In the Heights: Rhythm of New York [2021]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 12. Juli 2021
Genre: Musical / Liebesfilm / DramaOriginaltitel: In the Heights
Laufzeit: 143 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Jon M. Chu
Musik: Alex Lacamoire, Lin-Manuel Miranda, Bill Sherman
Besetzung: Anthony Ramos, Melissa Barrera, Leslie Grace, Corey Hawkins, Olga Merediz, Jimmy Smits, Gregory Diaz IV, Daphne Rubin-Vega, Stephanie Beatriz, Dascha Polanco, Noah Catala, Lin-Manuel Miranda
Kurzinhalt:
Das Leben in den Straßen des New Yorker Stadtteils Washington Heights ist geprägt von den eingewanderten, lateinamerikanischen Familien, beispielsweise aus Puerto Rico, und ihrer Nachfahren. Der junge Usnavi (Anthony Ramos) kam mit seinen Eltern aus der Dominikanischen Republik und hat inzwischen mit seinem Cousin Sonny (Gregory Diaz IV) den Eckladen übernommen, wo die Leute vor der Arbeit bei ihm einen Kaffee oder etwas Kleines für den Tag holen. Gerade in so heißen Sommern wie diesen. Als Usnavi das Angebot erhält, zurückzugehen, um die Strandbar seines Vaters in der Dominikanischen Republik wieder aufzubauen, sagt er zu. Doch ist er in Vanessa (Melissa Barrera) verliebt, die von seinen Gefühlen aber noch nicht einmal etwas weiß. Derweil ist Nina Rosario (Leslie Grace) zurückgekehrt, die an der Westküste an einer renommierten Universität studiert. Sie ist das „Aushängeschild“ der Nachbarschaft, sie hat das geschafft, das die wenigsten Privilegierten den Kindern und Enkelkindern der Eingewanderten zutrauen würden. Aber sie kommt mit einer schlechten Nachricht, auch wenn sich ihr Ex-Freund Benny (Corey Hawkins) über ihre Rückkehr sehr freut. Sie alle kommen zusammen, als das jährliche Fest in den „Heights“ unmittelbar bevorsteht. Die stetig steigenden Temperaturen fordern jedoch nicht nur ihren Tribut, sondern auch Opfer …
Kritik:
Angesiedelt in der stark dominikanisch geprägten Nachbarschaft des New Yorker Stadtteils Washington Heights, erzählt die Filmadaption In the Heights: Rhythm of New York des gleichnamigen, erfolgreichen, preisgekrönten Bühnenmusicals aus dem Jahr 2005 vom Leben, den Träumen und Plänen, aber auch den alltäglichen Höhen und Tiefen dieser Gemeinschaft, aus Sicht des jungen Ladenbesitzers Usnavi. Mit vielen aktuellen Bezügen ist das nicht nur eingängig und als Musical so temperamentvoll, dass man mitwippen möchte, es ist stellenweise erstaunlich ernst und vielen Schattierungen erzählt.
Die Geschichte beginnt an einem Strand, wo Usnavi an einer Theke einer Gruppe von Kindern von einem Ort erzählt, der dabei war, zu verschwinden – eben das Stadtviertel Washington Heights. Er erzählt von sich selbst, wie er mit seinen Eltern aus der Dominikanischen Republik in die USA kam, wie er nach ihrem Tod den Eckladen seines Vaters übernahm, in dem sich die ganze Nachbarschaft trifft, um auf dem Weg in die Arbeit Kaffee, kalte Getränke oder sonst etwas zu holen. Sein Traum ist es, wieder in die Dominikanische Republik zurück zu gehen, um die Bar seines Vaters wieder auferstehen zu lassen. Heimlich verliebt ist Usnavi in Vanessa, die in einem Friseur- und Nagelsalon arbeitet, aber hofft, als Modedesignerin Erfolg haben zu können. Jede und jeder, der bzw. dem man in den „Heights“ begegnet, hat einen Traum. Sei es Benny, der erfolgreicher Geschäftsmann sein will, oder Nina, Tochter des Taxi-Service-Besitzers Kevin. Für Viele ist Nina diejenige, die es geschafft hat: Sie studiert am anderen Ende des Landes und kann der Welt zeigen, wozu die Einwandererkinder, deren Eltern meist nur wenig angesehene Tätigkeiten bekommen haben, in der Lage sind.
