Im Herzen der See [2015]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 19. September 2016
Genre: Drama / Biografie

Originaltitel: In the Heart of the Sea
Laufzeit: 122 min.
Produktionsland: USA / Australien / Spanien / Großbritannien / Kanada
Produktionsjahr: 2015
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Ron Howard
Musik: Roque Baños
Darsteller: Chris Hemsworth, Benjamin Walker, Cillian Murphy, Brendan Gleeson, Ben Whishaw, Michelle Fairley, Tom Holland, Paul Anderson, Frank Dillane, Joseph Mawle, Charlotte Riley


Kurzinhalt:

Im Jahr 1850 sucht der Autor Herman Melville (Ben Whishaw) den letzten Überlebenden des 30 Jahre zuvor gesunkenen Walfangschiffes Essex auf, Tom Nickerson (Brendan Gleeson), um ihm seine Geschichte zu entlocken. Mythen ranken sich darum, dass das Schiff von einem riesigen Wal gerammt worden und daraufhin untergegangen sei. Widerwillig gibt Nickerson, den die Ereignisse nie losgelassen haben, seine Erinnerungen preis. Er erzählt von Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) und dem Obermaat Owen Chase (Chris Hemsworth), deren Abneigung zueinander kaum größer hätte sein können. Und weshalb nur fünf der ursprünglich 20 Männer, die sich in hoher See in die Rettungsboote flüchteten, am Ende überlebten ...


Kritik:
Mit Filmen, die auf wahren Ereignissen beruhen, hat Regisseur Ron Howard in den vergangenen 20 Jahren große Erfolge gefeiert. Apollo 13 [1995] ist unerreicht, Das Comeback [2005], Frost/Nixon [2008] und Rush - Alles für den Sieg [2013] allesamt gleichermaßen sehenswert. Umso mehr bleibt das Gefühl bei Im Herzen der See, dass die vermeintlich wahre Geschichte hinter Herman Melvilles Roman-Klassiker Moby-Dick [1851] nie dem Anspruch des Filmemachers gerecht wird. Oder seinen Möglichkeiten. Je länger das Drama in den recht zähen zwei Stunden inhaltlich mäandriert, umso frustrierender wird das Erlebnis.

Dabei klingt die Geschichte, die vom Untergang des Walfangschiffes Essex aus Nantucket im November des Jahres 1820 erzählt, als wäre sie für die große Leinwand bestimmt. Berichten zufolge sei dafür tatsächlich ein Wal verantwortlich gewesen, der das Schiff rammte. Von der 20 Mann starken Besatzung, die in drei Rettungsboote flüchtete, überlebten am Ende nur fünf.
Howard findet als Rahmenhandlung ein Treffen zwischen dem aufstrebenden Autor Melville und einem Überlebenden der Essex, dem von den Ereignissen gezeichneten Tom Nickerson. Der Autor ist wie besessen von der Legende der Essex und möchte dem verschlossenen Nickerson seine Geheimnisse entlocken. So beginnt dieser schließlich, von der Fahrt zu erzählen, die im Zeichen zweier Männer stand.

Owen Chase, der Obermaat, der um sein erstes Kommando über einen Walfänger betrogen wurde, weil der unerfahrene Kapitän George Pollard einer Familie der Finanziers der Unternehmung entspringt und ihm der Vorzug gegeben wird. Dass sie sich nur schwer vertragen werden, ist somit abzusehen und Im Herzen der See findet die zu erwartenden Szenen, in denen Chase von Pollard in die Schranken gewiesen wird, während dieser das Leben seiner Mannschaft und das Wohl des ganzen Schiffs in Gefahr bringt, um zu beweisen, dass er das Kommando innehat. Es dauert lange, ehe die Essex endlich auf den großen, weißen Wal trifft, der sich den Fängern in den Weg stellt, die die weit zurückgezogenen Tiere unerbittlich jagen.

Was dann geschieht, mag den wahren Begebenheiten sehr ähneln, nur ist es so langwierig und vorhersehbar dargebracht, dass die Schicksale der gestrandeten Männer, die Monate auf dem Wasser überleben, kaum mitreißen. Doch dass Im Herzen der See nicht überzeugt, beginnt bereits viel früher. Hierzu tragen einerseits die vielen, überaus offensichtlichen Tricks bei, die vom obligatorischen Sturm über den weißen Wal selbst bis hin zu beinahe jeder Aufnahme auf dem Wasser reichen, in der das Gesicht eines der Hauptdarsteller zu sehen ist. Doch einen ebenso großen Anteil trägt Filmemacher Ron Howard selbst, der keine wirkliche Bildersprache findet.

Selbst zu Beginn, wenn sich Chase von seiner schwangeren Frau Peggy verabschiedet, bleibt er auf so großer Distanz, dass die Gesichter der Akteure nur gelegentlich zu sehen sind. Die Perspektivwechsel wirken planlos und fangen die Reaktionen auf Dialoge ein, die man die Figuren nicht sagen sieht. Überträgt er das Schaukeln der Wellen in der Optik auf die Momente, in denen Nickerson und Melville im Gespräch zu sehen sind, lenkt dies von ihren Worten mehr ab, als es nützt und fliehen die Männer in die drei Rettungsboote, wechselt er zwischen diesen, obwohl man als Zuseher gar nicht weiß, wer sich darin befindet. Ausgemergelt nach Wochen auf See, mit sonnenverbrannter Haut und langen Bärten, sehen sich die Figuren zum Verwechseln ähnlich.

All das sind Elemente, die es schwermachen, bei Im Herzen der See mitzufiebern. Dass dies anderen Geschichten – ob nun wahr oder nicht – bedeutend besser gelingt, macht die Enttäuschung am Ende nur noch größer.


Fazit:
Moby-Dick ist die Geschichte eines Mannes, der von seinem unermesslichen Hass buchstäblich verschlungen wird. Man würde erwarten, dass Im Herzen der See eine ähnliche Aussage findet und in der Tat will sich Owen Chase dem weißen Wal nicht geschlagen geben und stellt sich dem Ungetüm. Der Ausgang ist ein anderer und lässt eine ökologische Botschaft mitschwingen, die aus heutiger Sicht zwar lobenswert, zu damaliger aber wohl eher utopisch gewesen ist. Regisseur Ron Howard will ein Actionabenteuer mit dramatischer Wendung und ein Kampf ums Überleben erzählen, doch die offensichtlichen Trickeffekte machen hier ebenso viel kaputt wie die absehbare und langgezogene zweite Hälfte. Herausgekommen ist ein Film mit bemerkenswerten Darbietungen von Cillian Murphy und Brendan Gleeson, vielen weiteren, die durchaus gelungen sind, aber wie die Geschichte selbst nichts Neues bieten.