In voller Blüte [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. November 2023
Genre: Biografie / Drama

Originaltitel: The Great Escaper
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Oliver Parker
Musik: Craig Armstrong
Besetzung: Michael Caine, Glenda Jackson, Danielle Vitalis, John Standing, Will Fletcher, Laura Marcus, Jackie Clune, Brennan Reece, Wolf Kahler, Ian Conningham, Donald Sage Mackie, Carlyss Peer, Isabella Domville, Joe Bone, Victor Oshin


Kurzinhalt:

Seit langem wurden die Feierlichkeiten angesichts des 70. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 angekündigt und beworben. Bernard „Bernie“ Jordan (Michael Caine), der als Soldat bei der britischen Royal Navy im Zweiten Weltkrieg gedient hat, will an den Feierlichkeiten auch teilnehmen, für die er mit der Fähre an die französische Normandieküste gebracht werden soll. Doch er hat sich zu spät gemeldet und alle Karten sind bereits vergeben. Seine Frau Irene „Rene“ (Glenda Jackson), bei der er im Pflegeheim wohnt, da er sie nicht mehr allein zuhause pflegen konnte, bietet ihm daher an, sich selbst auf den Weg nach Calais zu den Festivitäten aufzumachen. Bernie lehnt erst ab, doch die Erinnerungen an damals lassen ihn nicht los. So macht er sich allein auf den Weg in die Normandie. Unterwegs trifft er den Air Force-Veteran Arthur (John Standing), der seit 70 Jahren mit eigenen Dämonen zu kämpfen hat. Gemeinsam versuchen sie, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, während Bernies Abwesenheit im Heim inzwischen bemerkt und eine Großfahndung veranlasst wurde …


Kritik:
Es ist in gewisser Hinsicht passend, dass die Rolle des zurückhaltenden, 89jährigen Bernie Jordan, der 2014 aus einem Pflegeheim „ausbüxte“, um an den Jubiläums-Feierlichkeiten anlässlich der Landung der Alliierten Streitkräfte in der Normandie im Zweiten Weltkrieg teilzunehmen, die letzte Rolle von Sir Michael Caine sein soll. Selbst inzwischen 90 Jahre alt, scheint ihm die Hauptrolle in In voller Blüte auf den Leib geschrieben. Es ist eine berührende und lebensbejahende Biografie, aus der ein ruhiges Publikum viel herauslesen kann.

Sieht man Bernie zum ersten Mal, blickt er auf das Meer hinaus, als könnte er von der Küste Großbritanniens aus jenen Strand in Frankreich sehen. So gebrechlich er auf den ersten Moment erscheint, man merkt ihm an, dass ihn etwas umtreibt. Zurück in dem Pflegeheim, in dem er mit seiner Frau Rene lebt, erzählt er ihr, dass er die lecker klingende, neue Schokolade nicht gekauft hat, weil sie ein deutsches Rezept beinhaltet. Liebend gern würde er als Kriegsveteran an den Feierlichkeiten in der Normandie teilnehmen, doch Schwester Adele, die sich um das Paar kümmert, teilt ihm mit, dass es keine Karten mehr gab – Bernie hat sich zu spät gemeldet. Da Rene gesundheitlich angeschlagener und häufiger auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wäre die Sache für Bernie im Grunde erledigt, doch da seine Frau sieht, wie er sich in alten Fotografien aus der Zeit des Krieges verliert, bietet Rene ihm an, allein zu fahren. Ohne, dass die Heimleitung davon weiß. So macht er sich früh am Morgen auf, allein zum Hafen zu kommen, wo ihn eine Fähre mit den anderen Veteranen von Großbritannien nach Calais bringt.

Ein solch letztes Abenteuer wäre es im Grunde bereits wert, eine Geschichte zu erzählen, mit den Erinnerungen an jene Zeit, die Bernie immer mehr einholen, je dichter er der Normandieküste kommt. Doch trifft er unterwegs auf den Veteran Arthur, der nicht wie Bernie bei der Navy war, sondern bei der Royal Air Force. Arthur bietet ihm an, mit zu den Feierlichkeiten zu kommen und sogar in seinem Hotelzimmer zu übernachten. Auch für ihn wird es zunehmend schwieriger, sich der Situation zu stellen, je näher sie kommt. „Durch ein Glas betrachtet, ist die Welt erträglicher“, teilt Arthur Bernie mit und es dauert etwas, bis man die Alkoholsucht bei ihm erkennt. In voller Blüte lässt diese beiden Männer aufeinander treffen, die mit dem, was sie vor über 70 Jahren erlebt haben, so unterschiedlich umgehen. Dennoch ist ihnen gleich, dass sie das Erlebte nie werden vergessen können.

