Irresistible - Unwiderstehlich [2020]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 30. Juni 2020
Genre: KomödieOriginaltitel: Irresistible
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Jon Stewart
Musik: Bryce Dessner
Besetzung: Steve Carell, Rose Byrne, Chris Cooper, Mackenzie Davis, Topher Grace, Natasha Lyonne, Will Sasso, C.J. Wilson, Brent Sexton, Alan Aisenberg, Debra Messing, Christian Adam, Will McLaughlin
Kurzinhalt:
Nachdem die US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 für den an sich erfolgreichen Wahlkampfmanager der Demokratischen Partei, Gary Zimmer (Steve Carell), alles andere als erfreulich ausgegangen ist, ist er auf der Suche nach einem Silberstreif am Horizont. Der wird ihm in Form eines YouTube-Videos präsentiert, mit dem der ehemalige Marine Colonel Jack Hastings (Chris Cooper) zum Star geworden ist. Der Veteran wurde gefilmt, als er ein flammendes Plädoyer für Immigranten bei einer Anhörung des Gemeinderats hielt. Mit seinen Ansichten würde Hastings perfekt in das Profil der Demokraten passen und wie es der Zufall will, wird in dessen Heimatstadt Deerlaken, Wisconsin, wo seit einer gefühlten Ewigkeit die Republikanische Partei dominiert, in Kürze ein Bürgermeister gewählt. So reist Gary nach Deerlaken und kann Hastings, ebenso wie dessen Tochter Diana (Mackenzie Davis) überzeugen, für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren. Hastings willigt aber nur ein, sofern Gary den Wahlkampf eigenhändig managt. Garys Engagement ruft Faith Brewster (Rose Byrne), Wahlkampfmanagerin der Republikaner auf den Plan, die sich mit Gary seit Jahren erbitterte Wahlkämpfe liefert. Beide fahren in Deerlaken große Geschütze auf, als würde sich das politische Schicksal der gesamten Vereinigten Staaten dort entscheiden …
Kritik:
Thematisch ist Irresistible ein Film, wie es ihn gefühlt alle vier Jahre gibt. Einer, der entweder ernst oder satirisch das politische System in den USA beleuchtet, wo auch außerhalb von Wahlen die Bevölkerung durch die aggressive politische Stimmung derart gespalten wird, dass daran buchstäblich Familien zerbrechen. Bekannte Vertreter des Genres sind Wag the Dog - Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt [1997] oder The Ides of March - Tage des Verrats [2011]. An keinen der genannten kann Jon Stewarts Satire heranreichen, doch das verzeiht man nicht nur, da sie der aktuellste Beitrag zum Thema ist, sondern weil sie in den letzten Minuten das Kernproblem, wenn auch mit erhobenem, moralischem Zeigefinger, so gelungen auf den Punkt bringt, dass man beinahe Beifall klatschen möchte.
Dass es Irresistible jedoch ausgerechnet an Biss fehlt, ist insofern eine Überraschung, da Stewart für seine Arbeit an einer erfolgreichen Satire-Fernsehsendung mehrfach mit dem Emmy ausgezeichnet wurde. Hier scheint er sich nicht entscheiden zu wollen, ob er die Erzählung mit vollkommen überzogenen Inhalten sprengen, oder eine geerdete Herangehensweise wählen soll. Das Endergebnis ist stellenweise, was den Humor anbelangt, äußerst derb, insgesamt aber dennoch irgendwie zu zahm.
Dabei gibt es an der Geschichte selbst kaum etwas zu bemängeln. Gary Zimmer ist ein erfolgreicher Wahlkampfmanager der Demokratischen Partei in den USA. Als Gary von dem verdienten Kriegsveteranen Colonel Jack Hastings hört, der im ländlichen Bundesstaat Wisconsin, der Kleinstadt Deerlaken genauer gesagt, bei einer öffentlichen Gemeinderatssitzung ein Plädoyer für Immigranten zum Besten gab und damit zum YouTube-Star wurde, wittert dieser eine große Chance. Hierfür muss man verstehen, dass die traditionell politisch eher unentschlossenen „Swing States“ meist diejenigen sind, die eine landesweite Wahl entscheiden. So fasst Gary den Entschluss, Hastings als demokratischen Kandidat für das Bürgermeisteramt Deerlakens zu gewinnen, und den republikanischen Amtsinhaber zu verdrängen. Hastings willigt nach einiger Überzeugung sogar ein, solange Gary seine Wahlkampagne selbst leitet.
