Hagen - Im Tal der Nibelungen [2024]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. Oktober 2024
Genre: Fantasy / Action / Drama

Laufzeit: 133 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Cyrill Boss, Philipp Stennert
Musik: Adam Lukas, Jacob Shea
Besetzung: Gijs Naber, Jannis Niewöhner, Dominic Marcus Singer, Lilja van der Zwaag, Rosalinde Mynster, Alessandro Schuster, Jördis Triebel, Jörg Hartmann, Béla Gabor Lenz, Johanna Kolberg, Emma Louise Preisendanz, Maria Erwolter


Kurzinhalt:

Europa im Mittelalter. Selbst das stolze Reich der Burgunder kämpft ums Überleben. Dem Waffenmeister Hagen von Tronje (Gijs Naber) gelingt es nicht, das Leben seines Königs zu beschützen. Seine Schmach ist umso größer, da er als Waise einst vom König aufgenommen wurde. Dessen Nachfolger, König Gunter (Dominic Marcus Singer), sucht Allianzen, um das Reich gegen seine Feinde zu wappnen. Da bietet Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner), der mit seinen Kämpfern durch die Lande zieht, seine Dienste an. Siegfried soll unverwundbar sein, nachdem er im Blut des Drachen badete, den er erlegte. Tatsächlich ist er ein furchtloser Kämpfer, der die Soldaten und das Volk begeistert. Dass Siegfried ein Auge auf Gunters Schwester Kriemhild (Lilja van der Zwaag) geworfen hat, bringt Hagen weiter gegen ihn auf, ist er doch heimlich in Kriemhild verliebt. Doch Siegfrieds Furchtlosigkeit und sein Unvermögen, sich dem König unterordnen zu können, lassen ihn zunehmend in Ungnade fallen. Es ist der Beginn einer Tragödie, die der Stoff von Sagen sind …


Kritik:
Hagen - Im Tal der Nibelungen ist keine Adaption des aus dem 13. Jahrhundert stammenden Nibelungenlieds, sondern von Wolfgang Hohlbeins Romaninterpretation derselben, Hagen von Tronje [1986]. Man mag auf den ersten Blick skeptisch sein, ob es eine deutsche Heldeneposverfilmung mit denjenigen aus der Traumfabrik aufnehmen kann, doch gerade handwerklich sind dem die Filmschaffenden Cyrill Boss und Philipp Stennert mühelos gewachsen. Man würde sich vielmehr wünschen, die Verantwortlichen würden sich mehr Zeit für ihre Geschichte nehmen.

Dabei sollten sich Interessierte dessen bewusst sein, dass dies nicht die Geschichte von Siegfried, dem Drachentöter ist, auch wenn er eine der zentralen Figuren darstellt. Es ist vielmehr die Erzählung der Sage aus Sicht Hagen von Tronjes, der als Kind, so erinnert er sich und es wurde ihm erzählt, den Angriff eines Drachens auf sein Dorf überlebt hat. Der König von Burgund nimmt den Waisenjungen auf und zieht ihn groß. Doch als angesehener Waffenmeister gelingt es ihm nicht, seinen König zu beschützen. An dessen Stelle tritt sein Sohn Gunter, der sich weiterhin auf Hagens Rat verlässt. So gibt er Hagen nach, die königliche Schwester Kriemhild nicht in ein anderes Königshaus zu verheiraten. Was Gunter nicht ahnt: Hagen ist in Kriemhild verliebt, bringt es aber, ungeachtet ihrer offenen Zuneigung nicht über sich, es ihr zu sagen. Da kommt Siegfried von Xanten zum Hofe Burgunds und zeigt Interesse an Kriemhild. Zu Siegfrieds Gefolge gehören nicht nur seine Kämpfer, sondern auch Alberich, ein altes Wesen mit magischen Fähigkeiten, das den Geist der Menschen einnehmen kann.

Selbst wenn die Filmschaffenden Cyrill Boss und Philipp Stennert das Publikum immer nur einen Blick auf ihre Fantasywelt erhaschen lassen, mit Wesen, die in Wäldern lauern und die ureigensten Ängste der Menschen hervorbringen, der isenländischen Walküre Brunhild als Tochter der Götter, deren Fähigkeiten nie ausgelotet werden, mit Drachen oder uralten Geschöpfen, Hagen erzeugt in diesem Hinblick eine ebenso detailreiche wie viel versprechende Atmosphäre. Doch bleibt Vieles im Verborgenen. Vom letzten Drachen, gegen den Siegfried kämpfte, ehe er sich durch ein Bad in dessen Blut beinahe unverwundbar machte, ist im Film beispielsweise ebenso viel bzw. wenig zu sehen, wie in der Vorschau. Wie der Drachentöter selbigen erlegt hat, verschweigt das Fantasyepos bis auf eine kurze Erzählung vollends. Sein Hintergrund wird in einem kurzen Rückblick, der weniger als eine Minute dauert, vorgestellt.