An Nina wird deutlich, wie dünn die Schicht des Glücks bei einem ersten Blick auf diese sprühende und freundliche Nachbarschaft ist. Denn Nina, in die so viele Hoffnungen gesetzt wurden, die das Aushängeschild des ganzen Viertels ist, möchte das Studium abbrechen. Ihrem Vater, der bereits sein halbes Lebenswerk verkauft hat, um ihre Ausbildung zu finanzieren, erzählt sie, sie wolle nicht, dass er sich verschuldet, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Vanessa, die dringend umziehen möchte, erhält auf Grund ihrer Herkunft keinen Mietvertrag, solange nicht jemand mit ausreichender Kreditwürdigkeit für sie bürgt und die Besitzerin des Friseursalons verliert ihre Räumlichkeiten, weil sie sich die steigenden Mieten nach Jahrzehnten nicht mehr leisten kann, während sich immer mehr Weiße in der Nachbarschaft niederlassen. In the Heights widmet sich diesen aktuellen Themen, der Gentrifizierung und dem Streben nach persönlichem Glück, in einer Art und Weise, die einladender kaum sein könnte. Eingangs erzählt Usnavi den Kindern, dass die Straßen voller Musik gewesen seien und das ist keine Übertreibung.
Hauptsächlich durch die teils sehr langen und abwechslungsreichen Songs erzählt, entwickelt Jon M. Chus Musicaladaption von Beginn an ein immenses Tempo, was auch erklärt, weshalb die beinahe zweieinhalb Stunden wie im Flug vergehen. In sie packen die Verantwortlichen das Porträt nicht nur einer Generation von Eingewanderten, denen in „Abuela“ Claudia nicht nur eine gute Seele zur Seite gestellt wird. Die erste Generation war auf der Suche nach einem besseren Leben, bestrebt ihre Träume zu verwirklichen. In the Heights: Rhythm of New York erzählt zwar von ihnen, aber auch von der zweiten und dritten Generation, die nicht nur ihre Träume leben möchten, sondern auch diejenigen ihrer Eltern erfüllen soll, in einer Gesellschaft, die zwar augenscheinlich diverser geworden ist, die aber immer noch in Schubladen denkt. Und dies, während den nachfolgenden Generationen das übergreifende Gemeinschaftsgefühl, das ihre Eltern auf Grund ähnlicher Erfahrungen bei Eintritt in die Neue Welt zusammenschweißte, gar nicht erst mitgegeben ist. Es ist ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus, der Vieles, was man als gegeben annimmt, in Frage stellt und in ein anderes Licht rückt.
Angesiedelt in einem heißen Sommer, steuert die Geschichte auf einen großen Stromausfall zu, den die durchweg immens charmant gespielten Figuren mit „we are powerless“ besingen. Was in den begleitenden Untertiteln durchaus wörtlich übersetzt ist, bezieht sich in Anbetracht der Situation der Nachfahren jener Eingewanderter, die oftmals wie Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse behandelt werden und was nicht zuletzt dann deutlich wird, wenn sich die Geschichte den „Dreamern“ widmet, auch auf ihre Hilflosigkeit, an ihrer Gesamtsituation etwas zu ändern. Ihnen allen, die hier leben, herzerwärmend lieben und auch sterben, setzt In the Heights ein Denkmal. Ein bunteres und einladenderes könnte es kaum sein.
Fazit:
Vielleicht noch mehr als in anderen Gemeinschaften, haben hier alle Personen einen ganz persönlichen Traum, einen „sueñito“. Und sei es nur, in der Lotterie zu gewinnen, die alle eifrig spielen. Doch so groß die Träume sind, die Wirklichkeit ist für gewöhnlich bedeutend komplizierter. Mit seinen eingängigen, temporeichen und toll dargebrachten Liedern entwickelt In the Heights: Rhythm of New York einen geradezu ansteckenden Rhythmus. Einfallsreich und rasant choreografiert, sind die vielen Tanzeinlagen ein Fest zum Ansehen und sorgen dafür, dass man zusammen mit den sympathischen Figuren beinahe die ganze Laufzeit ein Lächeln auf den Lippen trägt. Filmemacher Jon M. Chu gelingt ein Filmmusical, das wenigstens bis kurz vor Schluss nie den Eindruck erweckt, es wäre überwiegend im Studio gedreht. Trotz der Lauflänge und einiger langer Abschnitte, gerät die Geschichte nie langatmig, wobei sich mit der fabelhaften Besetzung eine fantastische Stimmung entwickelt, als würde man einen Sommerabend mit Freundinnen und Freunden verbringen. Dabei gelingt es den Verantwortlichen nicht nur, eine Geschichte zu erzählen, die mehreren Generationen an Eingewanderten gerecht wird, sondern gleichzeitig den eigenen Horizont erweitert. Das ist am Ende nicht nur wichtig und inspirierend, sondern auch einfach schön anzusehen.