Erbarmen [2013]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 21. März 2015
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Kvinden i buret
Laufzeit: 97 min.
Produktionsland: Dänemark / Deutschland / Schweden
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Mikkel Nørgaard
Musik: Johan Söderqvist
Darsteller: Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Sonja Richter, Mikkel Boe Følsgaard, Søren Pilmark, Peter Plaugborg, Magnus Millang, Marie-Louise Coninck, Eric Ericson, Per Scheel Krüger, Troels Lyby


Kurzinhalt:

Als Polizist Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) nach einer schweren Verletzung an die Dienststelle zurückkehrt, wird er in eine neu gegründete Einheit versetzt, die sich mit ungeklärten Fällen beschäftigen soll. Zusammen mit dem Kollegen Assad (Fares Fares) nimmt er sich den Fall der vor fünf Jahren verschwundenen Merete Lynggaard (Sonja Richter) vor. Mørck glaubt nicht an den Selbstmord, den seine Kollegen damals in den Abschlussbericht schrieben. Während Assad versucht, Meretes in sich gekehrten Bruder Uffe (Mikkel Boe Følsgaard) zu erreichen, findet Carl erste Hinweise, die nahelegen, dass Merete entführt wurde ...


Kritik:
Als wäre "Die Frau im Käfig" nicht bereits ein Titel, der Krimifans interessieren würde, greift die Adaption des Jussi Adler-Olsen Romans auf den bekannten und weitaus reißerischeren deutschen Titel Erbarmen zurück. Der lang erwartete erste Teil der Buchtrilogie ist in Wirklichkeit ein Thriller, der wie ein Krimi erzählt wird. Statt wie oft in nordischen Filmen mit berauschenden, kargen Landschaften zu glänzen, stellt Regisseur Mikkel Nørgaard eine charakterliche Wüste in den Mittelpunkt. Das bezieht sich nicht nur auf den Bösewicht.

Im Zentrum der Erzählung steht der Polizist Carl Mørck, der im Prolog anstatt auf Verstärkung zu warten mit zwei Kollegen ein Haus betritt. Ein Kollege stirbt dabei, Carl wird angeschossen, der dritte danach nie wieder laufen können. Als würde all das nicht bereits bekannt genug klingen, vereint Mørck noch viele weitere Klischees in sich: Seine Ehe ist kaputt gegangen – ob an den Folgen des Einsatzes, wird nicht erwähnt – ein Liebesleben scheint es nicht zu geben und seine Kollegen wollen nicht mit ihm zusammenarbeiten. So abweisend und verbittert, wie man ihn als Zuschauer kennenlernt, war er wohl vor dem Zwischenfall bereits. Darum wird Carl in die neu geschaffene Abteilung Q versetzt, in der er zusammen mit dem Kollegen Assad ungelöste Fälle katalogisieren soll.

Der Fall, den sich Mørck zum Beginn aussucht, handelt vom Verschwinden der aufstrebenden Politikerin Merete Lynggaard, die nach dem Ermittlungsergebnis eines von Carl wenig geschätzten Kollegen, von einer Fähre gesprungen und ertrunken sein muss. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Selbstverständlich ergeben Carls und Assads erste Nachforschungen, dass damals schnell und wenig gründlich gearbeitet wurde. In diesem Teil gibt sich Erbarmen in der Tat wie ein Krimi mit der einhergehenden Ermittlungsarbeit. So befragen die Polizisten Meretes Bruder Uffe, der in seiner eigenen Welt abgekapselt und nicht ansprechbar ist. Sie forschen nach einer Konferenz, auf der Merete ihren letzten Liebhaber gefunden hat und handeln sich dadurch den Ärger ihres Vorgesetzten ein, der die beiden an sich auf dem Abstellgleis postiert und nicht mit Widerstand gerechnet hatte.

Immer wieder zeigt Filmemacher Nørgaard die Ereignisse aus Sicht von Merete Lynggaard, die auf der Fähre entführt wurde, um in einer Druckkammer zu erwachen. Ihr Kidnapper erhöht beständig den Druck in der Kammer und hält sie dort jahrelang. Somit ist schon früh klar, dass es in Erbarmen letztlich darum gehen wird, Merete zu finden, bevor ihr Peiniger sein Werk vollendet. Die Tortur, die Sonja Richter in ihren Szenen durchleidet, ist dabei so zermürbend wie packend. Nicht nur, dass sie nicht weiß, was ihr Entführer von ihr will, eingepfercht auf engstem Raum baut sie körperlich immer stärker ab und wird entsprechend immer hagerer. Doch statt dass der Thriller diesem Aspekt Rechnung trägt und entsprechend das Tempo oder die Spannung anzieht, plätschert die Geschichte immer weiter voran.

Dreh- und Angelpunkt und überdies viel interessanter als das "wer" ist in diesem Fall das "wieso". Dass der Täter sein Opfer nicht wird sterben lassen, ohne es Merete zu sagen, ist keine Überraschung, doch obwohl man als Zuschauer mit Merete mitfiebern sollte, mit ihr erfahren möchte, was hinter allem steckt, verrät Erbarmen diese Auflösung bereits zuvor, als Carl und Assad den Zusammenhang herstellen. Es ist schlicht von der falschen Perspektive aus. Mikkel Nørgaard bringt seinen Thriller damit selbst um den an sich emotional packendsten Moment. Das umso mehr, da ausgerechnet das Finale durch die Handlungsweisen der Figuren stark enttäuscht und nie Spannung aufbaut. Bewiesen sowohl Mørck, als auch Assad zuvor Gespür und Intuition beim Zusammensetzen des Puzzles, verhalten sie sich zum Schluss ausgesprochen dämlich. Man kann es auch anders formulieren: Wäre mein Partner schwer verletzt und ich vom Täter überrascht und beinahe bewusstlos geschlagen worden, würde ich mich auf der Suche nach Merete jede Sekunde umdrehen, um nicht erneut vom Täter überrumpelt zu werden. Was sich in diesen Momenten abzeichnet passt schlicht nicht zu den Figuren.


Fazit:
Bedauerlicherweise wird Assad zu wenig Zeit eingeräumt, nicht nur im Vergleich zum klischeehaften, uncharismatischen Carl ist er die bedeutend interessantere Figur. Erbarmen ist insbesondere von Sonja Richter fordernd und ergreifend gespielt, stilistisch weiß der Thriller jedoch nicht, was er sein möchte. Auch wächst er in keiner Minute über das hinaus, was hochklassige TV-Krimis aus Skandinavien nicht im wöchentlichen Rhythmus bieten, ganz im Gegenteil: Diese sind meist überraschender und einfallsreicher.
Die Wechsel zwischen der Ermittlung und den Erlebnissen des Opfers wirken gewollt und lassen nie ein Gefühl für den notwendigen Zeitdruck aufkommen. Was wäre gewesen, wäre die gesamte Vorgeschichte als solche erzählt worden und im Anschluss die Ermittlung gestanden? Man hätte geahnt, aber nicht gewusst, wie es um Meretes Schicksal steht. Das Ermittlerduo ist ausbaufähig und man kann nur hoffen, dass die geplanten Fortsetzungen mitreißender und spannender sind, als ihr Einstand.