Dass Gary Zimmer als politisches Urgestein aus Washington D.C. im abgeschiedenen Deerlaken auf eine ganz andere Welt trifft, versteht sich von selbst. Aber selbst wenn die Witze, die Irresistible daraus zu Beginn entwickelt, allesamt absehbar sind, sie sprechen doch Bände. Mitten auf dem Land gibt es kein WLAN in dem kleinen Motel. Dafür viele geschlossene Geschäfte im Kern der Stadt, die nach der kürzlichen Schließung des Army-Stützpunkts von 15.000 Einwohnern auf nur noch 5.000 Einwohner geschrumpft ist. Deerlaken steht insofern für zahlreiche amerikanische Städte auf dem Land. Zusammen mit dem heimeligen Essen, das Gary lieben lernt, klingt das wie ein Klischee, aber es ist eben nur ein Klischee, weil es auch meist zutrifft.
Durch den professionellen Wahlkampf wird auch die republikanische Partei auf die Zustände in der Kleinstadt aufmerksam und bald schon sieht sich Gary seiner Erzfeindin gegenüber: Der Wahlkampfmanagerin Faith Brewster, die folglich den amtierenden Bürgermeister Braun bei dessen Wiederwahl unterstützt. So stecken die beiden großen politischen Lager viel mehr Aufmerksamkeit und Geld in Deerlaken, in das rasant Leben zurückkehrt.
Filmemacher Stewart schildert den Kampf der beiden Manager als sich ständiges Überbieten, verfällt dabei jedoch phasenweise in einen (anzüglichen) Humor, der am ehesten einem Stand-up Comedy-Programm entnommen sein könnte. Das heißt nicht, dass er nicht funktioniert, aber er vermittelt die an sich treffenden Pointen mit einem Holzhammer, der nicht notwendig wäre. Trotz des stellenweise überzogenen Humors wartet Irresistible dennoch immer wieder mit feinen Beobachtungen auf, warum ein System, das auf Extreme setzt, am Ende zwar immer eine Seite als Gewinner präsentieren, aber gleichzeitig viel mehr Verlierer zutage fördern wird. Oder wie absurd ein Wahlkampf tatsächlich ist, hinter dem Unsummen an Geld stecken, wenn personalisierte, zielgruppenorientierte Wahlwerbung die Wählerschaft zum Kapital erklärt. Dass auch die Medien nicht ungescholten davonkommen, wenn sich Nachrichten mehr als Entertainmentprogramm verstehen, denn als unabhängige Institution, und bewusst Öl ins Feuer des emotional aufgeheizten Wahlkampfes gießen, weil sie selbst davon profitieren, unterstreicht, dass der Film nicht eine der beiden politischen Seiten kritisiert, sondern das System an sich. Das mag am Ende dem Publikum zu offensichtlich auf dem Silbertablett serviert werden, aber das schmälert die Aussage nicht.
Fazit:
Spricht die stets sehenswerte Mackenzie Davis hier als Tochter des Bürgermeisterkandidaten von einer Wirtschaftsmacht, die Wahlen an sich darstellen, wenn Millionen von Dollars in die Kampagnen hineingepumpt werden, ist das unumwunden auf den Punkt. Filmemacher Jon Stewart destilliert an der fiktiven Kleinstadt Deerlaken, in dem sich die beiden großen Parteisysteme der USA widerspiegeln, warum Politik, die in Großstädten gemacht wird, wenn bei Cocktailparties Häppchen entsprechend der unterschiedlichen Lifestyle-Food-Trends sortiert angeboten werden, am Leben und den Sorgen der breiten Bevölkerung vorbeigeht. Entgegen des Titels widersteht Irresistible dabei der Versuchung, die grundsätzliche Problematik einem der beiden politischen Lager zuzuordnen, selbst wenn die Satire hauptsächlich aus Sicht der Demokraten erzählt ist, die sich verständlicherweise nicht als die „Bösen“ sehen, sondern den politischen Gegner verteufeln. Die gut gelaunte Besetzung, angeführt von Steve Carell und einer sehenswert berechnenden Rose Byrne, arbeitet das Grundproblem des heutigen politischen Systems, nicht nur, aber vor allem in den Vereinigten Staaten, trotz der insgesamt zu zahmen Erzählung so gelungen heraus, dass die letzten Minuten, die unvorstellbar viele Wahrheiten zusammenpacken, gerade im ständigen Wahlkampf, in dem sich die Gesellschaft zu befinden scheint, Pflichtprogramm sein sollten. Als solches mag das nicht der beste Beitrag zum Thema sein, aber sehenswert und inhaltlich richtig, ist er trotzdem.