Kandahar [2023]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. August 2023
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: Kandahar
Laufzeit: 119 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Ric Roman Waugh
Musik: David Buckley
Besetzung: Gerard Butler, Navid Negahban, Travis Fimmel, Ali Fazal, Bahador Foladi, Nina Toussaint-White, Vassilis Koukalani, Mark Arnold, Tom Rhys Harries, Corey Johnson, Ravi Aujla, Ray Haratian, Olivia-Mai Barrett, Rebecca Calder


Kurzinhalt:

Dem für den US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst tätigen, britischen Agenten Tom Harris (Gerard Butler) gelingt es zusammen mit seinem Kollegen Oliver Altman (Tom Rhys Harries), das nahe der iranischen Stadt Qom in einer unterirdischen Anlage befindliche Urananreichungsprogramm zu sabotieren. Der Schaden, auch der Ansehensverlust, ist immens, so dass die iranische Führung alles daran setzt, die Verantwortlichen aufzuspüren. Währenddessen wird Tom von seiner CIA-Kontaktperson Roman Chalmers (Travis Fimmel) auf eine weitere Mission im benachbarten Afghanistan entsandt. Dort soll er mit dem Übersetzer Mohammad Doud (Navid Negahban) zur Grenze zum Iran reisen. Doch eine Veröffentlichung von Geheimmaterial, das Toms Beteiligung an der Sabotage des Nuklearreaktors offenlegt, lässt seine Tarnung auffliegen. Mit Mohammad im inzwischen unter Führung der Taliban international isolierten Afghanistan auf sich gestellt, sollen sie von einem Flughafen in Kandahar aus evakuiert werden. Doch der Weg dorthin ist weit und ihnen bleibt kaum Zeit, zumal ihnen nicht nur iranische Eliteeinheiten unter der Leitung von Farzad Asadi (Bahador Foladi) auf den Fersen sind, sondern auch der gut vernetzte und skrupellose Kahil Nasir (Ali Fazal), Agent des pakistanischen Geheimdienstes …


Kritik:
In ihrer dritten Zusammenarbeit, Kandahar, erzählen Filmemacher Ric Roman Waugh und Hauptdarsteller bzw. Produzent Gerard Butler eine Geschichte, die einerseits so bekannt wie andererseits greifbar realistisch klingt. Doch ist es am Ende gerade der authentische Hintergrund, den Drehbuchautor Mitchell LaFortune auf seinen eigenen Erfahrungen basiert, der den Action-Thriller eben dessen beraubt, was ihn an sich ebenso auszeichnen sollte: Eine temporeiche, mitreißende Erzählung.

Angesiedelt im Nahen bzw. Mittleren Osten, steht der vom britischen Geheimdienst MI6 an die CIA ausgeliehene Agent Tom Harris im Zentrum, der im iranischen Qom einen unterirdischen Nuklearreaktor manipuliert. Die riesige Explosion und der Rückfall in der Urananreicherung sind für den obersten Führer des Landes ein schwerer Schlag. Die Verantwortlichen sollen umgehend gefunden werden, weshalb eine ausländische Journalistin gefangengenommen wird, von der bekannt ist, dass sie gerade eben Material zugespielt bekam, das Geheimoperationen des Pentagon und anderer Geheimdienste im Iran aufdeckt. Während Tom an sich bereits ausgereist ist, lässt er sich von seinem CIA-Kontaktmann Roman Chalmers überreden, noch vor seiner Rückkehr zu seiner Noch-Ehefrau und Tochter einen weiteren Auftrag anzunehmen. Zusammen mit dem aus Afghanistan stammenden Mohammad Doud als Übersetzer durchquert er das Land, als der Pentagon-Leak öffentlich wird und seine Tarnung auffliegt. Nicht nur iranische Sicherheitskräfte werden auf Tom und Mohammad aufmerksam, auch der pakistanische Agent Kahil wird auf sie angesetzt, denn auf dem freien Markt könnte man die gesuchten Männer meistbietend verkaufen. Ihr einziger Ausweg ist ein Evakuierungsflug aus Kandahar in 30 Stunden. Dafür müssen sie 650 Kilometer überwinden in einem Land, in dem so viele verschiedene Fraktionen um die Vormacht kämpfen, dass an jeder Ecke der sichere Tod oder Verrat lauern könnten.

