Der stille Amerikaner [2002]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 16. Mai 2003
Genre: Drama / ThrillerOriginaltitel: The Quiet American
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: USA / Deutschland / Australien
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Phillip Noyce
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Michael Caine, Brendan Fraser, Do Thi Hai Yen, Rade Serbedzija, Tzi Ma, Robert Stanton, Holmes Osborne
Kurzinhalt:
Im Jahr 1952 hat sich der Journalist der London Times, Thomas Fowler (Michael Caine) in dem kriegsgebeutelten Saigon ein ruhiges Leben aufgebaut. Gelegentlich berichtet er noch über die gewalttätigen Auseinandersetzungen und Gemetzel zwischen den französischen Kolonialisten und den Kommunisten, doch eigentlich genießt er mit Freundin Phuong (Do Thi Hai Yen) seinen Lebensabend.
Seine "nicht einmischen, unbeteiligt bleiben"-Einstellung kann der frisch in Vietnam eingetroffene amerikanische Mediziner Alden Pyle (Brendan Fraser) nicht nachvollziehen. Der idealistische Grünschnabel ist der Meinung, dass eine dritte Macht das Land regieren sollte, um so den Menschen Frieden zu bringen.
Ähnliche Ansichten vertritt auch der vietnamesische General Thé (Quang Hai), der sich in den Konflikt einmischt und auf brutale Weise seine eigenen Ziele verfolgt.
Doch Fowler beschäftigt indes mehr, dass sich Pyle in Phuong verliebt hat – Fowler würde sie gerne heiraten, doch das ist ihm auf Grund seiner bestehenden Ehe in Großbritannien nicht möglich. Die Leidtragende in der Dreiecksbeziehung ist die junge Vietnamesin.
Zusammen mit seinem Assitenten Hinh (Tzi Ma) kommt Fowler allerdings dahinter, dass Thé aus dem Ausland Unterstützung erhhält und der Verdacht drängt sich auf, dass hinter Pyle mehr steckt, als der stille Amerikaner.
Kritik:
Dieses Jahr erhielt Sir Michael Caine für Der stille Amerikaner eine Oscarnominierung – seine sechste insgesamt, zweimal durfte er die Trophäe bereits mit nach Hause nehmen; kein Wunder also, dass er diesen Film dominiert, mit einer Rolle, die dem inzwischen 70jährigen auf den Leib geschneidert scheint und für die er völlig zu Recht noch zahlreiche andere Nominierungen und Auszeichnungen erhielt.
Regisseur Phillip Noyce feiert hier so etwas wie die Rückkehr des gefühlsbetonten Kopfkinos, ein Film der vor einer grandiosen Kulisse spielt, die Emotionen der Charaktere in den Vordergrund stellt, aber dennoch aufgrund einer recht komplexen Handlung und der Beweggründe seiner Protagonisten das Mitdenken des Zuschauers erfordert.
Der Film basiert auf einer Romanvorlage von Graham Greene, die bereits vor knapp 45 Jahren unter dem Titel Vier Pfeifen Opium [1958] schon einmal verfilmt wurde. Inwieweit die Neuinszenierung der Erstverfilmung oder dem Roman nachsteht, wage ich nicht zu beurteilen, da mir beide unbekannt sind – als Film ansich ist Der stille Amerikaner hingegen beinahe ein kleines Meisterwerk, eine willkommene und vor allem wohltuende Abwechslung zur endlosen Welle der Comic- und Big-Budget-Verfilmungen, die in großem Maße (so scheint es) auf ein Kindpublikum zugeschnitten scheinen.
Zu verdanken ist das sicherlich den beiden Drehbuchautoren Christopher Hampton und Pulitzerpreisträger Robert Schenkkan, die die Gratwanderung zwischen politischem, altgediegenen Thriller und romantischem Drama meistern mussten.
Genau das ist ihnen gelungen; die Personen werden von Beginn an sehr schön eingeführt, man bekommt durch die Off-Kommentare von Michael Caines Charakter (die niemals aufdringlich sind, sondern sich sehr gut in die Geschichte einbringen) sofort ein Gespür für sie, für ihre Nöte und Sorgen, für ihre Leidenschaften und Ambitionen. Es ist nicht so, dass der Film einem vorgaukeln würde, man würde etwas anderes bekommen, als einem der Anfang verspricht – der ruhige Ton und die detailfreudige, stille Inszenierung halten die gesamte Laufzeit über an.
Sicherlich ist es zu Beginn verwunderlich, dass der Film hauptsächlich von der Liebesgeschichte und der Dreiecksbeziehung handelt und erst in der zweiten Hälfte auf die politischen Aspekte umschwenkt, allerdings ist genau das die Aussage der Einführung in den Film durch Thomas Fowler: Vor dieser betörenden Kulisse, der atemberaubenden Landschaft, verliert man sehr schnell den Blick für das, weswegen man gekommen war. "Man versteht Vieles" und findet das, was man bislang nicht gesucht hatte.
