In den Schuhen meiner Schwester [2005]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 01. November 2005
Genre: Drama / Komödie

Originaltitel: In Her Shoes
Laufzeit: 130 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2005
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Curtis Hanson
Musik: Mark Isham
Darsteller: Cameron Diaz, Toni Collette, Shirley MacLaine, Mark Feuerstein, Richard Burgi, Ken Howard, Jackie Geary, Candice Azzara, Brooke Smith, Jerry Adler


Kurzinhalt:
Hätten sie nicht beide dieselbe Schuhgröße, hätten die beiden Schwestern Maggie (Cameron Diaz) und Rose Feller (Toni Collette) gar nichts gemein; während Maggie die Schule abgebrochen hat und sich seither mehr mit ihrem guten Aussehen, als mit ihren Gelegenheitsjobs über Wasser hält, sucht Rose als erfolgreiche Anwältin immer noch nach Anerkennung und der Möglichkeit, sich selbst zu akzeptieren, wie sie ist.
Als Maggie nach einem desastreusen Abend bei Rose einzieht, ahnen die beiden Schwestern nicht, dass ihre Welt auf den Kopf gestellt wird; zuerst ist Rose darum bemüht, Maggie einen Arbeitsplatz zu verschaffen, doch während die sich mit Hirngespinsten auseinandersetzt, entbrennt zwischen den beiden ein erbitterter Streit.
So wird Maggie vor die Tür gesetzt und macht sie auf den Weg zu ihrer tot geglaubten Großmutter Ella Hirsch (Shirley MacLaine), die in einem Altersruhesitz in Miami lebt. Während Ella versucht, Maggie auf die rechte Bahn zu bringen, versucht auch Rose, ihr Leben in den Griff zu bekommen, wobei ihr unerwartet Simon Stein (Mark Feuerstein) ein Angebot macht.
Doch auch wenn die beiden Schwestern Fortschritte in ihrem Leben machen, ohne einander sind sie schlicht nicht vollständig.


Kritik:
Manche Entscheidungen, das muss man sich als informierter Zuschauer immer wieder sagen, muss man einfach nicht verstehen; darunter fällt sicher auch, weswegen die Verfilmung des vor zwei Jahren in Deutschland erschienenen, amerikanischen Bestsellerromans Zwei Schwestern und ein Hochzeitskleid [2002] der Autorin Jennifer Weiner unter dem Titel In den Schuhen meiner Schwester vertrieben wird – was gleichzeitig zur Folge hat, dass eine neue Auflage des Romans auch mit dem Titel des Films erscheint.
Wer sich trotz des seltsam anmutenden Themas auf den neuen Film von Oscarpreisträger Curtis Hanson (L.A. Confidential [1997]) einlässt, wird jedoch angenehm überrascht sein; statt einer vermeintlich sehr kitschigen und klischeehaften Komödie erwartet den Zuschauer eine differenzierte Charakterstudie unterschiedlichster Figuren, wobei die beiden Hauptdarstellerinnen ganz ohne Zweifel im Mittelpunkt stehen. Ihre Wandlung, ihre Entwicklung gilt es zu verfolgen, wobei die Romanadaption nicht nur mit einigen sehr direkten, fordernden, ernsten Szenen gespickt ist, sondern auch viele witzige Momente bietet, die aber meist dennoch eine subtile Botschaft beherbergen, die es zu entdecken gilt.

Zu verdanken ist das dem gelungenen Skript von Susannah Grant, die auch die Vorlage für Erin Brockovich [2000] lieferte. Sie führt in den ersten Minuten nicht nur zwei gänzlich unterschiedliche Figuren ein, sondern zeigt gleichzeitig auf, wie sich zwei Menschen, die in derselben Umgebung mit denselben Möglichkeiten aufwuchsen, sich vollkommen verschieden entwickelten. Dabei wird beiden Figuren ein tiefes Trauma anbei gelegt, das es während der zwei Stunden zu erkennen und zu verarbeiten gilt.
So unterschiedlich Maggie und Rose dabei auch sein mögen, als Zuschauer zu beobachten, wie sich die Lage zwischen den beiden Schwestern immer weiter zuspitzt, lässt einen ebenso hilflos wie fasziniert zurück, zumal sich die Beziehung der beiden gebrochenen Frauen auf eine sehr glaubhafte Weise wandelt und zerbricht. Dass dabei die Nebenfiguren wie Ella Hirsch oder Simon Stein ebenfalls nicht zu kurz kommen, ist ein Verdienst der Autorin, der es gelingt, ihnen allen etwas zu tun zu geben, ohne dass ihre Auftritte gekünstelt oder erzwungen wirken.
Die Geschichte selbst kommt dabei allerdings ohne große Höhepunkte oder einen punktuell ansteigenden Spannungsbogen aus, wohingegen die Gespräche der Figuren meist sehr pointiert geraten sind. Begleitet man die beiden Schwestern schließlich den Rest des Weges fällt vor allem der aufgesetzt wirkende Schluss auf, der nicht nur etwas zu lang erscheint, sondern inhaltlich zu versöhnlich erscheint, angesichts der übrigen Geschichte.
Die Subtilität, mit der sich die Figuren im Laufe des Films allerdings ändern, wie sie ihre Umgebung, ihre Verhaltens und auch Sprachweisen ändern, ist aber ohne Zweifel bemerkenswert und spricht für die Qualität der Vorlage, die in vielen, aus dem Leben gegriffenen Situationen, die Figuren in Aktion treten lässt.

