Flight [2012]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 06. Juli 2013
Genre: DramaOriginaltitel: Flight
Laufzeit: 138 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2012
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Robert Zemeckis
Musik: Alan Silvestri
Darsteller: Denzel Washington, Kelly Reilly, Bruce Greenwood, Don Cheadle, John Goodman, Tamara Tunie, Nadine Velazquez, Brian Geraghty, Melissa Leo, James Badge Dale, Bethany Anne Lind, Janet Metzger, Adam Tomei, E. Roger Mitchell
Kurzinhalt:
Zwei Stunden, bevor sein Flug geht, klingelt der Wecker im Hotelzimmer von Whip Whitaker (Denzel Washington). Um die Auswirkungen seines Alkoholexzesses vom Vorabend zu kurieren, nutzt er das bereitliegende Kokain. Wenig später steigt er ins Cockpit – er ist der Kapitän des Inlandsflugs. Als der Co-Pilot Evans (Brian Geraghty) später die Landevorbereitungen treffen will, gerät das Flugzeug außer Kontrolle und stürzt ab. Whitaker gelingt eine Notlandung, bei der jedoch sechs Menschen sterben. Selbst seine Kollegen sprechen von einem Wunder. Während die Presse ihn als Held feiert, startet die Flugsicherheitsbehörde unter der Leitung von Ellen Block (Melissa Leo) eine Untersuchung. Selbst im Simulator gelingt es niemandem, die Maschine so zu landen, wie Whitaker. Noch im Krankenhaus wurde ihm zudem Blut abgenommen und festgestellt, dass er unter Alkohol- und Drogeneinfluss geflogen war.
Der Vertreter der Gewerkschaft Charlie Anderson (Bruce Greenwood) stellt Whip den Anwalt Lang (Don Cheadle) zur Seite. Aber auch wenn ihm ein Verfahren droht, kann er nicht aufhören zu trinken. Selbst Nicole (Kelly Reilly), die er im Krankenhaus kennen gelernt hat, und die damit zu kämpfen hat, von ihrem Drogenproblem loszukommen, kann ihn nicht überzeugen, Hilfe zu suchen. So versucht Whip nicht nur, seine Team-Kollegen davon zu überzeugen, ihn in Schutz zu nehmen, sondern steuert auf eine öffentliche Bloßstellung zu, bei der ihm eine lange Gefängnisstrafe droht ...
Kritik:
Alkoholiker sind in einer lockeren Runde gern gesehen, wenn vielleicht auch nicht willkommen. Der Grund ist einfach, sie sind gesprächig, haben immer eine humorvolle Anekdote beizusteuern und heben mit viel Lachen die Gespräche auf ein angenehmes, ansteckendes Niveau. Wenn der eine Drink zu viel genommen wird, ihre Euphorie entweder in unkontrollierte Apathie oder aber in Selbstmitleid und Wut überschlägt, möchte niemand gern in ihrer Nähe sein. Es ist der Absturz, zusammen mit dem Aufwachen am nächsten Tag – Kater mit einhergehender Depression inklusive –, der sie schließlich zum nächsten Tropfen führt. In einer Zeit, in der nach aktuellen Studien fünf Prozent der Arbeitnehmer alkoholkrank sind und weitere 10 % eine gefährliche Nähe zum Alkohol pflegen, fragt man sich doch, wie sicher wir uns fühlen können, wenn wir im Straßenverkehr unterwegs sind. Im Bus oder der U-Bahn. Wenn jemand wie Captain Whip Whitaker als Pilot eines Flugzeuges betrunken die Verantwortung für über Einhundert Menschen übernimmt, ist er dann in einem schlimmeren Maße verantwortungslos als jemand, der angetrunken am Steuer auf die Autobahn auffährt?
Die Filmvorschau von Flight, dem ersten Realfilm von Regisseur Robert Zemeckis in mehr als zehn Jahren, blieb mit den Bildern eines Furcht einflößenden Flugzeugabsturzes in Erinnerung, die sich in das Gedächtnis einbrennen. Doch sollten Zuschauer wissen, dass sich das Drama nicht um die Aufklärung der Absturzursache dreht, sondern eine Charakterstudie des alkohol- und drogenabhängigen Piloten darstellt, der zwar wie durch ein Wunder die Maschine aufsetzen konnte, der mit seiner Trunkenheit am Steuerknüppel dennoch eine Straftat begangen hat.