Immer mehr kristallisiert sich der politische Hintergrund heraus und nimmt in der zweiten Hälfte die Story vollständig ein; hier erkennt man dann schnell das Potential des Skripts, das es mit so vielen Anspielungen, Details und Wendungen versteht, den Zuschauer mitzureissen. Selbst bei den Dialogen sind die Spannungen zu spüren und als Zuschauer ertappt man sich immer häufiger dabei, dass man selbst nicht wüsste, für welche Seite man Partei ergreifen würde.
Die Liebesgeschichte selbst dient dabei nicht dem Selbstzweck, sondern verdeutlicht eindrucksvoll, wie es den jungen Frauen in Vietnam damals und Jahre später ging, denen von den Besatzern und Besuchern alles Mögliche versprochen wurde, die dann in den meisten Fällen allerdings verletzt und verlassen zurückblieben. Hier spielt verständlicherweise die Traditionsverbundenheit dieses Landes eine große Rolle.
Die beiden Hauptcharaktere von Fowler und Pyle sind zwar völlig unterschiedlich angelegt, verkörpern aber dennoch ein ähnliches Dilemma: Wie lange kann man als Beobachter unbeteiligt bleiben, um nicht abzustumpfen? Ein Thema, das in den heutigen Kriegsgebieten für die Journalisten so aktuell wie eh und je ist. Auf der einen Seite findet man den desilusionierten und resignierten Journalisten, der es schon lange aufgegeben hat, etwas verändern zu wollen, auf der anderen einen idealistischen und unerfahrenen Jungspund, der zu wenig Rückschläge erfahren hat, als dass er auf eigene Erfahrungen zurückgreifen könnte. Beide zusammen ergeben die verschiedenen Seiten derselben Münze, wie Thomas Fowler mit anderen Worten anmerkt.
Den Autoren gelang es hier sehr gut, die Charaktere und die beiden Geschichten auszubalancieren, miteinander zu verknüpfen, und dennoch genügend Überraschungen offen zu halten, ohne den Zuschauer vor den Kopf zu stoßen.
Der Star des Films ist allerdings ohne Zweifel der geadelte Michael Caine, der hier einmal mehr eine hervorragende Leistung abliefert, die seiner grandiosen und preisgekrönten Darbietung in Gottes Werk & Teufels Beitrag [1999] in nichts nachsteht. Zu sehen, wie er sowohl in schnellen, als auch in ruhigen Szenen den fröhlichen, zynischen oder verletzten Journalisten mimt, ist ein Fest und dürfte jeden Zuschauer mitreissen. Mit seinem Gang, seinem Blick oder nur einem Zögern vermag er mehr auszudrücken, als viele der sogenannten Newcomer, die täglich über die Fernseher und Leinwände flimmern.
Bei dieser Schauspielkunst können die anderen Darsteller nur das Nachsehen haben, allerdings gelang den Produzenten eine sehr gute Besetzung, bei der alle in ihren Rollen glänzen. Überraschend ist das bei dem durch die Mumien-Filme bekannt gewordenen Brendan Fraser, der bislang nicht viel von seinem Können zeigen musste, und der sich in einigen (gern vergessenen) Klamaukfilmen vergeudete. Für Alden Pyle ist er die Idealbesetzung und bringt all das zum Ausdruck, wofür dieser Charakter steht; von seiner unbekümmerten Sichtweise zu Beginn, bis hin zu seinem entschlossenen und ernsten Auftreten am Schluss spielt er sämtliche Szenen, auch die Streitgespräche, völlig überzeugend und macht nie den Eindruck, als wäre er einer solchen Rolle nicht gewachsen.
Die exotischen Hauptdarstellerin Do Thi Hai Yen als Phuong ist ebenfalls ein Glücksgriff; die junge Darstellerin zieht in ihrem dritten Film die Zuschauer unwillkürlich in ihren Bann, selbst wenn sie fröhlich lächelt wirkt sie melancholisch und verkörpert dadurch den Zwiespalt ihres Landes absolut perfekt – eine bessere Wahl wäre schlicht nicht möglich gewesen. Auch sie hat einige sehr emotionale Szenen, die sie ausnahmslos sehr gut meistert.
Für eine Überraschung sorgt ebenfalls der bislang meist zum Nebendarsteller degradierte Tzi Ma, der unter anderem in Rush Hour [1998] zu sehen war. In mehreren Szenen zeigt er hier sein Können und sollte die letzten Zweifler überzeugen können. Man kann nur hoffen, dass er in Zukunft eher im Vordergrund zu sehen sein wird, verdient hätte er es auf jeden Fall – er ist wie der restliche Cast hervorragend besetzt.
An Regisseur Phillip Noyce lag es, das Geschehen angemessen in Szene zu setzen, und obwohl man sich in einigen Dialogen etwas mehr Dynamik von der Kamera gewünscht hätte, anstatt die Gesprächspartner einfach nur durch Schnitte einzufangen, ist ihm eine sehr gute Arbeit gelungen, die bewusst nicht darauf aus ist, den Zuschauer mit einer actionlastigen Inszenierung zu locken, sondern stattdessen eine ruhige Charakterisierung dieses Landes und der Hauptcharaktere zu zeichnen.
