Der Tag danach [1983]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 4. März 2019
Genre: Drama / Science FictionOriginaltitel: The Day After
Laufzeit: 127 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1983
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Nicholas Meyer
Musik: David Raksin
Darsteller: Jason Robards, JoBeth Williams, Steve Guttenberg, John Cullum, John Lithgow, Bibi Besch, Lori Lethin, Amy Madigan, Jeff East, Georgann Johnson, William Allen Young
Kurzinhalt:
Im Herbst 1983 verschärfen sich die Spannungen zwischen den NATO-Mächten und der Sowjetunion an der innerdeutsche Grenze. Es kommt zu militärischen Auseinandersetzungen in Deutschland, die in den USA mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und unheilvoller Vorahnung verfolgt werden. Dr. Russell Oakes (Jason Robards) und seine Frau Helen (Georgann Johnson) erinnern sich an die Kubakrise 1962. Damals stand die Welt an einem nuklearen Abgrund. Noch während sich die Berichterstattungen überschlagen, starten in der Nähe von Lawrence, Kansas die atomaren Mittelstreckenraketen Richtung Moskau: Die Entscheidung ist gefallen. Medizinstudent Stephen (Steve Guttenberg) sowie die Familie Dahlberg um Vater Jim (John Cullum) und Tochter Denise (Lori Lethin) überstehen den Atomschlag bei Kansas ebenso wie der Soldat Billy McCoy (William Allen Young). Aber sie haben überlebt, um sich einer Welt gegenüber zu sehen, die nichts mit der gemein hat, die sie kannten. Wenig später zeigen sich die körperlichen Auswirkungen der radioaktiven Verstrahlung, vom Zustand der Gesellschaft selbst ganz zu schweigen …
Kritik:
Auch mehr als 35 Jahre, nachdem die TV-Produktion Der Tag danach zum ersten Mal in Nordamerika ausgestrahlt wurde, hat das erschütternde Drama nichts von seiner Wirkung verloren. Bedauerlicherweise ebenso wenig von seiner Aktualität. Ohne Verantwortliche zu benennen, ohne heroische Darstellungen einer militärischen Überlegenheit, führt Filmemacher Nicholas Meyer die Auswirkungen eines globalen Atomschlages auf die Bewohner einer Stadt im Mittleren Westen der USA vor Augen. Er tut das auf eine ebenso greifbare wie hoffnungslose Art und Weise.
Wie in vielen Katastrophenfilmen stellt Drehbuchautor Edward Hume eingangs zahlreiche Figuren vor, deren Wege sich im Verlauf kreuzen werden. Sie vermitteln unterschiedliche Perspektiven auf den wohl letzten Konflikt, den die militärisch entgegengesetzten Fronten der NATO und des Warschauer Paktes austragen werden. In Radio- und Fernsehreportagen verfolgt der Arzt Russell Oakes mit seiner Frau Helen so ungläubig wie gebannt, dass sich im geteilten Deutschland ein Machtkampf abspielt, der zur Verwunderung aller mit Waffengewalt ausgefochten wird. Sicherlich werden die Mächtigen der Welt es nicht bis zu einem Krieg kommen lassen, oder doch?
Anstatt die Geschehnisse aus dem inneren Zirkel der Mächtigen heraus zu schildern, Rechtfertigungen und Entscheidungen vorzustellen, beschreibt Der Tag danach die Ereignisse einzig aus Sicht der Menschen in der Universitätsstadt Lawrence nahe Kansas City. Auf Grund einer Militärbasis und zahlreicher Raketensilos mit auf die Sowjetunion gerichteten Sprengköpfen, ist die Metropole ein taktisches Ziel und das Umland gleichermaßen gefährdet.
Neben Doktor Oakes gibt es einen Handlungsstrang um die Farmer-Familie Dahlberg, deren Tochter Denise am nächsten Tag heiraten soll. Der Soldat McCoy muss Frau und Kind zurücklassen, als er auf Bereitschaft in den Stützpunkt beordert wird, und Medizinstudent Stephen will sich eigentlich nur an der Universität einschreiben. Doch dann kommt alles anders, als sich urplötzlich die Luken öffnen und die Raketen gen Himmel starten. Wie der Titel bereits ankündigt, handelt Der Tag danach weniger von der militärischen Katastrophe selbst als von der menschlichen, die darauf folgt. Fernab in einem anderen Teil der Welt baut sich ein Konflikt auf, der weit weg erscheint, ehe er unvermittelt alles zerstört, was man bis dahin als gegeben hinnahm. Die Bilder des Atomschlags an sich entstammen sowohl Archivaufnahmen als auch für die damalige Zeit für das TV-Format bahnbrechenden Tricks. Nicht zuletzt die realen Ausschnitte verleihen dem Gezeigten eine beängstigende Authentizität. Viele der zuvor vorgestellten Figuren überleben die Explosionen selbst, die Druckwelle oder was auf sie folgt nicht.