Als Ausgangspunkt eines packenden, actionreichen Thrillers wäre das im Grunde mehr als genug, vielleicht bereits zu viel. Denn mit Figuren wie dem zum Islam konvertierten Roman Chalmers, der seine Tarnung als reicher Prominenter im Grunde verabscheut, einem hochrangigen, iranischen Militär, dessen Familie kurz vorgestellt wird, dem pakistanischen Agenten und auch der Journalistin Luna Cujai gibt es viele Figuren, die zum Teil nur eine sehr kleine Rolle spielen, denen aber dennoch viel Platz geschenkt wird. Dasselbe Problem begleitet die Story selbst, die zu Beginn einen unnötigen Umweg nimmt. Nach seiner erfolgreichen Mission reist Tom aus dem Iran aus, ist dann beinahe auf dem Heimflug, beginnt dann eine weitere Mission, die jedoch abgebrochen werden muss. Weshalb man ihn nicht aus einem anderen Grund, beispielsweise auf der Rückreise, nach Afghanistan sendet, von wo aus die Story selbst beginnt, erschließt sich nicht. Bis die Jagd auf Tom und Mohammad überhaupt ins Rollen kommt, sind bereits 50 Minuten der sehr spürbaren zwei Stunden Laufzeit vergangen. Kandahar beschäftigt sich mit so vielen Nebenschauplätzen, die zwar grundsätzlich für Authentizität sorgen, aber den Film selbst nur länger machen. So wäre eine gekidnappte Journalistin nicht notwenig, wenn – schlicht zufällig – nach der Explosion des iranischen Reaktors ein Pentagon-Leak ins Internet gestellt würde.

Woran es der filmischen Umsetzung wie auch bereits der Vorlage damit mangelt, ist eine tatsächlich packende Erzählung. Als Geheimagent wird Hauptfigur Tom Harris mit dem Mindestmaß an Hintergrund versehen, telefoniert eingangs kurz mit seiner um die Scheidung bittenden Frau und man erfährt, dass er eine Tochter hat, die gerade eben den Abschluss macht. Dem entgegen ist Mohammad Doud mit seiner tragischen Familiengeschichte die deutlich interessantere Figur. Überhaupt gewährt Kandahar überraschend viele Einblicke in die Situation der Bevölkerung und auch der Frauen in Afghanistan, die sich seit der Machtübernahme durch die Taliban auf kaum vorstellbare Weise verschlechtert hat. Auch an anderen Stellen geht Filmemacher Ric Roman Waugh mit dem Verhalten westlicher Staaten kritisch ins Gericht, wenn Tom davon spricht, wie die Ortskräfte, auf die sich die Truppen verlassen, im Stich gelassen wurden, oder mit wie wenig Verständnis der Westen den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens kulturelle Werte überstülpen will.

All das ist gelungen und unterstreicht den Ernst der gesamten Situation. Vor allem ist es durchweg tadellos in Szene gesetzt, mit einer so authentischen wie bedrohlichen Atmosphäre. Dass die Actionszenen in der Nacht sehr, sehr dunkel sind, ist der Tatsache geschuldet, dass es kaum Umgebungslicht gibt, was es stellenweise nicht einfacher macht, dem Gezeigten zu folgen. Doch das ist kein Kritikpunkt, denn es gelingt der Besetzung, allen voran Gerard Butler sowie Navid Negahban als Mohammad, auf greifbare Weise, ihre Situation spürbar werden zu lassen. Doch ändern diese Aspekte letztlich nur wenig daran, dass die Geschichte für sich genommen kaum in Fahrt kommt und selbst die erfreulich handgemachte Action nur selten mitreißt. Das ist am Ende vor allem auf Grund der vielen überzeugenden Aspekte überaus schade.


Fazit:
„Moderne Kriege sollen nicht gewonnen werden“, sagt Tom Harris in einem Moment. Es ist eine Erkenntnis, die man in Anbetracht der vollkommen sinnlosen Gewalt, die man bis dahin beobachten konnte, sowie der strategischen Allianzen mit Verbrechern und Mördern nur bestätigen kann. Regisseur Ric Roman Waugh macht sehr Vieles richtig in seinem durchaus realistischen Action-Thriller, der keine Superhelden kennt und keine übermäßig bösen Schurken. Manche agieren aus Überzeugung, die sogar einen teilweise desillusionierten Agenten antreibt, für andere ist ihr Lohn Ansporn und Überzeugung genug. Auch gibt es keine Bürokraten, die hier falsche Entscheidungen treffen. Kandahar ist ein geradliniger, im besten Sinne altmodisch umgesetzter Film mit einer guten Besetzung, die Gerard Butler nicht nur solide, sondern engagiert anführt. Doch so greifbar die Story, die mit der Erwähnung von Stuxnet sogar die tatsächliche Inspiration der Eröffnungssequenz aufgreift, und so authentisch die Umsetzung wie die kritischen Untertöne, die gelungen bedrückende Stimmung gleicht nur bedingt aus, dass Tempo und Spannung allenfalls in einigen Momenten mitreißen.