Lange Kameraeinstellungen, schmutzige Kriegsschauplätze – selbst die drückende Hitze wird beinahe schon spürbar gemacht. Noyce, der mit Todesstille [1989], Die Stunde der Patrioten [1992], Das Kartell [1994] und Der Knochenjäger [1999] Erfolge feiern konnte, gewährt den Darstellern genügend Raum, um ihr Potential zu entfalten, ohne sie durch eine aufsässige Kamera oder schnelle Schnitte zu bedrängen.
Die Übersicht bleibt auch in den etwas schnelleren Szenen, an den Kriegsschauplätzen oder während Bombenattentaten erhalten, die sehr gut fotografiert, aber nicht darauf ausgelegt sind, die Gewalt zu zelebrieren, oder den Zuschauer wie ein Voyeur vor das Leid der Beteiligten setzen. Vielmehr fühlt man sich wie ein Beobachter, der aufgefordert wird, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Gerade die spannenden Szenen sind dabei sehr gut umgesetzt worden und entwickeln sehr schnell eine mitreissende Dynamik, verzichten aber auf die heute üblichen MTV-Kamera-Einstellungen oder -Schnitte.
Die drei Kameramänner und der Cutter lieferten eine tadellose Arbeit ab, die mit vielen kleinen Höhepunkten, selbst in Dialogszenen, veredelt wird.
Eine beeindruckende Filmmusik gelang Komponist Craig Armstrong, der mit einer eingängigen Melodie das Ambiente des Films hervorragend eingefangen hat. Für William Shakespeares Romeo + Julia [1996] schuf er einen sehr rhythmischen Score und dieses Markenzeichen behielt er für seine Mitwirkung an Der stille Amerikaner glücklicherweise bei.
Sehr instrumental präsentiert sich seine Musik asiatisch angehaucht mit einer traditionellen Sängerin; das eher ruhige Thema ist sehr gut gelungen, dem stehen allerdings die spannenden Szenen in nichts nach. Hier mischte Armstrong dezent einen Synthesizer zu den Instrumenten – das Ergebnis ist sehr spannend, eingängig und schön anzuhören. Auch die Soundtrack-CD ist sicherlich einen Blick wert. Man kann ihm zu seiner gelungenen Arbeit nur gratulieren.
Ein Lob verdient auch die deutsche Synchronisation – da eine Seltenheit, ist es umso mehr eine Freude; mit Jürgen Thormann verpflichtete man einmal mehr den bekannten Sprecher für Michael Caine und dieser schafft es hervorragend, die verschiedenen Facetten des Charakters in seiner Stimme auszudrücken. Die lauten und leisen Dialoge wirken völlig natürlich, ein Genuss für die Ohren.
Thorsten Münchow sprach Brendan Fraser zwar bereits eher lustlos in den Mumie-Filmen, auch passt seine Stimme ansich nicht wirklich zu dem Darsteller, dafür ist sie viel zu hoch – hat man sich damit jedoch abgefunden, liefert Münchow in Der stille Amerikaner eine gute Arbeit ab, er gibt sich sichtlich Mühe und stört nie. Dass auch die vietnamesischen Charaktere gut synchronisiert wurden, ohne dass der Akzent künstlich oder aufgesetzt wirken würde, ist ebenfalls ein gutes Zeichen und zeigt, dass das deutsche Synchronstudio die Qualität des Films offensichtlich erkannte und ihm dementsprechend Aufmerksamkeit schenkte – die Zuschauer danken's.
Zwar sollte man sich eine englischsprachige Vorstellung dennoch nicht entgehen lassen, wenn sich die Gelegenheit bietet; die deutsche Synchronfassung ist allerdings trotzdem sehr gut gelungen.
Wer sich auch nur annähernd für die Story interessieren kann, und einen hervorragenden Darsteller wie Michael Caine in einer außergewöhnlich guten Rolle sehen möchte, sollte sich Der stille Amerikaner nicht entgehen lassen. Sowohl der geschichtliche, als auch der landschaftliche Hintergrund sind interessant und betörend; herausgekommen ist ein sehr guter, ruhiger Film, der sich an ein erwachsenes Publikum richtet, das durchaus bereit und in der Lage sein muss, bei einem Kinobesuch den Verstand einzuschalten, anstatt sich von präpubertären Komödien oder Schnellschusscomic-Verfilmungen selbigen rauben zu lassen.
Fazit:
Dank der großartigen Darstellerleistungen und der besonnenen Regie von Phillip Noyce gelang der deutschen Intermedia Produktionsgesellschaft ein sehr guter Film, der zwar finanziell leider kein Erfolg war, dafür künstlerisch umso mehr.
Sicherlich gänzlich ungeeignet für die schnell zu beeindruckende Jugend, die nur auf Unterhaltung ohne Nachdenken aus ist, erweist sich Der stille Amerikaner als ein reifes Portrait eines leidenden Landes und dreier Charaktere vor einer berauschend exotischen Kulisse.
Es macht einem als Zuschauer Mut, dass auch heute immer wieder anspruchsvolle Filme für Erwachsene gedreht werden. Und hin und wieder ist sogar ein so sehenswerter wie dieser hier dabei.