Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt [2023]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. Januar 2024
Genre: Horror / Thriller

Laufzeit: 83 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Thomas Sieben
Musik: Michael Kamm, Maximilian Stephan
Besetzung: Nilam Farooq, Justus von Dohnányi, David Kross, Olga von Luckwald, Karl Schaper, Anton Fatoni Schneider, Sven Habermann


Kurzinhalt:

Drei Wochen noch sind es bis zur Entbindung und für die hochschwangere Maria (Nilam Farooq) beginnt es wie ein normaler Abend in dem Haus, das früher ihrem Schwiegervater Wilhelm (Justus von Dohnányi) gehörte und in das sie erst kürzlich mit ihrem Mann Viktor (David Kross) gezogen ist. Sie sind extra weit abseits aufs Land hinaus gezogen, wo Maria hofft, nach der Geburt ein Bed & Breakfast anbieten zu können. Doch dann gehen urplötzlich alle Lichter aus und als sie im Keller am Sicherungskasten ist, hört sie Geräusche aus den weit verzweigten Kellerräumen. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf etwas, das ihr Leben vollkommen auf den Kopf stellt. Dabei ist sie zunehmend der Überzeugung, dass sie nicht allein in dem großen Haus ist. Als ihr Autoschlüssel spurlos verschwindet, ist sie in dem unheimlichen Haus gleichermaßen isoliert wie gefangen. Dann setzen bei Maria zu allem Überfluss die Wehen ein …


Kritik:
Mit seinem Horror-Thriller Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt beweist Filmemacher Thomas Sieben, dass das deutsche Kino ebenso einfallsreiche wie eindrucksvoll umgesetzte Genrefilme hervorbringen kann, wie die Traumfabrik. Doch er zeigt dabei gleichzeitig, dass diese Produktionen auch dieselben Schwachstellen aufweisen können. Toll gespielt und atmosphärisch in Szene gesetzt, sind es oftmals laute Geräusche, die für Schreckmomente sorgen sollen, und je dichter die Geschichte ihrem Ende kommt, umso vorhersehbarer wird sie.

Dabei beginnt die Erzählung überaus vielversprechend und wird augenscheinlich in einer langen Einstellung eingefangen. Maria ist hochschwanger mit ihrem ersten Kind. Gerade erst ist sie mit ihrem Mann Viktor in das ehemalige, große Haus seines Vaters eingezogen. Die Umzugskartons sind noch nicht einmal alle ausgepackt. Als urplötzlich der Strom ausfällt, während Viktor noch in der Arbeit feststeckt, begibt sich Maria mit ihrem Schwiegervater Wilhelm am Telefon in den Keller, um die Sicherung auszutauschen. Ihr fällt die Gestalt nicht auf, die sich im Dunkeln verbirgt, doch wenig später hört sie in dem verlassenen Haus seltsame Geräusche und als sie abermals in den Keller geht, kommt sie einem Familiengeheimnis auf die Spur, das ihr Leben auf den Kopf stellt. Doch, kann das alles real sein, oder beginnt sie, Dinge zu sehen, die nicht da sind?

Die Geschichte, die Home Sweet Home erzählt, entwickelt sich langsam, steigert die Bedrohung für Maria und das ungeborene Kind allmählich und nicht plötzlich. Umso mehr stehen die Momente hervor, in denen Spannung und Horror dadurch erzeugt werden sollen, dass Geräusche oder Musik immens laut eingespielt werden. Es ist ein Stilmittel, das sich nach dem ersten Drittel glücklicherweise wieder verliert, wenn sich Maria in dem Haus gleichermaßen isoliert wie in die Ecke gedrängt fühlt. Fliehen kann sie nicht, das Anwesen liegt mitten im Nirgendwo und aus unerfindlichen Gründen ist ihr Autoschlüssel verschwunden. Als dann noch die Wehen einsetzen, glaubt man, es könne kaum schlimmer kommen, doch das Gegenteil ist der Fall. Regisseur und Autor Sieben verwebt seine übernatürliche Horrorstory mit einem geschichtlichen Hintergrund, der durchaus aktuell und brisant ist. Dass dieser einmal durch von Maria vorgelesenen Zeilen verdeutlicht und ihr später nochmals erklärt wird, ist hingegen unnötig.

