Der Gesang der Flusskrebse [2022]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 21. Juli 2022
Genre: Drama / Krimi / Liebesfilm

Originaltitel: Where the Crawdads Sing
Laufzeit: 125 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Olivia Newman
Musik: Mychael Danna
Besetzung: Daisy Edgar-Jones, Jojo Regina, Taylor John Smith, Harris Dickinson, Michael Hyatt, Sterling Macer, Jr., David Strathairn, Jayson Warner Smith, Garret Dillahunt, Ahna O’Reilly, Eric Ladin, Luke David Blumm


Kurzinhalt:

Es ist das Jahr 1969, als bei Barkley Cove in North Carolina im Marschland eine Leiche gefunden wird. Während die Polizei noch ermittelt, wird von der örtlichen Bevölkerung bereits Catherine Danielle „Kya“ Clarke (Daisy Edgar-Jones) verdächtigt, die mit dem Toten, Chase Andrews (Harris Dickinson), eine Beziehung gehabt haben soll. Seit jeher als Außenseiterin gemieden und verhöhnt, findet die seit Kindertagen im Marschland lebende Kya einzig in Anwalt Tom Milton (David Strathairn) eine Vertrauensperson. Doch auch er ahnt nicht, was die junge Frau bereits alles erdulden musste; von ihrem alkoholsüchtigen Vater (Garret Dillahunt), der auch sie misshandelte, ehe ihre gesamte Familie sie verließ, oder dass sie Jahre später in Tate (Taylor John Smith) eine freundliche Seele fand, nur um erneut enttäuscht und verlassen zu werden. All ihre Erfahrungen führten Kya schließlich hierher, in einen Gerichtssaal, in dem ihre Verurteilung bereits beschlossen scheint, ehe man erkennt, dass es keine Beweise für für ein Verbrechen gibt …


Kritik:
Basierend auf Delia Owens gleichnamigem Roman aus dem Jahr 2018, ist Olivia Newmans Adaption von Der Gesang der Flusskrebse nicht die Art Film, die er vorgibt zu sein. Was anmutet wie eine Mischung aus Liebesgeschichte und Krimi, eingebettet in die Rahmenhandlung einer Gerichtsverhandlung, entpuppt sich in Wirklichkeit als eine Erzählung über emotionale wie körperliche Misshandlung und die Isolation, mit der Opfer dem entgegen zu wirken versuchen. So gelungen viele einzelne Aspekte hier sind, ihr Zusammenspiel ist es nur bedingt.

Angesiedelt im Herbst des Jahres 1969, wird Der Gesang der Flusskrebse von Hauptfigur Catherine Danielle „Kya“ Clarke aus dem Off erzählt. Gerade einmal 24 Jahre jung, die meisten davon auf sich allein gestellt im Marschland in North Carolina aufgewachsen, erläutert sie, dass Marschland nicht Sumpf bedeutet, wobei man letzteres auch in ersterem finden kann. Die Sinnbilder sind dabei ebenso gelungen wie die Optik, die Newman insgesamt findet. Dort, tief im Marschland, wird die Leiche des aus wohlhabendem Hause stammenden Chase Andrews gefunden, der von dem 20 Meter hohen Feuerturm gefallen sein könnte – oder gestoßen wurde. Aber während die Polizei ermittelt, haben die Einwohner von Barkley Cove ihre Meinung bereits gebildet. Dem „Marschmädchen“ würde man so etwas zu trauen. Sie, die dort draußen allein aufgewachsen ist. Nachdem Faserspuren wenigstens ein Indiz darstellen, wird Kya verhaftet und wenig später vor Gericht gestellt.

Ein Teil der Erzählung konzentriert sich auf diese Gerichtsverhandlung, in der manche Schlüsselmomente aus Kyas Vergangenheit vorgetragen werden, doch sie selbst wohnt der Verhandlung beinahe losgelöst bei. Diese junge Frau wirkt derart verschlossen, dass sie im Gerichtssaal kein Wort spricht und auch zuvor mit ihrem Anwalt, dem ihretwegen aus dem Ruhestand zurückgekehrten Tom Milton, ebenfalls kaum. Wem also erzählt sie die Geschichte aus dem Off? Es würde Sinn ergeben, die Gerichtsverhandlung als Rahmen zu verwenden, damit die Geschworenen Kya besser kennenlernen würden, doch was Der Gesang der Flusskrebse über sie verrät, bleibt scheinbar einzig dem Publikum vorbehalten. Dass sie mit ihrer Familie in jenem Haus im Marschland aufgewachsen ist, bis ihr alkoholsüchtiger Vater alle anderen Familienmitglieder verjagte und Kya dann sogar selbst verließ, als sie gerade erst acht Jahre alt war. Danach blieb sie allein und konnte mit der Hilfe des farbigen Ehepaars Mabel und Jumpin’ überleben, die sich wohl ebenso als Außenseiter fühlen, wie Kya selbst.

