Die letzten Glühwürmchen [1988]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 03. Juni 2013
Genre: Animation / DramaOriginaltitel: Hotaru no haka
Laufzeit: 89 min.
Produktionsland: Japan
Produktionsjahr: 1988
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Isao Takahata
Musik: Michio Mamiya
Stimmen: Tsutomu Tatsumi (Gerrit Schmidt-Foß), Ayano Shiraishi (Adak Azdasht), Akemi Yamaguchi (Rita Engelmann), Yoshiko Shinohara (Ulrike Stürzbecher)
Kurzinhalt:
Am 17. März 1945 werfen amerikanische Streitkräfte Brandbomben über Kobe ab. Während ihre Mutter (Yoshiko Shinohara / Ulrike Stürzbecher) bereits zu einem Bunker aufgebrochen ist, geraten der 14-jährige Seita (Tsutomu Tatsumi / Gerrit Schmidt-Foß) und seine vierjährige Schwester Setsuko (Ayano Shiraishi / Adak Azdasht) in den Bombenregen, können sich aber in Sicherheit bringen. Über Nacht ist ihre Heimat zerstört. Wie Seita im Krankenhaus erfährt, ist ihre Mutter schwer verletzt und so kommt er mit Setsuko bei ihrer Tante (Akemi Yamaguchi / Rita Engelmann) unter. Die Lebensmittel, die Seita vor dem Angriff versteckt hatte, kann er zwar bergen, doch für sie beide, ihre Tante, deren Tochter und einen weiteren Gast halten die Vorräte nicht lange.
Als die Spannungen zwischen Seita und seiner Tante immer größer werden, schlägt er Setsuko vor, mit ihr in einem verlassenen Bunker zu leben. Auf sich allein gestellt. Was eingangs wie ein großes Abenteuer wirkt, das die Geschwister von ihrem Verlust ablenkt, offenbart schon bald seine Schattenseiten. Einzig die Glühwürmchen, die sich auf den Feldern tummeln, bringen Freude in ihr Leben. Ebenso wie eine Dose mit Bonbons, die Seita retten konnte ...
Kritik:
Auch wenn Regisseur Isao Takahata Die letzten Glühwürmchen nicht als Antikriegsfilm sieht, sondern als Geschichte zweier Geschwister, deren Leben nach der Ausgrenzung aus der Gesellschaft eine Wendung nimmt, die sich nicht mehr umkehren lässt, das Drama ist gleichzeitig ein tragisches Porträt einer Generation, die auf grausame Weise um ihre Kindheit betrogen wurde. Dabei richtet sich der Animationsfilm trotz seiner Altersfreigabe eindeutig an ein erwachsenes Publikum.
Basierend auf dem Roman Das Grab der Leuchtkäfer [1967] von Autor Akiyuki Nosaka, beginnt Die letzten Glühwürmchen (auch bekannt unter dem Titel Die letzten Leuchtkäfer) mit einem Bekenntnis des vierzehnjährigen Erzählers Seita. Es zu verraten bedeutet nicht, eine Überraschung vorweg zu nehmen. Er starb am 21. September 1945 in einem Bahnhof in Kobe, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Und ein halbes Jahr, nachdem die Stadt bei einem Luftangriff der Amerikaner in Schutt und Asche gelegt wurde. Damals verloren Seita und seine zehn Jahre jüngere Schwester Setsuko ihre Mutter, während ihr Vater bei der Marine kämpfte. Sie kommen bei ihrer Tante unter, die zwar Essensrationen der beiden gerne annimmt und auch die Habseligkeiten der Waisen für Nahrung verkauft, aber gleichzeitig ihrer eigenen Tochter das bessere Essen zukommen lässt. Auch bekommt Seita ihre Verbitterung zu spüren, lässt sie an dem Jungen doch kein gutes Haar. Aus heutiger Sicht verurteilen wir die Tante schnell dafür, dass sie die beiden Kinder so hart behandelt – doch wie würden wir reagieren, wenn Krieg herrscht und man kaum weiß, wie man die eigenen Kinder (oder sich selbst) versorgen soll? Mit wachsender Not wird der engste Familienkreis zunehmend kleiner.
