Insider [1999]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 09. Juli 2002
Genre: Drama / Thriller / Dokumentation

Originaltitel: The Insider
Laufzeit: 157 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1999
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Michael Mann
Musik: Pieter Bourke, Lisa Gerrard, Graeme Revell (zusätzliche Musik)
Darsteller: Al Pacino, Russell Crowe, Christopher Plummer, Diane Venora


Kurzinhalt:
Lowell Bergman (Al Pacino) ist Produzent bei "60 Minutes", einer bedeutenden Nachrichtensendung in den USA. Er wittert eine Story, als er Jeff Wigand (Russell Crowe) zur Beratung um Hilfe bittet, Wigand war Biologe und in der Forschung von Brown & Williamson tätig, einer Tabakfirma, die ihn vor kurzem vor die Tür gesetzt hat. Doch Wigand ist vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet, woran ihn seine ehemaligen Arbeitgeber mit Nachdruck, Drohungen und Einschüchterungen erinnern. Nun muss Wigand sich entscheiden, ob er mit seinem brisanten Insider-Wissen an die Öffentlichkeit geht, und sogar eine Gefängnisstrafe riskiert, oder ob er alles für sich behält. Doch die Tabakindustrie hat nicht nur Einfluss auf das Privatleben dieses Mannes, auch CBS, der Sender, welcher "60 Minutes" produziert, gerät unter Druck.


Kritik:
7 Oscarnominierungen erntete dieses Drama vor zwei Jahren – und ging dann komplett leer aus. Das lag einerseits sicher an der enormen Konkurrenz wie American Beauty [1999], The Green Mile [1999], The Sixth Sense [1999] und The Hurricane [1999], womöglich aber auch an dem nicht gerade sozial verträglichen Thema.
Die Zigarettenindustrie, eine der größten Geldmaschinerien der Welt, wird hier bloßgestellt, und das nicht einmal als reine Gedankenakrobatik, da der Film auf wahren Ereignissen beruht. Die Macher haben sich zwar hin und wieder einige daramturgische Freiheiten herausgenommen, Personen und Schauplätze sind jedoch real.

Daher kann man an der Story auch nicht viel rütteln – alle Menschen wussten es, die meisten hat es dennoch nicht interessiert: die Tabakindustrie mischt seit Jahren bestimmte Chemikalien in die Zigaretten, um die Abhängigkeit der Kunden zu garantieren und zu erhöhen. Das Nikotin wird dadurch von den Lungen schneller aufgenommen, das Gehirn schneller stimuliert; alles Merkmale von Drogen.

Jeff Wigand hatte ausführliches Wissen über die Hintergründe und auch darüber, dass alle Tabakfirmen in dieser Hinsicht miteinander zusammenarbeiten – kollektive Suchtmittelherstellung. Er wurde gefeuert, weil er mit der gesundheitsschädlichen Politik des Konzerns nicht einverstanden war, und er war auch bereit, still zu sitzen und weiterhin die medizinische Versorgung seiner asthmakranken Tochter nicht zu gefährden.
Doch dann kommt alles anders und schon nach wenigen Gesprächen mit Lowell Bergman wird Wigand und seine Familie bedroht, mit Anrufen, Patronen, die in seinem Briefkasten aufgestellt wurden, Leute, die ihm auf Schritt und Tritt folgen.
Welchen Druck ein Multi-Milliarden-Dollar-Konzern auf einen einzigen Mann ausüben kann, ist kaum vorstellbar.

Und dass dieser Film gemacht wurde, hat sicherlich vielen Tabakfirmen überhaupt nicht gefallen. Der Lobby in der amerikanischen Regierung ohnehin nicht.
Insider glänzt auf vielen Ebenen, das Drehbuch ist durchdacht und kann durch seine hervorragenden Dialoge und Monologe überzeugen.
Am beeindruckendsten sind jedoch die Darsteller, allen voran Russell Crowe. Nicht nur, dass er mit dem zusätzlichen Gewicht, das er sich speziell für die Rolle zugelegt hat und der Maske, die ihn um 15 Jahre älter macht, kaum zu erkennen ist, er spielt Jeff Wigand ruhig und doch mitreißend. Seine Mimik und Gestik sind kurzum atemberaubend und hätten den Oscar deutlich mehr verdient, als seine gute Darbietung in Gladiator [2000], für die er ihn letztendlich bekam.
Neben ihm überzeugt auch Al Pacino in seiner Rolle, der mit dem von ihm bekannten Elan und Temprament spielt und schon von Anfang an (wie Crowe auch), nicht als er selbst, sondern als sein Filmcharakter zu sehen ist.

Für Fans von actionreichen Verfolgungsjagden oder schnellen Schnitten ist Insider allerdings nichts, das Drama legt eine sehr ruhige Gangart ein, fesselt aber durch die Dialoge und den Szenenaufbau, der - für Regisseur Michael Mann typisch - absolut hervorragend gelungen ist. Szenen, Kamera, Farben – all das wirkt wie die große Komposition eines Meisters, der sein Handwerk versteht.

Hierzu trägt auch die atmosphärische Musik bei, die in den richtigen Szenen, ohne aufdringlich zu wirken, das Tempo erhöht und sich perfekt den Bildern anpasst.
Die Entwicklung der Geschichte ist natürlich und auch die Handlungsweisen der Charaktere sind verständlich. Es gibt keine heroischen Opfer, die ohne zu zögern ins offene Messer laufen, unter enormem Druck wird auch Wigand beinahe gebrochen, seine Familie zerbricht in der Tat an seiner Entscheidung, gegen den Tabakkonzern auszusagen.

Für den Sender CBS war es damals keine Glanzzeit – der amerikanische Traum von "Wahrheit auch wenn die Welt dabei zugrunde geht" löste sich buchstäblich in Rauch auf. Mit enormer Verspätung und auch erst auf einen öffentlichen Druck hin, den Bergman hervorrief, wurde das strittige Interview mit Wigand gesendet, das dem Sender eine Milliardenklage hätte einbringen können. Davon musste sich das Image des Senders erst wieder erholen.

Insider ist ein Film, der das Prädikat "Sehenswert" mehr als nur verdient hat, und der den Zuschauer mit einem unguten Gefühl und vielen Gedanken zurück lässt. Wer sich anschließend fragt, wie er oder sie an Wigands Stelle gehandelt hätte, würde sich wohl dabei ertappen, ins Straucheln zu geraten – denn ein solcher Tabakkonzern steht für mehr Macht und Geld, als man sich das auf den ersten Blick vorstellen würde oder könnte. Ein Kräftemessen ist so gut wie aussichtslos.


Fazit:
Insider ist kein Film für die breite Masse, dafür ist er zu nachdenklich, zu ruhig. Wer sich auf dieses hervorragende Drama einlässt, wird jedoch nicht enttäuscht. Die Darsteller, allen voran Russell Crowe verkörpern die Charaktere so glaubhaft, dass man in keiner Sekunde das Gefühl bekommt, man würde sich einen Film ansehen. Hierzu trägt natürlich auch der dokumentarisch angehauchte Stil bei, den man nach kurzer Zeit gar nicht mehr vermissen möchte. Optik und Akustik wirken regelrecht choreografiert und heben den Film weit über andere Dramen hinaus.
Insider ist für mich eine ausnahmslose Empfehlung, ein filmisches Meisterwerk und ein Zeitzeuge, den viele Industriellen gern aus den Analen der Geschichte streichen würden.