Hard Candy [2005]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. März 2012
Genre: Thriller

Originaltitel: Hard Candy
Laufzeit: 104 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2005
FSK-Freigabe: keine Jugendfreigabe

Regie: David Slade
Musik: Harry Escott, Molly Nyman
Darsteller: Patrick Wilson, Ellen Page, Sandra Oh, Odessa Rae, G.J. Echternkamp


Kurzinhalt:
Nachdem sie sich schon längere Zeit in Internetchatrooms unterhalten haben, schlägt die 14jährige Hayley (Ellen Page) ein Treffen mit ihrem Chatpartner Jeff Kohlver (Patrick Wilson) vor. Er ist 32 Jahre alt und Fotograf. Sie treffen sich in einem Coffeeshop und beginnen, sich zu unterhalten. Im Laufe des Gesprächs beschließen sie, zu Jeff nach Hause zu fahren, wo er auch alle seine Porträts aufgenommen hat. Viele Bilder haben minderjährige Mädchen als Motiv, und Jeff ahnt schon, dass Hayley auch fotografiert werden möchte. Doch als sie beginnt, für ihn zu posieren, verliert er das Bewusstsein.
Als er wieder erwacht stellt er fest, dass er an einen Stuhl gefesselt ist und sich nicht befreien kann. Hayley sitzt vor ihm und teilt ihm mit, dass er in ihren Augen ein Pädophiler ist – und sie ihn bloßstellen wird. Es beginnt ein Duell, bei dem es seit dem Moment, dass sie ihn betäubt hatte, für beide kein Zurück mehr gibt ...


Kritik:
Schon auf Grund der kammerspielartigen Ausgangslage weist Hard Candy Parallelen zu Roman Polanskis Bühnenadaption Der Tod und das Mädchen [1994] auf. In beiden Fällen spielt sich zwischen den Figuren ein psychologisches Duell ab, bei dem die Geheimnisse einer Person aufgedeckt werden sollen. Als Zuseher sitzt man zwischen den Stühlen und weiß nicht, wem man Glauben schenken soll. Worin sich David Slades erster Spielfilm von anderen Projekten unterscheidet ist, dass sich im Laufe der etwas mehr als eineinhalb Stunden das Gleichgewicht unserer Sympathien verschiebt. Dies geht soweit, dass man Ende gar keine Bezugsperson mehr hat.

Dabei beunruhigt bereits der Auftakt der Geschichte, bei dem sich die 14jährige Hayley zum ersten Mal mit dem 32jährigen Fotografen Jeff in einem Coffeeshop trifft. Wir sehen den Verlauf eines Internetchats zwischen beiden eingeblendet, bei dem die Formulierungen über das hinausgehen, was ein erwachsener Mann mit einem Teenager besprechen sollte. Und auch im Shop bleibt das Gefühl, dass allein die Wortwahl eine Grenze überschreitet, bei der einem unwohl wird. Sie vereinbaren, dass Hayley mit zu ihm nach Hause fährt – und da er sie nochmals ermahnt, ihrer Schwester Bescheid zu geben, wo sie hin geht, kann er doch kein schlechter Kerl sein, oder? Wer würde wollen, dass sein Opfer die Verwandten über den Aufenthaltsort informiert? In dem hellen Haus angekommen, übernimmt Hayley die Initiative, dreht die Musik auf und tanzt vor Jeff, der kurz danach zusammenbricht. Als er wieder aufwacht, ist er an einen Stuhl gefesselt.

