Eileen [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 24. November 2023
Genre: ThrillerOriginaltitel: Eileen
Laufzeit: 97 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: William Oldroyd
Musik: Richard Reed Parry
Besetzung: Thomasin McKenzie, Anne Hathaway, Shea Whigham, Marin Ireland, Sam Nivola, Owen Teague, Jefferson White, Tonye Patano, Siobhan Fallon Hogan
Kurzinhalt:
Das Leben der jungen Eileen Dunlop (Thomasin McKenzie) ist von einem so eintönigen und zermürbenden Alltag geprägt. Tagsüber arbeitet sie in einem Jugendgefängnis und die Abende verbringt sie zuhause bei ihrem alkoholsüchtigen Vater Jim (Shea Whigham). Nach dem Tod ihrer Mutter hat sie das Studium abgebrochen und ist vorübergehend nach Hause zurückgekehrt. Das ist nun schon Jahre her. Doch als die einnehmende und glamourös anmutende Psychologin Rebecca (Anne Hathaway) eine Stelle im Gefängnis antritt, ändert sich Eileens Leben schlagartig. Hat sie bislang hauptsächlich über den Insassen Lee (Sam Nivola) fantasiert, glaubt sie, dass Rebecca an ihr interessiert sein könnte. Abends jedoch wartet Jim mit neuen Beleidigungen zuhause auf sie, dass sie uninteressant wäre und nicht mehr als ein Hintergrundrauschen im Leben der anderen. Von der Begegnung und der Gesellschaft mit Rebecca ermutigt, sich selbst zu entdecken und auf ihre Wünsche zu hören, ertappt sich Eileen dabei, dass ihre Gedanken zunehmend in finstere Abgründe blicken …
Kritik:
Man fragt sich lange bei William Oldroyds Adaption von Ottessa Moshfeghs gleichnamigem, prämierten Debütroman aus dem Jahr 2015, worauf die Story hinauslaufen soll. Die Frage bleibt bei einem, auch wenn der Abspann bereits zu Ende ist. Handwerklich tadellos ausgestattet und von den beiden Hauptdarstellerinnen preiswürdig gespielt, entzieht sich Eileen einer Einordnung in ein bestimmtes Genre und präsentiert eine Erzählung, die keinen klassischen Strukturen folgt. Das ist so interessant wie verwirrend.
Angesiedelt im Winter in den 1960er-Jahren in Neuengland, spiegelt Filmemacher Oldroyd (Lady Macbeth [2016]) die Zeit nicht nur gelungen in den Kostümen und der Ausstattung wider, auch die Bilder selbst wirken, als wären sie auf Filmmaterial von damals aufgenommen. Die Farben zurückhaltend, die Schärfe und Ausleuchtung weit weniger makellos, als bei vielen heutigen Produktionen. Selbst die Logos zu Beginn sind an die damalige Zeit angelehnt. Zusammen mit den grauen Tagen, dem wenigen Sonnenlicht, das man zu sehen bekommt, versetzt einen die Erzählung in gewisser Hinsicht an die Seite der Titelfigur Eileen Dunlop. Anstatt weiter aufs College zu gehen, ist sie nach dem Tod ihrer Mutter zuhause bei ihrem alkoholsüchtigen Vater Jim geblieben, der auf Grund seiner Abhängigkeit sogar seinen Beruf als Polizist verloren hat. Jeden Tag bringt Eileen ihm zwei neue Flaschen hochprozentigen Alkohol mit, selbst, nachdem sie erfährt, dass die Ärzte Jim nicht mehr viel Zeit geben, bis seine Leber versagen wird. Eileen selbst arbeitet in einem Jugendgefängnis und ist dort von dem Insassen Lee Polk fasziniert. Der sitzt wegen des grausamen Mordes an seinem eigenen Vater ein. Das triste Leben gewinnt an Farbe, als die neue Gefängnispsychologin Rebecca die Bühne betrifft. Selbstbewusst und gleichermaßen mysteriös, stellt Rebecca einen Gegenentwurf zu Eileens sonstigem Leben dar.
Sieht man, wie sich beide Frauen anfreunden, wie Eileen aufblüht, wenn Rebecca sie um Rat bezüglich der allgemeinen Situation in der kleinen Stadt fragt, dann glaubt man zu wissen, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird. Umso mehr, da auch Rebecca an Lee Polk und dessen Mutter Rita Interesse zeigt, ganz so, als hätte sie etwas Größeres vor. Doch behält sich Eileen durchweg das Flair einer gewissen Dunkelheit, die die Titelfigur umgibt. Einerseits unterstreichen erotische Tagträume, dass sie ein großes Verlangen in sich trägt, andererseits sind manche ihrer Vorstellungen mitunter schlicht gewalttätiger Natur, beispielsweise, was sie anstellen könnte, um ihrer grundlegend trostlosen Situation ein Ende zu bereiten. Bedenkt man dann noch, auf welche Art und Weise sie Lee ansieht, muss man sich durchaus fragen, ob Eileen selbst befürchtet, ein solch zerstörerisches Wesen in sich zu tragen. Es ist ein Aspekt, den das Drehbuch nicht ausspricht, sondern nur durch Thomasin McKenzie in einer beeindruckend facettenreichen Darbietung zum Ausdruck bringt.