Was die verblieben Charaktere erwartet, ist ungemein schlimmer.
Filmemacher Nicholas Meyer schildert seinem Publikum auf derart unverblümte Art und Weise, womit sich die Überlebenden in einer Welt nach dem nuklearen Feuer gegenübersehen, dass es nicht wundert, dass bei Erstausstrahlung ab diesem Moment keine Werbeunterbrechungen mehr stattfanden und der Sender eigens eine Hotline für seine Zuschauer einrichtete. Die umfassende Zerstörung, die vielen Verletzten durch die verheerende Explosion selbst, sind nur der Anfang. Die körperlichen Auswirkungen der Strahlenverseuchung zeigt Der Tag danach ebenso plastisch (mit einer erschreckend glaubhaften Maskenarbeit), wie der gesellschaftliche Verfall geschildert wird, wenn es keine Ordnung durch Recht und Gesetz mehr gibt. Es herrscht das Recht der Stärkeren spätestens dann, wenn die Erde nicht mehr genug zum Leben für die Hinterbliebenen bietet. Der Aufwand bei der Produktion ist immens und untermauert einen Realismus, der auch heute noch sprachlos macht.
Das einzig Bedauerliche daran ist, dass Regisseur Nicholas Meyer sein ursprünglich mehr als drei Stunden dauerndes Werk für die TV-Ausstrahlung merklich herunterkürzen musste. Es wirkt zwar stimmig, dass die wenigsten Figuren am Ende tatsächlich irgendwo angekommen sind. Aber mit der Familie Dahlberg auf ihrer Farm oder Schwester Nancy bleibt das Gefühl, als würden hier große Teile der Erzählung fehlen. Die schwierige Produktionsgeschichte, bei der nicht nur das produzierende Studio ABC dem Filmemacher Vorgaben machte, sondern auch weitere Auflagen für eine Ausstrahlung zu erfüllen waren, ist vielerorts dokumentiert. Es ändert nichts daran, dass Der Tag danach auch heute noch wie ein Mahnmal erscheint, dass es Entscheidungen gibt, die sich nicht widerrufen lassen.
Der Film zeigte damals Wirkung: Vier Jahre später unterzeichneten der amerikanische Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow den INF-Vertrag über die Vernichtung von nuklearen Mittelstreckensystemen. In seinen Memoiren soll sich Reagan hierfür unmittelbar auf diesen Film berufen, der ihn tief bewegte. Vielleicht wäre es heute, da eine nukleare Aufrüstung weltweit propagiert wird, an der Zeit, den Film erneut aufzuführen. Ohne Werbeunterbrechungen und auf allen Sendern gleichzeitig. Denn immer noch gilt: So weit sollte man es nicht kommen lassen.
Fazit:
Es klingt wie eine Übertreibung, wenn man sagt, dass Regisseur Nicholas Meyer vielleicht eine der wichtigsten TV-Produktionen aller Zeiten gelungen ist. Nicht nur, dass dem Drama politische Schockwellen nachgesagt werden, auch das Publikum war seinerzeit regelrecht schockiert. An dieser Wirkung hat sich in den vergangenen 35 Jahren nichts geändert, ebenso wenig wie an den hier gezeigten Machtverhältnissen und der Absurdität der gesamten Situation. Handwerklich tadellos und mit einem unbeschreiblichen Aufwand umgesetzt, wird eine globale, nukleare Katastrophe an Hand einer Stadt vor Augen geführt. Das ist erschütternd, bewegend und macht auch heute noch stellenweise sprachlos. Die körperlichen wie gesellschaftlichen Auswirkungen eines Atomkriegs werden nicht einmal in ihrer ganzen Brutalität, aber nichtsdestoweniger greifbar geschildert. Wird in diese Welt kurz vor Ende der beängstigenden zwei Stunden ein Kind geboren, klingt der Schrei des Neugeborenen weniger wie eine Bestätigung des Lebens, als wie das Wehklagen nach einem Todesurteil. Der Tag danach ist ein zutiefst bewegendes Mahnmal, eine allgegenwärtige Erinnerung, dass auch der schwerfälligsten Person im Publikum einleuchten sollte, dass es bei einem solchen Krieg keine Gewinner gibt – und danach vermutlich nie wieder geben wird.