Die Darsteller danken das durchweg mit sehr guten Leistungen, allen voran Toni Collette, die ihrer gleichaltrigen Kollegin Cameron Diaz nicht nur jahrelange Erfahrung im Filmgeschäft voraus hat, sondern mit ihrer natürlichen, glaubhaften Mimik und Gestik ganz in ihrer Rolle versinkt – sie nahm für die Rolle mehr als 10 Kilogramm zu, die sie während der Dreharbeiten wieder verlor. Doch auch wen Diaz bislang nur aus zweitklassigen Komödien und anspruchslosen Rollen kennt, wird überrascht sein: nie zuvor agierte die inzwischen 33jährige so überzeugend, wie hier. Auch die schwierigen, zurückhaltenden, stillen Momente meistert sie gekonnt, und offenbart ein Potential sowohl an Mimik, wie auch an Gestik, das man ihr nicht zugetraut hätte. So ergänzen sich beide nicht nur gekonnt, sondern motivieren sich auch gegenseitig zu Höchstleistungen, die auf jeden Fall einige Nominierungen nach sich ziehen sollten.
Dass beide im Schatten der inzwischen mehr als doppelt so alten Shirley MacLaine stehen, verwundert schon deswegen nicht, weil die Oscarpreisträgerin in nur wenigen Momenten ein Charisma entfaltet, das ihresgleichen sucht. Mit ihrer ruhigen Darstellung, der kraftvollen Ausstrahlung und den sehr gut zum Ausdruck gebrachten Momenten, in denen sie ihre Fehler eingesteht, ihren Enkeltöchtern näher kommen möchte und schließlich über ihren Schatten springen muss, hinterlässt sie nicht nur einen hervorragenden Eindruck, sondern wirkt auch als Gegengewicht zu den beiden Hauptfiguren.
Auch die männlichen Darsteller kommen zur Geltung, wobei Ken Howard sicher eine wichtige Rolle hat, wohingegen Mark Feuerstein etwas hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, was jedoch an der Rolle und nicht an ihm liegt. Richard Burgis Auftritt ist wirklich gelungen, schade, dass er nur so kurz zu sehen ist.
Außerdem zu sehen ist Jerry Adler, der seine Sache gewohnt gut macht, aber nur selten zu sehen ist.
Veredelt von Shirley MacLaine schart Regisseur Hanson eine ausgezeichnete Darstellerriege umsich, die im Falle von Cameron Diaz sogar über ihre zugesprochenen Möglichkeiten hinauswächst, und durchweg überzeugend und ergreifend spielt. Mehr kann man sich von einem realistischen Drama nicht erhoffen.

Denkt man an Curtis Hanson fallen einem ohne zweifel die melancholisch unterkühlten Bilder von Die Wonder Boys [2000], die malerischen Landschaftsaufnahmen aus Am wilden Fluß [1994] und die stilisierten Bilder des alten Hollywood in L.A. Confidential ein. Wer bei In den Schuhen meiner Schwester aber mit ebenso interessanten, prägnanten und einfallsreichen Perspektiven, einer choreografierten Inszenierung oder exzellenten Schnittwechseln rechnet, wird enttäuscht sein.
Kameramann Terry Stacey ist in seinem Fach zwar kein Unbekannter, kleidet das Geschehen aber nur selten in außergewöhnliche Perspektiven. Stattdessen erwarten einen selten irgendwelche Kamerafahrten, und auch der beabsichtigte Einsatz von Handkameras bei Maggies Szenen zu Beginn ist so subtil geraten, dass er gänzlich untergeht. Kamera und Schnitt wirken ausgesprochen routiniert und konventionell, verlassen sich auch sichtlich auf die Darsteller, ohne das Geschehen jedoch innovativ einzufangen.
Umso besser ist dafür das Setdesign gelungen, das mit vielen Details, einer lebensnahen Einrichtung und einem stets passenden Interieur aufwartet. Man hätte sich nur gewünscht, dass dies auch entsprechend mit einer edleren, womöglich auch an Erin Brockovich orientierten Optik gewürdigt würde.

