Für alle Fälle Fitz: "Mörderische Liebe" [1993]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 19. März 2006
Genre: Krimi / DramaOriginaltitel: Cracker: "To Say I Love You"
Laufzeit: 150 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 1993
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Andy Wilson
Musik: Roger Jackson
Darsteller: Robbie Coltrane, Christopher Eccleston, Barbara Flynn, Lorcan Cranitch, Geraldine Somerville, Kieran O'Brien, Ian Mercer, Tess Thomson, Andrew Tiernan, Susan Lynch, Tim Barlow
Kurzinhalt:
Als psychologischer Berater ist Dr. Edward 'Fitz' Fitzgerald (Robbie Coltrane) inzwischen ein fester Bestandteil des Ermittlungsteams um DCI Bilborough (Christopher Eccleston), der Fitz' neueste Schlussfolgerungen aus dem Tatort eines brutalen Mordes aber nicht teilt. Die Ermittlungen der Polizei, darunter DS Jane Panhaligon (Geraldine Somerville) und DS Jimmy Beck (Lorcan Cranitch) scheinen allerdings einen empfindlichen Nerv getroffen zu haben, denn wenig später gibt es eine weitere Leiche, die die Handschrift desselben Täters aufweist.
Möglicherweise hätte die Polizei den Täter sogar bereits verhaften können, hätte man auf Fitz Rat gehört – der hat gleichzeitig mit seiner Ehekrise zu kämpfen, immerhin stellt ihm Ehefrau Judith (Barbara Flynn) Bedingungen für ihren Wiedereinzug ins gemeinsame Haus.
Das Mörderpaar Sean (Andrew Tiernan) und Tina (Susan Lynch) ist indes entschlossen, gegen jeden vorzugehen, der ihre gemeinsame Zukunft gefährden könnte, und sie scheuen auch nicht vor den Ermittlungsbehörden zurück ...
Kritik:
Beobachtet man sich einmal selbst, so ist es mehr als nur verwunderlich, was einen als Zuschauer an einer egoistischen, lasterbehafteten Figur wie Edward Fitzgerald tatsächlich reizt – und doch übt der eloquente und charismatische Psychologe Fitz eine Anziehungskraft aus, die sich kaum in Worte fassen lässt. Dabei ist er auch in seinem zweiten Fall nicht grundlegend sympathisch, sondern entpuppt sich vielmehr als exzentrischer Egomane mit einem beinahe schon selbstzerstörerischen Hang, sich immer weiter ins Abseits zu befördern. Was ihn indes interessant macht, wird in dem erneut von Jimmy McGovern verfassten Drehbuch ebenso deutlich, legt der Autor doch erneut weitere Schichten der faszinierenden, weil nachvollziehbaren Psyche seines Protagonisten bloß – und liefert eine erschreckend-plausible Erklärung für die Spielsucht, die Fitz bereits mehr als nur Geld kostete.
Eingeteilt in drei separate Episoden nimmt sich McGovern erneut sehr viel Zeit, seine Figuren zu beleuchten und die Geschichte auf mehreren Ebenen ins Rollen zu bringen. Der Kriminalfall selbst beansprucht bedeutend mehr Zeit als noch bei "Mord ohne Erinnerungen", wobei das Hauptaugenmerk des Autors nachwievor ganz eindeutig auf seinen vielen Charakteren liegt, die hier alle ins Rampenlicht gerückt werden und etwas zu tun bekommen.
Inhaltlich weisen die drei einzelnen Folgen eine unterschiedliche Gewichtung auf: So verlagert Jimmy McGovern die Story im ersten Drittel auf den männlichen Täter des mörderischen Zweigespanns, und bringt gleichzeitig Fitz weiter voran. Im Mittelteil konzentriert sich der Autor hingegen auf die Polizeiarbeit und greift Handlungsfäden aus dem ersten Fall wieder auf, wohingegen das letzte Drittel die weibliche Täterin in den Mittelpunkt rückt. Dies hat zwar zur Folge, dass McGovern auf die Charaktere so genau eingehen kann, wie es meist nur Roman-Autoren vergönnt ist, allerdings leidet darunter insbesondere im ersten Drittel ein wenig die Dramaturgie – für einen Krimi geschieht hier schlicht nicht genug, und selbst die Dialoge zwischen Tina und Ermittler Giggs muten ungewöhnlich weltfremd an.
Davon abgesehen überzeugen gerade die schwierigen Momente wie Penhaligons Gespräche mit Bilborough und Jimmy Becks Reaktionen durch eine ungeschönte Natürlichkeit, die gerade daraus ihre emotionale Durchschlagskraft erreichen. Für ebenso amüsante wie aufschlussreiche Momente sorgen wie gehabt die Gespräche und Monologe von Fitz, die für aufmerksame Zuhörer einprägsam und außerordentlich lehrreich geraten sind, und mit einem Grad an psychologischer Finesse aufwarten, der schlichtweg überwältigt. Zu den Highlights gehören zweifellos die Auseinandersetzungen mit seiner erfreulicherweise sehr schlagfertig geschriebenen Frau Judith, die es als einzige vermag, ihren Gatten sprachlos zurückzulassen. Dagegen kratzt McGovern bei den beiden Tätern nur an der Oberfläche, lässt lediglich Teile ihrer Persönlichkeit durchblitzen und vermeidet so unnötige Klischees – greifbar ist die Dynamik gelungen, mit der sich die beiden Antagonisten gegenseitig zu den Morden motivieren, und gerade aus diesem Grund derart erschreckend. Die Erkenntnis, wer letztlich wen wozu verleitet, bewahrt sich McGovern für das Finale auf, das er durch überraschende und originelle Einfälle sehr spannend und vor allem unvorhersehbar gestaltet.