Die größte Stärke der Inszenierung ist es, dass die Kamera ohne Schnitt Marias Bewegungen folgt, oft hinter ihr verbleibt, man zuerst ihre Reaktion auf das sieht, was sie sieht, ehe man es selbst zu sehen bekommt. Wie sie rätselt man daher mit, wie all das zusammenhängen kann und was die in Echtzeit erzählten Ereignisse jener Nacht zu bedeuten haben. Hauptdarstellerin Nilam Farooq trägt die Erzählung so mühelos, macht Marias Unglauben anfangs und ihre immer größer werdende Panik im Verlauf derart greifbar, dass bestimmte Entscheidungen der Verantwortlichen, beispielsweise mit einem kleinen Teaser zu beginnen, der dem letzten Drittel entnommen ist, auf eine permanent akustische Untermalung der Atmosphäre zu setzen, oder Maria laut denken zu lassen, nicht nachvollziehbar sind. Allein die scheinbar ununterbrochene Einstellung, die lange in einer Perspektive verharrt, erhöht die Spannung ungemein. Verlässt Maria schnellen Schrittes nach ihrem Fund den Keller und folgt ihr die Kamera unentwegt, rechnet man mit etwas Unerwartetem hinter jedem der niedrigen Türbögen.

Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt macht hier so Vieles richtig, nutzt die Art der Präsentation derart zu seinem Vorteil, dass das letzte Drittel regelrecht enttäuscht. Weiterhin tadellos in Szene gesetzt, häufen sich Genreklischees, die, bis hin zum fehlenden Abschluss, so lange absehbar sind, dass man hofft, dass Siebens Drehbuch sie bewusst ansteuert, um dann einen Weg um sie herum zu finden. Doch dem ist bedauerlicherweise nicht so. Gleichzeitig wird die tatsächliche Mythologie hinter den Ereignissen kaum bzw. gar nicht erläutert, so dass man sich fragt, weshalb die Figuren so handeln, wie sie es tun. Und wie sie glauben oder hoffen, unbeschadet der Situation zu entkommen. Das heißt nicht, dass die sich langsam entfaltende Story nicht funktionieren könnte, nur mit den gegebenen Informationen ergibt das Gezeigte im Nachhinein recht wenig Sinn.

All das macht es ein wenig schwer, Home Sweet Home uneingeschränkt zu empfehlen. Manche Aspekte erwecken beinahe den Eindruck, als wäre Thomas Siebens Werk nicht ganz fertig gedacht oder fertiggestellt. Dazu zählen auch die in schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund eingeblendeten Beteiligten zu Beginn, die als größtmöglicher Kontrast zur natürlich ausgeleuchteten Umgebung vollkommen unpassend erscheinen. Hätte man beim Vorspann die Hintergrundinformationen der Story eingewoben, hätte man sie später nicht an zwei Stellen erläutern müssen. Auch die anfangs extrem laut eingespielten Geräusche sind der übrigen Präsentation im Grunde nicht würdig. Lässt man sich darauf ein, findet man jedoch einen stimmungsvollen Horror-Thriller vor, der bedeutend mehr richtig als falsch macht. Das ist durchaus eine Überraschung.


Fazit:
Filme, die tatsächlich (Victoria [2015]) oder scheinbar (1917 [2019]) in einer langen Einstellung aufgenommen sind, sind in ihrer Machart ebenso faszinierend, wie sie die Verantwortlichen dazu zwingen, erzählerische Lösungen zu finden, die sich ansonsten in einem herkömmlichen Schnitt lösen lassen. Im Fall von Thomas Siebens unheimlichem Thriller sorgt das Stilmittel für eine ganz eigene Atmosphäre, für ein Gefühl, dass die von Nilam Farooq fantastisch gespielte Hauptfigur Maria aus ihrer Situation nicht entkommen kann. Die Ausgangslage ist alltäglich, der Alptraum, der sich daraus entwickelt, in seiner Konsequenz kaum begreiflich. Doch so eindrucksvoll und kompetent der Genrefilm umgesetzt ist, es sind inhaltliche Entscheidungen, die letztlich dafür sorgen, dass sich die kompakten 85 Minuten Laufzeit länger anfühlen, als sie sind. Zu altbekannt der auf Lautstärke basierte Horror, zu zahlreich die Klischees, die sich am Ende aneinanderreihen. Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt ist handwerklich beeindruckend und steht großen Hollywood-Produktionen in nichts nach. Bedauerlicherweise auch nicht in Bezug auf die dabei oft kritisierten Schwächen. Sieht man darüber hinweg, gibt es hier kurzweilige wie unheimliche und stimmungsvolle Horror-Unterhaltung. Es hätte nur mühelos so viel mehr sein können.