Wenn wir ihn zum ersten Mal sehen, wacht er neben einer Flugbegleiterin im Hotel auf, zwei Stunden, bevor sein Flug starten soll. Um seinen Kater nach der durchfeierten Nacht überwinden zu können, nimmt er Kokain und setzt sich anschließend ins Cockpit. Whip Whitaker ist kein Held, auch wenn seine Handlungen so viele Menschen gerettet haben. Seine Verantwortungslosigkeit, nur weil sie bis dahin ohne Konsequenzen geblieben ist, ist dennoch ein Vertrauensbruch. Nach dem Absturz wird er von der Presse als Held gefeiert, während die Pilotengewerkschaft, vertreten durch Charlie Anderson, ihm den Anwalt Hugh Lang zur Seite stellt. Bereits im Krankenhaus war der Besatzung Blut abgenommen worden und somit nachgewiesen, dass Whip zuvor Alkohol und Drogen konsumiert hatte. Allein hierfür kann er ins Gefängnis kommen. Gelingt es der Vertreterin der Flugsicherheitsbehörde Ellen Block, nachzuweisen, dass er für den Absturz und den Tod von sechs Menschen verantwortlich ist, droht ihm sogar lebenslänglich.
Es gibt zwei Momente in Flight, in denen wir als Zuseher die Hoffnung hegen, dass Whip seine Sucht überwunden hat. Einmal unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, wenn er allen Alkohol in seinem Haus ausschüttet. Auf Hilfe, wie sie ihm von Charlie angeboten wird, will er verzichten – er schafft es aus eigener Kraft. In seinem aufrüttelnden Blog sprach der kürzlich verstorbene Filmkritik Roger Ebert über dieses Thema und findet dazu klare Worte. Whips Rückfall ist vorprogrammiert, sobald der Druck auf ihn zunimmt. Und selbst, nachdem er eine Woche ohne einen Schluck durchgestanden hat, wie kann er der Versuchung widerstehen, wenn der Stress, der auf ihm lastet immer größer wird? Er, ganz allein?
Sieht man sich hierzu den Absturz selbst an, als der Druck auf ihn kaum größer werden kann, und beobachtet, wie ruhig er dabei bleibt, erkennt man auch, was der Alkohol und die Drogen tatsächlich für ihn bedeuten. Wie sie ihm helfen, Ruhe zu bewahren.
In der Rolle des Piloten zeigt Denzel Washington eine der besten Darbietungen seiner Karriere. Von den manischen und depressiven Episoden abgesehen, kann man kleine Veränderungen in seiner Mimik und Gestik beobachten, wenn Whip denn einmal nüchtern ist. Whitakers Geschichte ist zermürbend und ebenso gespielt. So unsympathisch die Figur, so verständlich ist ihr Kampf für jeden, der selbst oder in seinem Umfeld mit alkoholkranken Menschen bereits konfrontiert wurde.
Dass es für ihn einen schnelleren, einen anderen Ausweg gegeben hätte, sehen wir an der drogenabhängigen Nicole, einfühlsam verkörpert von Kelly Reilly, die sich ihre Sucht eingesteht und Hilfe sucht. So gelungen ihre Figur als Leitbild für Whip funktioniert, ihre Geschichte macht Flight länger, als er hätte sein müssen. Bildgewaltig ruhig umgesetzt und mit einer treffenden, aber nicht anrührenden Musik von Alan Silvestri untermalt, wiederholt das Drama unnötigerweise im Mittelteil seine Aussage und ist darum nicht immer packend. Doch bringt es so auch die Spirale zum Ausdruck, in der Menschen wie Whip Whitaker gefangen sind, bis es ihnen gelingt, daraus auszubrechen. Und diese Flucht nach vorn können nur sie selbst antreten.
Fazit:
Was wollen wir erreichen, wenn wir uns betrinken? Am nächsten Morgen sieht die Welt mindestens ebenso schlimm aus, wenn nicht schlimmer, als zuvor. Sieht kurz vor Schluss, ein kleines Mädchen im Aufzug durch Whips Fassade, sieht sie, was er so lange Zeit hoffte, mit dem Alkohol verdrängen zu können: Wie er selbst im Innern geworden ist. Doch sein verzerrtes Spiegelbild bleibt ihm nicht verborgen. Dieser kleine Moment ist ebenso beeindruckend wie bewegend und fasst all das zusammen, was Flight auszeichnet. Filmemacher Robert Zemeckis gelingt ein treffendes, wenn auch deprimierend erschütterndes Porträt eines Mannes, der stellvertretend für viele andere Menschen steht. Er trinkt schon so lange und nimmt so oft Drogen, dass er sich erfolgreich einredet, er könne damit aufhören, wenn er will. Dass es seine freie Entscheidung wäre. Und es dauert lange, ehe er erkennt, wie er sich mit dieser Aussage tatsächlich selbst belügt.
Herausragend gespielt sowohl von den Haupt- wie auch den Nebendarstellern, ist das ruhige Drama ebenso gelungen gefilmt und bietet in vielen Szenen Anlass, die Bildersprache zu deuten. Der Mittelteil ist lang und eine Nebenhandlung nicht unbedingt notwendig, doch die Aussage, die das erstklassige Drehbuch am Ende findet, bringt den inneren Kampf der alkohol- und drogenkranken Menschen so treffend auf den Punkt, dass das letztendlich nicht negativ in Erinnerung bleibt.