Ebenfalls enttäuschend ist der Score von Soundtrack-Veteran Mark Isham, der auch als Jazz-Musiker aktiv ist; fand er sowohl zuletzt für L.A. Crash [2004], als auch für Filme wie Sag' kein Wort [2001], ...denn zum Küssen sind sie da [1997] oder Amy und die Wildgänse [1996] immer die richtige Stimmung, wirkt der ohnehin unterrepräsentierte Score zu In den Schuhen meiner Schwester nur halbherzig umgesetzt. Mit zwei verschiedenen Themen, die zwar zur Atmosphäre des Films passen, aber letztlich zu unselbständig wirken, begleitet er die Protagonisten und untermalt das Geschehen immer beschwingt und fröhlich, aber Identifikationscharakter.
Etwas mehr Eigenständigkeit hätte hier gut getan, und denkt man an die zurückhaltenden Scores von Thomas Newman (beispielsweise bei Erin Brockovich oder American Beauty [1999]), dann erkennt man auch, welches Potential noch in In den Schuhen meiner Schwester geschlummert hätte.

Was nach den zwei Stunden bleibt ist ein wirklich guter Film, dem ein Kunststück gelingt, das vielen anderen Dramen und Komödien heutzutage abhanden gekommen scheint: Curtis Hanson stellt eine Reihe Figuren vor, um die man sich als Zuschauer sorgt, mit denen man leidet, und die einem wichtig sind, weil sie aus dem Leben gegriffen scheinen. Verkörpert von zwei sehr guten und motivierten Darstellerinnen, deren Leistungen von einer exzellenten, wenngleich nur kurz zu sehenden Shirley MacLaine noch veredelt werden, hinterlässt In den Schuhen meiner Schwester dank der positiven und wichtigen Aussage einen sehr guten Eindruck, der allenfalls dadurch getrübt wird, dass man sich insbesondere bei diesem Regisseur eine etwas einfallsreichere Optik gewünscht hätte, und dass am Ende nicht allzu dick aufgetragen worden wäre.
Dennoch bleibt die Romanverfilmung nicht nur eine Empfehlung für all diejenigen, die nach langer Zeit einen ruhigen, nachdenklichen und doch witzigen Film im Kino sehen möchten, sondern auch für alle, die erkennen müssen, dass eine Änderung und Entwicklung der eigenen Person erst dann möglich ist, wenn das Problem an einem selbst erkannt wurde.


Fazit:
Kaum ein Regisseur bietet eine derart unterschiedliche Themenauswahl wie Curtis Hanson, und doch haben alle seine Filme eines gemeinsam: vielschichtige, starke Figuren, die im Laufe des Films ihren Weg finden müssen. Ebenso verhält es sich bei In den Schuhen meiner Schwester, in dem viele Figuren in den Mittelpunkt gerückt werden, auch wenn das Hauptaugenmerk auf den Geschwistern Feller liegt.
Getragen von exzellenten Darstellern, angefangen von Toni Collette über Cameron Diaz, Shirley MacLaine und auch Nebendarsteller wie Mark Feuerstein, entfaltet die Romanverfilmung viele Schichten, zeigt zwei gänzlich unterschiedliche Charaktere auf, die lernen müssen, sich zu akzeptieren, bevor sie in der Lage sind, sich zu ändern – was jedoch ein wenig enttäuscht ist einerseits der dick aufgetragene Schluss, der zum ansich sehr realistischen Verlauf des Films nicht zu passen scheint, und auch die handwerkliche Umsetzung, die sich zwar keine Patzer erlaubt, aber von der Bildgewalt her mit den bisherigen Hanson-Filmen schlicht nicht mithalten kann.
Wer sich daran nicht stört, darf zur Wertung ohne weiteres noch einen halben Punkt hinzu rechnen; dank der positiven Aussage und der glaubhaften Figuren ist den Beteiligten ein durchweg gutes Drama mit einigen sehr witzigen Momenten gelungen, in der erfreulicherweise lebensnahe Figuren statt einer dramatischen Erzählung im Mittelpunkt stehen.