Was sich dann zwischen den beiden abspielt, sollten die Zuschauer selbst herausfinden. So viel sei verraten, Hayley vermutet hinter Jeff einen pädophilen Gewaltverbrecher und hat vor, ihn zu enttarnen. Dazu kündigt sie ihm wenig später sogar an, dass sie ihn kastrieren wird, um andere Mädchen zu schützen.
Der Titel, Hard Candy, nimmt Bezug darauf, wie Pädophile minderjährige Mädchen bezeichnen. Gleichzeitig unterstreicht er auch, wie Hauptfigur Hayley uns erscheint. Sie ist eine Mischung aus Kraft und Stärke, sowie Unschuld und Verletzlichkeit. Doch hat sie mit dem, was sie tut, tatsächlich Recht? Sie durchsucht lange das gesamte Haus, ohne irgendeinen Beweis zu finden. Jeff beteuert stets seine Unschuld und doch ist er nicht geheuer. Vor allem: Was treibt eine 14jährige an, einen Erwachsenen auf so persönliche Weise angreifen zu wollen? Wäre es nicht einfacher, Beweise für seine Schuld zu sammeln und ihn der Polizei zu übergeben?

Auf manche Fragen liefert der Thriller, den man auf Grund der Zeichnungen der Figuren letztlich nicht als Drama betiteln kann, eine Antwort. Auf andere nicht. Wir erfahren genug, um in unserer Entscheidung über die Taten von Jeff und Hayley unsicher zu bleiben. Was uns jedoch an das Geschehen fesselt sind die beiden Darsteller Ellen Page und Patrick Wilson, die sich hier zu Leistungen anspornen, die bemerkenswert sind. Wann schien ein Teenager so kalt und voll unbändiger Energie? Wann so berechnend? Jeff auf der anderen Seite, dem es auf Grund seines höheren Alters an sich gelingen sollte, die Situation zumindest durch das, was er sagt, unter Kontrolle zu bringen, schwankt zwischen Wut, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Akzeptanz dessen, was er nicht ändern kann. Was sie zeigen gleicht einem Kraftakt, dessen Spannungen sich auf das Publikum übertragen.
Dies unterstützt nicht nur die mitunter schon intim dichte Kameraführung, sondern insbesondere die Farbauswahl. Es ist nicht oft, dass im Vorspann ein "Digital Colorist" benannt wird. Doch die Wechsel von warmen zu kühlen Farben, von ausgewaschenen Momenten, die sich nur auf wenige Farbtöne beschränken, hin zu einem gewohnten Farbspektrum, sind so fließend und immer auf die Gefühlslage der Figuren zugeschnitten, dass sie die jeweilige Stimmung der Szene gekonnt unterstreichen.

Doch fragt man sich am Ende trotz des bisweilen aufwühlenden Inhalts, ob Hard Candy durch das Schicksal der Figuren nahegeht, ist die Antwort sehr schwierig. Wer auf eine eindeutige Abgrenzung zwischen Opfer und Täter hofft, wird keine finden. Der Film bleibt eine Erklärung für die Existenz eines Charakters schuldig, der mit dem kindlichen Auftreten so gar nichts gemein hat. Vielleicht ist sie tatsächlich das Ergebnis all dessen, was sie aufzudecken sucht, wie sie selbst sagt, doch wem hat sie am Ende geholfen? Sich selbst?


Fazit:
Auf Grund des Gezeigten besteht die Gefahr, dass Hard Candy genau das Publikum findet, das es eigentlich aufdecken will. Es wird ein Risiko gewesen sein, das Regisseur David Slade eingehen musste, um den Thriller zu erzählen. Doch mit welchem Zweck tut er dies? Vermutlich am ehesten, weil er das Überraschungsmoment aufzeigen wollte, wenn jemand, den man sich als unterlegen und als Opfer vorstellen würde, urplötzlich mit einer eigenen Agenda triumphiert.
Dank der beiden ausgezeichneten und geforderten Darsteller ist ihm dies gelungen, und doch bleibt am Ende ein schaler Beigeschmack. Denn auch wenn wir mit den beiden Figuren in jenem Haus sind, wir bleiben doch Beobachter und können mit keinem sympathisieren. Das macht den Independent-Film trotz oder gerade auf Grund seiner Intensität für ein erwachsenes Publikum interessant, doch man bleibt schließlich unschlüssig angesichts seiner Wirkung.