Im Ergebnis kann man der Vorlage von "Mörderische Liebe" ansich nur den Vorwurf machen, dass die Geschichte in der ersten Hälfte etwas schleppend in die Gänge kommt – allerdings verbergen sich gerade hier tolle Momente für die Figuren (die auch ihre zukünftige Entwicklung andeuten), die man als Fan und Zuschauer keinesfalls verpassen sollte.
Von den tief gehenden Charakterisierungen profitieren hauptsächlich die Darsteller, die von einem erstklassigen Robbie Coltrane angeführt werden. Er hat sich die Rolle des kettenrauchenden, trinkenden und spielsüchtigen Psychologen so sehr verinnerlicht, dass es keine Grenze zur Schauspielerei mehr gibt – vielmehr bekommt man als Zuseher das Gefühl, Coltrane würde vor der Kamera seinen ganz normalen Alltag bestreiten. Dass er diese Natürlichkeit selbst in den sehr abwechslungsreichen und bisweilen gänzlich unerwarteten Dialogen bewahrt, ist ihm hoch anzurechnen.
Das Gleiche gilt für Geraldine Somerville und ihre überzeugende Darbietung aus Stärke und Verletzlichkeit in einigen denkwürdigen Szenen des Krimis. Sie leistet eine erstklassige Arbeit und bricht erfreulicherweise aus dem Klischee der gewöhnlichen Polizistin aus, um sich gegenüber ihren männlichen Kollegen zu behaupten.
Deutlich mehr gefordert als noch in "Mord ohne Erinnerungen" ist hier Christopher Eccleston, dessen Figur Stück für Stück über die Attribute aus dem Pilot-Film hinauswächst und sich als sympathischer, wenn auch karrierebetonter Vorgesetzter mit einem persönlichen Draht zu seinen Mitarbeitern entwickelt – hier wird der Grundstein für Bilboroughs kommende Entwicklungen gelegt.
Verhältnismäßig wenige Auftritte hat Lorcan Cranitch, der die impulsiven Züge seines Charakters sehr gut spüren lässt, davon abgesehen am Fall selbst jedoch nur am Rande beteiligt ist.
Ebenso Ian Mercer, der zwar eine solide Leistung erbringt, aber merklich unter den gekünstelt wirkenden Dialogen in seinen Szenen leidet.
Kieran O'Brien und Tess Thomson können wie im Pilot-Film überzeugen, während ihre Film-Mutter Barbara Flynn erneut einen überragenden Eindruck hinterlässt und in der letzten Konfrontation mit Fitz durch eine sehr treffende, weil nicht übertriebene Mimik beweist, dass sie ihrem gewichtigen Gegenpart auch darstellerisch ebenbürtig ist.
Eine zentrale Rolle fällt den beiden Jungdarstellern Andrew Tiernan und Susan Lynch zu, die das mordende Liebespaar mimen. Lynch, die unter anderem in Coltranes From Hell [2001] einen Auftritt hatte, kommt dabei zwar weniger zum Zug, zeigt aber insbesondere in den Gesprächen mit Robbie Coltrane ihr Talent und spielt ein sehr überzeugendes Porträt einer bedeutend einflussreicheren und intriganteren Person, als man zunächst erwarten würde. Tiernan setzt die Sprachbehinderung seiner Figur so ergreifend um, dass man als Zuschauer erst sehr spät erkennt, welche Veranlagungen eigentlich in Sean stecken. Seine Verkörperung beeindruckt mit einer furchteinflößenden Authentizität, die selbst in den wutentbrannten Momenten überzeugend bleibt.
Die Besetzung ist dank des Drehbuchs nicht nur durchweg gefordert, sondern einmal mehr exzellent gewählt, wobei bei manchen im Pilot-Film etablierten Figuren erst langsam deutlich wird, welche Charakter-Momente McGovern im Sinn hatte, und weswegen ausnahmslos hochkarätige Darsteller besetzt wurden.
Regisseur Andy Wilson, der unter anderem den David Duchovny-Thriller Playing God [1997] inszenierte, ansonsten allerdings hauptsächlich im TV-Bereich zu Hause ist, kleidet zusammen mit Kameramann Ivan Strasburg (preisgekrönt für seine Arbeit an diesem TV-Mehrteiler) und Schnittmeister Oral Norrie Ottey (Band of Brothers – Wir waren wie Brüder [2001]) den zweiten Fall des charismatischen Psychologen in ruhige Bilder, die immer wieder aus einfallsreichen Perspektiven aufgenommen sind und vereinzelt in passenden Momenten durch Zeitlupen unterstützt werden. So sind die authentischen und exzellenten Sets plastisch greifbar und die Umgebung wird Teil der Handlung. Während der Verhöre entwickelt sich zudem eine gelungene Kammerspiel-Atmosphäre, wohingegen die Außenaufnahmen nichtsdestoweniger auf die Figuren eingehen, ohne sie gleichzeitig zu beengen.
