr vom Hocker.
Krimifans sei der Roman Mord im Orient-Express von Agatha Christie empfohlen; der bietet einen fantastischen Mordfall mit einer wirklich überraschenden Auflösung – die zudem einen Sinn ergibt.