Ihre Eileen imitiert Rebecca, sieht sie als Rollenmodell an und sogar als mehr, wenn sie Berührungen und Rebeccas Nähe als Annäherungen deutet. Eileens Hoffnungen gehen soweit, dass sie sich aus dem Haus an ihrem Vater vorbeischleicht, sich regelrecht fallen lässt und wohl hofft, einen Ausweg aus ihrem derzeitigen Leben gefunden zu haben. In dem wird sie von ihrem Vater Jim unentwegt beleidigt. Er wirft ihr vor, sie sei uninteressant, könnte ihrer Schwester, die bereits verheiratet ist, nicht das Wasser reichen. Die Beziehung ist in dieser Richtung ebenso toxisch wie umgekehrt, wenn sie ihren Vater stets mit noch mehr Alkohol versorgt. Es dauert lange, ehe Eileen Licht ins Dunkel dieser Figuren und ihrer Beziehungen untereinander bringt, und so fantastisch dies gespielt ist, auch von Anne Hathaway als undurchsichtige, vermeintliche Femme fatale, die scheinbar mäandrierende Story lässt die kurzen eineinhalb Stunden länger erscheinen, als sie im Grunde sind.
Handwerklich ist das toll eingefangen, und je heller die Szenen zum Schluss ausgeleuchtet werden, umso mehr steigt die Geschichte in die Finsternis ihrer Charaktere hinab. Die traumatischen Abgründe, die Filmemacher William Oldroyd dabei ausleuchtet, entspringen der Romanvorlage, wirken in ihrer Gänze aber doch nicht angemessen genug ins Zentrum gerückt. Beinahe, als wären sie ein Hintergrund, der notwendig ist, damit die Geschichte funktioniert, aber kein zentraler Bestandteil derselben. Mit den mehreren Ebenen, Eileens Beziehung zu ihrem Vater, ihrer Projektion in Rebecca und deren weitreichende Entscheidungen bezüglich ihres Patienten, widmet sich Eileen zu wenig der Titelfigur selbst und macht kaum begreiflich, was in ihr vorgeht. Dabei mag der ungewöhnlich erzählte Thriller bei wiederholtem Ansehen durchaus gewinnen, doch ein Publikum, das eine in sich abgeschlossene, kompakte Geschichte erwartet, wird in Anbetracht der vielen losen Enden und der beobachtenden, anstatt seine Figuren definierenden Erzählweise durchaus verwundert zurückbleiben. Umso mehr, da es beinahe zwei Drittel der Laufzeit dauert, ehe das Drehbuch zum Kern der Story vordringt. Das heißt nicht, dass sich die Geduld nicht lohnt und es nicht genügend zu entdecken gäbe. Doch das wird einem kleinen Publikum vorbehalten bleiben. Die Filmvorschau vermittelt hier bedauerlicherweise einen unzutreffend zugänglicheren Eindruck.
Fazit:
Mit ihrem roten Sportwagen sticht die gleichermaßen aufreizend wie überzeugend auftretende Rebecca in Eileens braun-beigem Alltag umso mehr hervor. Sie findet in der gebildeten, selbstbewussten Frau eine Persönlichkeit, die sie inspiriert, wobei ihre Stellung zueinander von beiden anders wahrgenommen wird. Ganz so, als würden sie vom Gegenüber etwas anderes erwarten und verlangen. Rebecca auf eine freundschaftliche wie berufliche Weise, Eileen ungemein persönlicherer Natur. Ändert sich die Dynamik der Figuren, vertauschen sich die Rollen der Agierenden und Reagierenden, kommt die erstklassige Besetzung umso mehr zum Tragen. Nicht nur Thomasin McKenzie und Anne Hathaway, auch Marin Ireland spielt preisverdächtig und das letzte Drittel entwickelt sich so unerwartet, als entstamme es einem bösen Traum. Erstklassig ausgestattet und handwerklich rundum gelungen in Szene gesetzt, ist Eileen doch ein Film, der einen rätselnd zurücklässt. Mitunter böse amüsant, aber auch erschreckend real, nimmt einen die Stimmung von Beginn an ein. Doch ob es sich hierbei um einen Noir-Thriller über Besessenheit und Verlangen handelt oder um die dunklen Traumata von Vernachlässigung und Missbrauch, obliegt dem Publikum zu beurteilen. Das kann hier durchaus auf seine Kosten kommen, wenn es weiß, worauf es sich einlässt. Beide inhaltlichen Schwerpunkte haben ihre Berechtigung, ob die Verteilung aber gelungen ist, bleibt einem selbst überlassen zu entscheiden.