Die Höhle der vergessenen Träume [2010]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 24. November 2011
Genre: DokumentationOriginaltitel: Cave of Forgotten Dreams
Laufzeit: 95 min.
Produktionsland: Kanada / USA / Frankreich / Deutschland / Großbritannien
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Werner Herzog
Musik: Ernst Reijseger
Personen: Werner Herzog, Dominique Baffier, Jean Clottes, Jean-Michel Geneste, Carole Fritz, Gilles Tosello, Michel Philippe, Julien Monney, Nicholas Conard, Wulf Hein, Maria Malina, Maurice Maurin, Charles Fathy
Kurzinhalt:
Am 18. Dezember 1994 entdeckten die Höhlenforscher Jean-Marie Chauvet, Eliette Brunel Deschamps und Christian Hillaire in Südfrankreich eine Höhle, die seit 10.000en Jahren verschlossen war. Im Innern der später nach Chauvet benannten Höhle fanden Sie nicht nur Tropfsteine seltenen Aussehens, viele Knochen und Skelette, sondern auch über 400 Wandbilder mit Tierdarstellungen, die so detailliert und plastisch erscheinen, dass sie die Entwicklung der Höhlenmalereien in ein anderes Licht rücken.
Über 6.000 Jahre hinweg wurden immer wieder Zeichnungen hinzugefügt. Die ältesten sind 35.000 Jahre alt. Um das darin enthaltene Klimasystem, das diese herausragende Konservierung der Knochen und Malereien ermöglicht hat, nicht zu gefährden, ist der Zutritt für die Öffentlichkeit untersagt. Filmemacher Werner Herzog hatte als bislang einziger Dokumentarfilmer die Möglichkeit, im Innern der Höhle zu drehen. Was ihm dabei gelingt ist ein Blick in eine andere Welt, die so gut erhalten ist, als existierte sie nicht vor, sondern neben der unseren.
Kritik:
Auch für Regisseur Werner Herzog kann der Druck kaum größer gewesen sein. Nicht nur, dass ihm als erster Dokumentarfilmer die Möglichkeit eingeräumt wurde, in der berühmten Chauvet-Höhle, gelegen im Flusstal der Ardèche in Südfrankreich, zu drehen, er entschied sich dazu, die Aufnahmen in 3D vorzunehmen. Es ist gut möglich, dass die Bilder, die wir in Die Höhle der vergessenen Träume zu sehen bekommen, die einzigen bewegten sein werden, die überhaupt dort aufgenommen werden. Für die Öffentlichkeit ist das Höhlensystem nicht zugänglich und wird es vermutlich auch nicht werden, um die dort enthaltenen Funde nicht zu beschädigen. Selbst Herzog und sein Team bestehend aus nur drei weiteren Menschen konnten jeweils lediglich vier Stunden in der Höhle drehen und hatten für die gesamten Aufnahmen im Innern nur sechs Tage Zeit. Sie durften die vorgefertigten Pfade nicht verlassen und weder den übrigen Boden, noch die Wände berühren. Erlaubt waren Kaltlichtlampen, die über in den Gürteln eingebrachte Batterien betrieben wurden. Herzog selbst, der traditionell auch den Begleittext der Dokumentation erzählt, ist eigenen Aussagen zufolge sehr skeptisch, was den Einsatz von 3D in Filmen angeht. Er wollte damit "die Absicht der Maler" in den Höhlen hervorheben.
Die Spannung ist somit in doppeltem Sinne groß. Nicht nur, dass man zum ersten Mal bewegte, plastische Bilder aus dem Innern der Höhle bekommt, in der die ältesten, erhaltenen Höhlenmalereien und Fußspuren von Menschen erhalten sind, die bislang auf dem Planeten bekannt sind, man darf sich auch überraschen lassen, wie ein Regisseur wie Werner Herzog die 3D-Technik einsetzt – fernab von den großen Produktionen Hollywoods.