Seita fragt Setsuko, ob sie nicht allein leben wollen – in einem offenen Schutzbunker am Fluss. Dort quartieren sie sich schließlich ein und anfangs scheint es, als könnten die Geschwister dort einen Neuanfang wagen. Doch Die letzten Glühwürmchen erzählt keine Kindergeschichte, bei der sich die Figuren allein durch ihren Willen und ihren Mut durchsetzen können. Sie beide leiden Hunger, Setsuko noch mehr als ihr großer Bruder. In einer Welt, die keinen Sinn zu ergeben scheint, in der Familienhäuser dem Erdboden gleich gemacht werden und selbst, nachdem der Krieg verloren ist, der Alltag derselbe bleibt, müsste Seita über Nacht erwachsen werden, um sich selbst durchzubringen. Geschweige denn sich und seine Schwester. Er beginnt, nachts von den Feldern zu stehlen, um Setsuko etwas zu essen besorgen zu können – doch wird er schon bald entdeckt. Wendet er sich an einen Arzt mit der Bitte um Hilfe, wird ihm klar gemacht, dass er auf sich allein gestellt ist.
Trotz allem schildert Regisseur Isao Takahata jene Figuren nicht als herzlose Monster, die den Hilfesuchenden abweisen, sondern als Opfer einer Situation, in der schlicht nicht die Möglichkeit gegeben war, allen zu helfen. Der Film äußert sich auch nicht zur Rechtfertigung des Krieges von japanischer Seite aus. Zwar sind die amerikanischen Bomber für die Abwürfe über dem Festland verantwortlich und es wird sogar angesprochen, dass die Kämpfe sich bis in die Hauptstadt verlagern sollen. Doch trotz der Treueschwüre auf den Kaiser von der Bevölkerung aus erfahren Seita und Setsuko die Ausgrenzung durch ihre eigenen Landsleute, ja sogar ihre eigene Verwandtschaft. Wohin dies führt, wird im Eröffnungsmonolog gesagt.
Schon thematisch eignet sich Die letzten Glühwürmchen somit nicht für ein kindliches Publikum. Dabei zeigt das Drama eindrucksvoll, dass sich das Medium nicht nur für familiengerechte Unterhaltung eignet, sondern auch ernste Themen damit künstlerisch wertvoll zum Ausdruck gebracht werden können.
Wie oft bei fernöstlichen Animationswerken scheint nach westlichem Verständnis der Erzählfluss nicht so geschmeidig, wie man es meist gewohnt ist. Und auch der Wechsel der Musik wirkt weniger so komponiert wie zusammengeschnitten. Doch schmälert dies nicht die Wucht, mit der uns manche Bilder oder Ereignisse im Film treffen. Vielmehr wirken sie angesichts der Unschuld, die diese Kinder in ihren Entscheidungen beweisen, nur umso grausamer.
Fazit:
Als die Welt aus den Fugen gerät, erschafft Seita für sich und seine kleine Schwester eine eigene, in der er als großer Bruder für Setsuko sorgen will. Doch der Wille allein reicht hierfür nicht aus. Ihre Geschichte ist in Bilder eingefangen, die nicht atemberaubend detailliert sind, sondern beispielsweise bei den Glühwürmchen die wenigen schönen Momente einer zerstörten Kindheit eindrucksvoll einfangen. Das ist auf emotionale Weise durchweg berührend, auch wenn man von Beginn an weiß, wohin die Reise führt.
Die verschiedenen Erzählebenen blendet Die letzten Glühwürmchen wie in einem Traum ineinander und verzichtet dabei leider auf einen richtigen Epilog. Vielleicht möchte Filmemacher Isao Takahata damit aber auch unterstreichen, dass was Seita in den letzten Wochen oder Monaten nach seinem letzten Verlust erlebte, für ihn nicht mehr erzählenswert war. Gekleidet als bedrückender, anspruchsvoller Animationsfilm ist dies sowohl ein Porträt der Überlebenden unzähliger Kriege, aber gleichzeitig auch Sinnbild dessen, wohin der Ausschluss aus der Gesellschaft letztendlich führen kann.