Die innovativen Blickwinkel, die öfter als zunächst ersichtlich mit einer durchdachten Bildersprache versehen sind, und die sicherlich nicht unproblematisch einzurichtenden Kamerafahrten heben die Produktion merklich über vergleichbare TV-Krimis hinaus und zeugen von einem Handwerk, das man einmal mehr ansonsten meist nur auf der großen Leinwand bewundern kann.
Die Musik von Roger Jackson wiederholt sich zugegebenermaßen insbesondere in Bezug auf das für Fitz geschriebene Thema im Laufe der zweieinhalb Stunden recht häufig, und wird auch außergewöhnlich laut eingespielt, eignet sich aber dennoch gut für den Film – nicht zuletzt, weil der Komponist die jazzigen Themen von "Mord ohne Erinnerungen" in "Mörderische Liebe" durch ebenso instrumentale, aber etwas weniger klassische Motive ersetzt hat.
Darüber hinaus setzt Jackson auf ein eigens für Sean und Tina komponiertes Stück, das den Bonnie und Clyde-Charakter der Geschichte noch unterstreicht. Der Score hätte vielleicht etwas leiser abgemischt werden können, schafft jedoch die Balance zwischen instrumentalem Soundtrack und elektronisch-atmosphärischer Begleitung sehr gut, so dass die Geschichte ansprechend unterstützt wird.
Nicht viele TV-Serien besitzen den Mut, ihre Figuren derart großen Veränderungen zu unterziehen – meist verteilt sich die Entwicklung einer Hauptfigur auf mehrere Jahre, anstatt dies in wenigen Episoden abzuhandeln. Bei Für alle Fälle Fitz geht Serien-Erfinder und Drehbuch-Autor Jimmy McGovern einen anderen Weg und führt die in "Mord ohne Erinnerungen" begonnenen Story-Elemente konsequent fort. So kommt es zu Gesprächen zwischen Fitz und seiner Ehefrau Judith, ohne aber diesen Konflikt hier schon aufzulösen – und obwohl Fitz' wahre Motivation hinter seiner Spielsucht aufgedeckt wird, und seine größte Schwäche beim Finale gar gefährliche Ausmaße annimmt, steckt doch weit mehr hinter witzigen Szenen, wie dem folgeschweren Auftritt Fitz' bei den Anonymen Spielern.
McGovern führt seine Hauptfiguren weiter auf ihrer Reise und lässt dabei auch Nebencharaktere in ihrer Entwicklung weiterkommen – dass es ihm außerdem gelingt, ein überzeugendes und gerade deshalb beängstigendes Mörderpaar zu schaffen, kommt dem Krimi-Anteil zugute, der zugegebenermaßen immer noch zweitrangig ist. Im Mittelpunkt stehen die zahlreichen Figuren, deren Handlungen sie selbst und alle um sie herum beeinflussen – und wenn man weiß, wie sich die Geschichte weiter entwickelt, verbergen sich hier noch viel mehr Omen auf die Zukunft, als man eigentlich erwarten würde.
Genau diese Unvorhersehbarkeit kennzeichnet das große Vergnügen, das der Zuschauer bei Für alle Fälle Fitz hat.
Fazit:
Es heißt, Selbsterkenntnis sei der erste Schritt auf dem Wege zur Besserung – aber was, wenn ein Psychologe sich seiner Charakterschwäche und ihrer Ursache durchaus bewusst ist, ihr aber dennoch erliegt? Mit Edward 'Fitz' Fitzgerald erschuf Jimmy McGovern eine solche realitätsnahe Figur mit ihren Fehlern und Schwächen und begleitet sie in "Mörderische Liebe" weiter auf ihrem Lebensweg, ohne Fitz dabei zu verurteilen, sondern lediglich mit der Bewunderung für seine analytischen Fähigkeiten. Diese sind in dem klassischen, aber erfreulich klischeefreien und in letzter Konsequenz auch tragischen Fall um das mordende Liebespaar vonnöten, und so rücken die Macher Fitz' Rede-Talent gelungen weiter in den Mittelpunkt.
Unter den zahlreichen Charakter-Momenten leidet im ersten Drittel allerdings ein wenig das Erzähltempo, und manche, wenngleich wenige Dialoge scheinen ohne den gewohnten Feinschliff umgesetzt worden zu sein.
Darüber hilft Regisseur Andy Wilson dank einer sehr guten Optik, einem spannenden Finale und herausragenden Darstellern aber gekonnt hinweg, die von einem so charismatischen, wie verblüffenden Robbie Coltrane angeführt werden, der Für alle Fälle Fitz nicht nur veredelt, sondern ganz in seiner Rolle aufgeht.