So gewöhnungsbedürftig der 3D-Effekt dabei zu Beginn noch ist, betreten wir die Höhle mit ihren Tropfsteinen, den glitzernden Ablagerungen, den von Kalzit überzogenen Skeletten und Knochenfragmenten, empfinden wir die Leinwand nicht mehr nur als flache Ebene, sondern als Fenster in eine Welt, die man so allenfalls aus Bilderbänden kennt. Die bemalten Wände mit ihren Tierbildern wirken nicht nur plastisch, wir erkennen auch, wie die Menschen damals die Unebenheiten des Gesteins nutzten, um den Tieren Tiefe oder Bewegung zu verleihen. Wenn Die Höhle der vergessenen Träume begleitet von einer andächtigen Musik die Bilder wirken lässt, uns im Schein der Lampen die verschiedenen Motive und Bilder zeigt, die nicht abstrakt wie zusammengestellte Striche wirken, sondern lebensnah die verschiedenen Tierarten wie Höhlenlöwen, Pferde, Bisons, Nashörner oder Bären zeigen, kann man erahnen welche Wirkung die Höhle auf die Menschen haben muss, die sie selbst gesehen haben. Und auch auf diejenigen, welche die Bilder im Fackelschein gemalt haben. Es sind überwältigende und ehrfurchtgebietende Impressionen einer Zeit von vor über 30.000 Jahren, die durch die abgeschlossene Höhle so erhalten blieben, dass sie scheinen, als wären sie gestern entstanden. Sehen wir dann noch die Handabdrücke, die jemand in der Höhle zurückgelassen hat, sehen ein altarähnliches Gebilde mit einem darauf mittig ausgerichteten Schädel, stellt sich durchaus die Frage, ob uns die Menschen von damals nicht etwas sagen wollten. Zur Zeit, in der in Europa noch die Neandertaler aktiv waren, ist hier jemand zu Werke gewesen, dessen künstlerisches Talent ebenso überrascht, wie seine Weitsicht und sein zukunftsorientiertes Denken. Wieso sollten sie sonst Szenen von Bildern, kämpfenden Tieren und Ähnlichem hinterlassen, aber kein einziges Bildnis eines Menschen? Wo sind die abgebildeten Jagdszenen, die bei vielen anderen Höhlenmalereien zu sehen sind?
Die Chauvet-Höhle mit Werner Herzog zu entdecken ist ein besonderes Gefühl, das durch die gezeigten 3D-Aufnahmen in der Tat an Tiefe gewinnt. Doch einen Wermutstropfen gibt es leider: Solange die Bilder gut ausgeleuchtet sind, ist die Plastizität des Gezeigten auch sehr gut erkennbar. Doch Motive, die im Dunkeln liegen weisen ein starkes Ghosting, eine Doppelabbildung auf, die sich in einer störenden Unschärfe niederschlägt. Auch sind einige Male Einstellungen zu sehen, in denen nicht die groß abgebildete Person im Vordergrund scharf gestellt ist, sondern der Hintergrund, was das Fixieren auf das richtige Objekt schwierig und anstrengend macht. Davon jedoch abgesehen zählt Die Höhle der vergessenen Träume zu den am sinnvollsten genutzten 3D-Filmen, die seit Avatar – Aufbruch nach Pandora [2009] zu sehen waren. Herzog gibt uns damit die Möglichkeit, die Höhle so zu entdecken wie er selbst. Näher werden wir dem wohl nicht kommen können.
Fazit:
Es ist erstaunlich, Filmemacher Werner Herzog bei der Arbeit zu beobachten. Er stellt den Menschen, die er interviewt keine hochtrabenden Fragen. Man hat das Gefühl, als würde er sich auf normale Weise mit ihnen unterhalten und dennoch entlockt er ihnen so bedeutsame Aussagen. In Die Höhle der vergessenen Träume lädt er uns ein, mit ihm etwas zu entdecken, dessen Bedeutung vielen erst klar wird, wenn sie seinen Kommentar dazu hören, und das im Nachhinein auch an Wichtigkeit gewinnt.
Was ihm gelingt ist ein authentischer Blick in die Chauvet-Höhle, dass man nach dem Film meinen könnte, man wäre selbst dort gewesen. Bisweilen meditativ umgesetzt und ohne Kommentare wirken die Bilder, wie sie auf die Besucher wirken müssen. Das ist anregend und bewegend auf verschiedene Arten und Weisen. Es rückt uns in Perspektive angesichts des Alters der Höhle, es lässt uns aber auch nachdenken, was von uns Geschaffenes 30.000 Jahre überdauern wird. Und wer da sein wird, es zu entdecken.
So hilfreich die 3D-Technik dabei meistens ist – und plastischer können die Malereien kaum mehr sein –, in den dunklen Einstellungen wirkt sie mehr anstrengend und störend.