Der Abschnitt der Geschichte ist so berührend wie der folgende, in dem Kya im Alter von 17 Jahren erneut auf den Jungen Tate trifft, den sie bereits aus Kindertagen kennt. Er bringt ihr Lesen und Schreiben bei, findet einen Zugang zu ihr, doch schließlich trennen sich ihre Wege. Kya aufblühen zu sehen, zu erleben, wie sich ihr eine neue Welt öffnet, sie hofft und strahlt, ist insbesondere dank der sehenswerten Darbietung von Daisy Edgar-Jones eine Freude. Umso tiefer der Fall, doch erklärt es nicht, weshalb sie sich Jahre später auf Chase Andrews einlassen sollte, der mehr Züge ihres seine Familie misshandelnden Vaters als von Tate verkörpert. Zu beobachten, wie diese starke und intelligente Frau sich in eine solche untergeordnete Rolle drängen lässt, ist der Moment, an dem Der Gesang der Flusskrebse inhaltlich scheitert. Dass es eine solche Dynamik bei Opfern toxischer Beziehungen gibt, gleichermaßen, wenn diese bereits im Kindesalter erlebt wurden, ist unbestritten. Doch es gelingt dem Drehbuch nicht, diese Entwicklung nachvollziehbar zu gestalten.

Hinzu kommt, dass Abschnitte wie der Rückblick in Kyas Zeit mit Tate in dieser Länge während er andauert keinen inhaltlichen Zweck zu verfolgen scheinen. Zu sehr wirkt es, als würde die Erzählung von Der Gesang der Flusskrebse als Krimi während jener Sequenz beinahe stillstehen. Die Konzentration des Drehbuchs hierauf ergibt mehr Sinn, wenn man sich ansieht, was für eine Art Geschichte hier tatsächlich vorgestellt wird, doch zu lange liegt der Fokus auf dem Mystery-Aspekt, anschließend auf der Liebesgeschichte. Mit einer angepassten Erzählstruktur, bei der die Rückblicke nicht derart willkürlich eingestreut erscheinen, wäre dies klarer gewesen. Auch hätte Kya dies durch ihre Off-Begleitung erläutern können. So muten viele Entscheidungen im ersten Moment eher gewollt, denn natürlich an. Doch das bedeutet nicht, dass es hier nichts zu entdecken gäbe, im Gegenteil. Nur schürt die Geschichte eine andere Erwartungshaltung, als sie einzulösen vermag.


Fazit:
So unnatürlich passiv es erscheint, dass Kya sich nicht über den Tod eines Menschen äußert, mit dem sie eine Beziehung führte, das Drehbuch zeigt kein einziges Mal, ob bzw. welche Fragen die Polizei ihr stellten und wie sie darauf antwortete. Sie wirkt wie eine unbeteiligte Zuschauerin ihrer eigenen Verhandlung. Es dauert, bis Filmemacherin Olivia Newman zu erkennen gibt, dass der Krimi-Aspekt nicht im Zentrum der Erzählung steht. Ebenso wenig wie die Liebesgeschichte(n), die im Falle von Tate zum Ende hin nur wenig Sinn ergibt. Kyas Entscheidung, sich überhaupt auf Chase einzulassen läuft dabei vollkommen wider ihren Charakter. So kann diese Beziehung, die derart elementar für die Geschichte ist, nicht überzeugen, das mögliche Liebesdreieck darum ebenso wenig. Das ist insofern schade, als dass Der Gesang der Flusskrebse toll gespielt ist, insbesondere von Daisy Edgar-Jones, aber auch von Jojo Regina als ihr jüngeres Alter ego. David Strathairn bereichert darüber hinaus jede Besetzung. Die handwerkliche Umsetzung ist ebenso fabelhaft, mit einer Optik, die nicht nur die Einzigartigkeit der Landschaft, sondern auch die Stimmung jedes Moments in jener Zeit hervorragend einfängt. Nichtsdestotrotz fehlt es an der inhaltlichen Zugkraft, den dramatischen Ereignissen auch emotionales Gewicht zu verleihen. Dabei wäre die Aussage letztlich umso wichtiger.