Die Augen des Weges [2016]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. April 2018
Genre: Dokumentation

Originaltitel: Los Ojos del Camino
Laufzeit: 88 min.
Produktionsland: Peru
Produktionsjahr: 2016
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Rodrigo Otero Heraud
Musik: Martin Egusquiza, Giovanna Nuñez
Personen: Hipólito Peralta Ccama


Hintergrund:

Auf seinem Weg durch die Bergwelt der Anden offenbart Hipólito Peralta Ccama Einblicke in das tiefere Verständnis seiner Kultur zur Mutter Erde und den anderen Menschen. Er besucht Bergvölker und Dörfer, welche die traditionellen Werte leben und rückt dabei ebenso in den Mittelpunkt, worunter die Menschheit gerade in den großen Städten überall auf der Welt besonders leidet. Als Begleitung auf seiner Reise werden einem diese Lebensweisheiten mitgegeben, während die majestätische Natur die Augen dafür öffnet, dass ohne störende Faktoren und eine permanente Ablenkung das Ziel der Existenz ein anderes ist, als oft vermittelt oder geglaubt wird.


Kritik:
In seiner besinnlichen Dokumentation Die Augen des Weges begleitet Filmemacher Rodrigo Otero Heraud den wandernden Hipólito Peralta Ccama auf seiner Reise durch die malerische Andenbergwelt Perus. Weniger einem bestimmten Pfad folgend als dem Flüstern der Erde, bietet er auf seinem Weg sein Verständnis der Natur als lebendiges Wesen an, besucht verschiedene Menschen und Dörfer und lässt beim Publikum ein Bewusstsein dafür erwachsen, welch friedvolle Verantwortung damit einhergeht. Das klingt unspektakulär, bietet aber weit mehr als nur einen so notwendigen und willkommenen Ruhepol in unserer hektischen Zeit.

Den Titel seiner Dokumentation verrät der Filmemacher erst nach beinahe zehn Minuten und es ist erstaunlich, was die mit Bedacht statt nur bedächtig zusammengestellten Bilder der peruanischen Anden bis dahin bewirken. Es sind ruhige, stille Eindrücke, die einen inneren Frieden ausstrahlen angesichts dieser unberührten, rauen und doch nicht ungastlichen Natur, dass es spürbar den eigenen Puls verlangsamt. Es ist, als würde man eine Kugel beobachten, die auf ein Trampolin geworfen ihre Kreise zieht, um im Zentrum schließlich zur Ruhe zu kommen. Gleichermaßen zwingen uns die Weisheiten, mit denen der Erzähler die Bilder nach einigen Minuten begleitet und die eine universell verständliche Spiritualität ausstrahlen, aus dem rasenden Karussell des Alltags zu steigen und es losgelöst zu betrachten, anstatt von innen nach außen zu blicken.

Vollständig in Quechua (Ketschua) mit deutschen Untertiteln erzählt, wandert der Erzähler durch verschiedenen Regionen der Kordilleren, besucht Dörfer und Bergvölker, Hirten und Bauern, die alle unterschiedlich sind und doch etwas gemeinsam haben. Als überwiegende Selbstversorger scheinen sie im Einklang mit sich und Mutter Erde – Pachamama genannt –, ehrgebietend den Apus, Berggottheiten, deren Verhältnis zu den Menschen weit über das hinausgeht, was die Religionen anderer Kulturen ihren Göttern zuschreiben. Sieht man diese Menschen, dann erscheinen sie nicht gefangen zwischen Tradition und Moderne, sondern beides im selben Maße annehmend.
Man könnte argumentieren, dass es ihnen an vielen Errungenschaften der hochtechnisierten Gesellschaft mangelt, aber diesen Eindruck erwecken sie nicht. Würde man sie fragen, was sie sich wünschen, wären es wohl weniger und bescheidenere Bitten, als Sie, liebe Leserin bzw. lieber Leser, oder ich haben würde.

Die Augen des Weges stellt traditionsreiche Rituale wie das gemeinsame Tragen von Baumstämmen (über viele Kilometer in dieser unwegbaren Umgebung) vor und erläutert ihren Hintergrund. Der Erzähler lenkt seinen Blick dabei auch auf die Herausforderungen, mit denen diese Menschen zu kämpfen haben und die ihre Existenz bedrohen. Es ist eine Lebensweise, die wie auch die Philosophie des Erzählers selbst, im Aussterben begriffen ist. Sie alle sind sich wohl bewusst, dass diese Traditionen verlorengehen werden. Insofern ist die Dokumentation ebenso ein Klagelied auf eine Weltanschauung, in der Toleranz und ein Bewusstsein, eine Verbundenheit mit der Natur zu Respekt voreinander und schließlich zu Frieden führen.
Dass diese Anschauung angeboten wird, ohne zu belehren und dabei nichtsdestoweniger lehrreich, zeichnet ihre stille Kraft aus.

Das Ergebnis spricht für sich, so dass in manchen Momenten der Erzähler tatsächlich Teil der Landschaft wird und in seiner Umgebung nicht mehr zu erkennen ist. So grandios die Aufnahmen der Anden sind, so störend werden von Menschen gemachte Dinge empfunden, die darin zu sehen sind. Schreitet der Erzähler zum Ende über eine Düne voll angeschwemmtem Müll, dann macht einen das nicht nur traurig, sondern regelrecht betroffen.
‚Die Wege haben Augen, sie lassen einen Dinge erkennen’, offenbart der Wanderer und erklärt dabei gleichzeitig den ungewöhnlichen Filmtitel. Die Augen des Weges ist eine Dokumentation weniger über einen Zustand oder ein Ziel, sondern über die Notwendigkeit des Unternehmens der Reise dorthin. Das ist inspirierend und mutig. Heute vielleicht notwendiger denn je. Dass der Weg nicht immer strukturiert erscheint, ist dabei nur ein kleiner Kritikpunkt und muss womöglich so sein.


Fazit:
Bereits in den ersten Minuten entfalten die Bilder und Landschaftsaufnahmen eine entschleunigend berauschende Wirkung. Es sind Eindrücke, in denen man sich der Natur näher fühlt als in sonst einem Moment im Alltag, und die nachwirken, lange nachdem man das Kino verlassen hat. Filmemacher Rodrigo Otero Heraud stellt sowohl Hipólito Peralta Ccamas Weltanschauung, sein Verständnis von der Existenz und was in ihrem Zentrum steht bzw. stehen sollte, vor. Die Lebensweise der porträtierten Völker, Dörfer und Menschen verleihen dem zusätzlich Gewicht. Meditativ und bildgewaltig, ist Die Augen des Weges kein Film für ein großes Publikum, aber für das richtige Publikum eine so malerische wie transzendentale Erfahrung, gleich einem fantastisch bebilderten Gedicht, das eine lebensbejahende Wärme ausstrahlt. Leise und stark zugleich.