Auch wird insgesamt weniger gekämpft, als geredet. Im Zentrum stehen zwei sehr unterschiedliche Figuren, die im Laufe der Geschichte durchaus einen gewissen Respekt voreinander entwickeln, ehe es erneut zum Bruch zwischen ihnen kommt. Hagen ist hin und hergerissen zwischen seiner Loyalität zum Hof Burgund und seiner Liebe zu Kriemhild, während Siegfried ein Leben ohne Bedauern lebt. Er gibt jedem Impuls nach, wohl wissend, dass er die Situation unbeschadet überstehen wird. Wenn er kämpfen will, dann kämpft er, oder er zerschlägt Hagens Strategie in einer kriegerischen Auseinandersetzung, die Gunters Soldaten mit dem Leben bezahlen, obwohl er Gunter eigentlich seine Dienste angeboten hat. Seine Rücksichtslosigkeit macht ihn nicht nur beliebt, sondern verleiht ihm eine Ausstrahlung, der auch Kriemhild verfällt, während Gunter zunehmend von der Vorstellung besessen ist, die Walküren-Königin Brunhild, in die Siegfried immer noch verliebt ist, als seine Frau zu gewinnen.

Wohin all das führt, ist für diejenigen, die mit der Sage vertraut sind, keine Überraschung, aber Hagen - Im Tal der Nibelungen ist frisch und stimmungsvoll genug erzählt, dass man der tragischen Geschichte dieser mystischen Figuren bereitwillig folgt. In vielerlei Hinsicht wäre es sogar wünschenswert, die Verantwortlichen würden sich für die Schilderung ihrer Welt mehr Zeit nehmen, da zahlreiche Ideen nur angedeutet, aber nicht ausgeführt werden. Siegfrieds Gefolge, das mit ihm in Burgund eintrifft, spielt für die Geschichte überhaupt keine Rolle und sieht man einige Szenen, vor allem im letzten Drittel, wenn Kriemhild plötzlich vor niedergebrannten Häusern steht, dann scheint es, als würden Teile der Erzählung fehlen. Durchaus interessante Details wie das Ritual, das mit Hagen und Siegfried durchgeführt wird, während Gunter gegen Brunhild kämpft, werden gar nicht erläutert und auch Alberich bleibt als „altes Wesen“ vollkommen undefiniert.

Es scheint beinahe, als wäre die Welt in Hagen viel größer, als die Verantwortlichen sich hier zu erkunden trauen, oder die die Möglichkeit haben. Dabei sie so interessant wie detailreich, eingefangen in Dialogen, die der Materie angemessen getragen, aber nicht unnahbar altdeutsch klingen. Atmosphäre, Masken und die Optik allgemein sind stimmig, bis hin zu einem sichtbaren Aufwand, der es durchaus mit modernen Fantasyserien aufnehmen kann. Doch obwohl diese Figuren faszinieren, selten nimmt das Geschehen wirklich mit. Das mag an dem ein oder anderen, sich wiederholenden Rückblick liegen, oder den zahlreichen Zeitlupen, die in Filmclips toll aussehen, aber Tempo aus der Geschichte nehmen. Angesichts des Umstands, dass die Familiengeschichte am Hofe Burgunds nur angedeutet bleibt, wie auch Siegfrieds gesamter Hintergrund, könnte es aber auch daran liegen, dass zu viele Aspekte gar nicht erst erforscht werden.


Fazit:
Dass Drachen in der Geschichte im Grunde keine Rolle spielen, wird sicher manche enttäuschen, dabei bietet das Nibelungenlied im Grunde mehr als genügend Material für Intrigen, Meuchelei und Liebschaften. Diese Aspekte kundschaften Cyrill Boss und Philipp Stennert auch aus, gekleidet in chice Bilder, die zum Ende hin zunehmend herausragende Landschaftsaufnahmen beinhalten. Auch zuvor ist ihre Fantasyerzählung handwerklich tadellos bis beeindruckend und aufwändig in Szene gesetzt. Dass ausgerechnet die letzte Schlacht gegen die Hunnen kaum gezeigt wird, ist dabei schlicht bedauerlich. Ebenso, dass zahlreiche Aspekte nicht zu Ende geführt werden oder ihr Potential nicht ausgeschöpft wird. Beispielsweise, dass der Erzählung die Unausweichlichkeit fehlt, die solche Sagen und das Schicksal ihrer meist mächtigen Protagonisten oftmals auszeichnet, die dann selbst nur Spielball nur noch größerer Mächte werden. Dabei folgt Hagen unwissentlich letztlich doch nur Alberichs Plänen, was aber leider nicht herausgestellt wird. Es ändert nichts daran, dass Hagen - Im Tal der Nibelungen ein bildgewaltig gelungenes, fantastisches Epos ist, bei dem das Schicksal der Figuren interessiert, da ihre jeweilige Reise unerwartete Richtungen einschlägt. Insbesondere in Hinblick auf Kriemhild und auf welchen Pfad die Ereignisse sie letztlich führen.
Die Frage ist am Ende nur, ob das Publikum für die deutschsprachige Aufbereitung dieser mittelalterlichen, europäischen Sage bereit ist? Für Genrefans ist sie jedenfalls eindeutig eine Empfehlung wert.