Anstatt den inneren Konflikt dieser Figuren in lauten Momenten ausbrechen zu lassen, porträtiert Filmemacher Oliver Parker sie leise, in sich gekehrt. Sieht man in einem Moment, in dem zahlreiche Veteranen an jenem französischen Strand, die Blicke in ihren Augen, wird deutlich, was sie alle geopfert und verloren haben. Und welches Trauma sie ihr gesamtes Leben lang begleitet. Arthur und Bernie stehen stellvertretend für eine ganze Generation, die sich nicht als die Helden fühlt, als die sie oftmals dargestellt werden. Erinnert sich Bernie immer wieder an einen schlimmen Moment bei der Anlandung, der ihn geprägt hat, sind es bei Rene, die, allein im Heim, sich ebenfalls Bilder ansieht und Schallplatten anhört, Erinnerungen ihrer Zeit, als sie auf Bernie traf. Eine Zeit der Unbeschwertheit, die später abgelöst wurde durch eine unbändige Sorge, als er die Überfahrt antrat und die Nachricht von Gefallenen die Zurückgebliebenen ins Bodenlose stürzen ließ. Sie beide haben einen Weg gefunden, damit umzugehen, ebenso mit der Zeit danach. Ein Weg, den sie nur insofern gemeinsam gehen, dass sie jeweils akzeptieren, wie die andere Person dies verarbeitet. Und im Grunde sollte dies ihr Geheimnis bleiben, wie auch Bernies „Ausbruch“, der jedoch Schlagzeilen macht und Bernie einmal mehr zu einem Helden stilisiert, der zur Ehrung seiner gefallenen Kameraden der Weisung des Heims trotzt.

Wie unangenehm Bernie das ist, wie sehr ihn die Schuld und das Geheimnis, das er nie jemandem anvertraut hat, so lange verzehrt hat, bringt Michael Caine mit einer zurückgezogenen Darbietung zum Ausdruck, bei der ein Blick oder eine Geste mehr verrät, als ein Monolog, und die ebenso nachwirkt wie Glenda Jacksons als Rene. Auch sie hat ein Geheimnis, das sie nicht einmal Bernie anvertraut. Aber trotz ihrer oft ernsten Mine ist sie nicht verbittert, sondern weiß das Leben als das zu schätzen, was es ist: Eine Aneinanderreihung einzigartiger Momente, die man nutzen sollte. Auch wenn sie die meiste Zeit der Erzählung über getrennt sind, tragen sie beide die Geschichte gleichermaßen. Auf den ersten Blick erzählt In voller Blüte dabei nichts, was man in anderen Erzählungen nicht bereits gehört hätte. Doch verleiht vor allem die Besetzung den Figuren Nuancen, bringt auf den Punkt, was Zärtlichkeit, Verständnis und Liebe tatsächlich bedeuten, dass man nur hoffen kann, selbst einen Menschen im eigenen Leben zu finden oder bereits zu wissen. Das ist berührend, aber nicht rührselig, bewegend, aber nicht kitschig. Schön!


Fazit:
Treffen Arthur und Bernie am Tag der Feierlichkeiten auf deutsche Veteranen, trägt die Art und Weise, wie diese traumatisierten Männer miteinander umgehen, mehr zur Verständigung und dem Verzeihen bei, als man sich vorstellen könnte. Mag sein, dass Regisseur Oliver Parker kaum neue Aussagen findet, weder über den Krieg, noch darüber, wie er Menschen traumatisiert. Dennoch gelingen ihm viele treffende, wunderbare Beobachtungen. Wenn Bernie neben sich Rene ansieht und sie als die junge Frau von vor 70 Jahren wahrnimmt, oder wenn in dem, was zwischen beiden nicht ausgesprochen wird, mehr Dialoge liegen, als sie miteinander führen. In voller Blüte ist ein von Michael Caine wie Glenda Jackson fantastisch und bemerkenswert authentisch gespielter Film, der sich so taktvoll wie ruhig seinen Figuren nähert. Es ist kein Porträt eines außergewöhnlichen Lebens, sondern das Porträt eines Lebens, das bis in dieses hohe Alter zu erleben, angesichts der Herausforderungen und Widrigkeiten eines grauenvollen Krieges und was er aus den Menschen macht, bereits mehr als außergewöhnlich ist. Durchaus mit einem Gefühl der Traurigkeit, aber nicht der Bitterkeit. Sehenswert und schön.