Das Schweigen der Lämmer [1991]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. Juni 2006
Genre: Thriller

Originaltitel: The Silence of the Lambs
Laufzeit: 113 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1990
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Jonathan Demme
Musik: Howard Shore
Darsteller: Jodie Foster, Anthony Hopkins, Scott Glenn, Anthony Heald, Ted Levine, Frankie Faison, Kasi Lemmons, Brooke Smith, Paul Lazar, Dan Butler, Lawrence T. Wrentz


Kurzinhalt:
Nicht ohne Hintergedanken sendet der Einsatzleiter des FBI, Jack Crawford (Scott Glenn), die FBI-Schülerin Clarice Starling (Jodie Foster) zu dem vor Jahren gefassten kannibalischen Serienmörder Dr. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins), um an einer Befragung teilzunehmen.
Crawfords Plan geht auf und Lecter willigt – den Coup durchschauend – ein, an der Erstellung eines Täterprofils zu helfen, mit dessen Hilfe die Behörden der Frauenmörder Buffalo Bill (Ted Levine) fassen wollen. Der entführt regelmäßig Frauen, um sie wenig später zu töten und zu häuten. Als Buffalo Bill die Tochter der Senatorin Martin gefangen nimmt, steigt der Druck auf die FBI-Ermittlungen, und machen sie Lecter ein Angebot für eine bessere Unterbringung.
Aber Lecters Aussagen und Hinweise sind mehrdeutig, und während der brillante Intellekt seine eigene Agenda verfolgt, läuft Crawford die Zeit davon. Einzig die intensiven Dialoge mit der jungen Agentin Starling scheinen Lecter zu interessieren, der sich immer mehr in den Geist seiner Besucherin hinein versetzt. Als der Anstaltsleiter Dr. Chilton (Anthony Heald) die Möglichkeit sieht, aus der Entführung und Lecters Wissen in dem Fall Profit zu schlagen, eskaliert die Situation – mit kaum vorstellbaren Folgen.


Kritik:
Im Jahr 1981 erfuhr die Leserschaft von Thomas Harris zum ersten Mal von dem kannibalischen Serienmörder Dr. Hannibal Lecter, auch wenn seine Auftritte im Roman Roter Drache nur von kurzer Dauer waren. Sieben Jahre später wurde Lecter einer größere Rolle zuteil, als er in Das Schweigen der Lämmer dem FBI bei der Aufklärung eines Falles half – wenn auch zu seinem eigenen Vorteil. Von der gleichnamigen Verfilmung mitgerissen, suchten die begeisterten Zuschauer auch den ersten Teil der Lecter-Reihe, Roter Drache in den Bücherregalen und so wurde der Roman beinahe ein Jahrzehnt nach seiner Veröffentlichung ein größerer Hit als zu Beginn.
Lecter selbst war dabei bereits 1986 in der wenig erfolgreichen Verfilmung von Roter Drache zu sehen gewesen, dessen Neon-Stil von Regisseur Michael Mann keinen Anklang beim Publikum fand. Brian Cox verkörperte in Manhunter, wie der Film hierzulande auch betitelt wurde – oder Blutmond – Dr. Lecter. Nach dem desaströsen Einspielergebnis verschenkte Produzent Dino De Laurentiis die Rechte an Das Schweigen der Lämmer an die Konkurrenz, behielt sich allerdings die Rechte an den übrigen Harris-Romanen vor. Nach dem weltweiten Erfolg von Das Schweigen der Lämmer dauerte es über zehn Jahre, ehe Laurentiis mit Roter Drache [2002] das Prequel mit Dr. Lecter sowohl mit Anthony Hopkins, als auch mit Erfolg neu in die Kinos brachte. Und doch war das Grauen dieses durch und durch bösartigen Intellekts nie wieder so spürbar, wie in Jonathan Demmes Thriller-Meisterwerk.

Die Romanvorlage in filmische Form zu bringen war Aufgabe von Skriptautor Ted Tally, der hierfür auch die begehrte Oscartrophäe in Empfang nehmen konnte. Dabei folgt der Film der Vorlage stellenweise sehr genau, auch wenn beinahe wörtliche Passagen aus dem endgültigen Film heraus genommen wurden und auf der DVD als Deleted Scene zu sehen sind.
Die Herangehensweise der Geschichte an die gesamte Thematik ist allerdings grundverschieden von vielen Erzählungen, die man heute in dem Genre zu sehen oder zu lesen bekommt. Anstatt einen Teil des Drehbuchs damit zu verbringen, die Hintergrundgeschichte von Buffalo Bill zu erläutern, beschränken sich die Erkenntnisse des FBI und damit des Zuschauers lediglich auf die Rückschlüsse der Profiler, Experten und Hannibal Lecters zu dessen Taten. Wie er letztlich zu der Figur wurde, wie sie im Film zu sehen ist, wird nie geklärt und auch über Lecters Hintergrund ist kaum etwas zu erfahren. Und eben hier verliert der Zuschauer meistens seinen Bezug zu den Figuren, denn während Clarice Starling in den Mittelpunkt gerückt wird, fehlt ihr ein eindeutiger Gegenspieler – mit Dr. Lecter und Buffalo Bill als Duo kann sie sich ohnehin nicht messen, und von den Antagonisten scheint die Vorlage selbst derart hin und her gerissen, dass ein einzelner Widersacher fehlt. Dafür wartet das Skript allerdings mit einer glaubhaften Geschichte, exzellenten und psychologisch ausgereiften Dialogen auf, Charakterisierungen wie man sie in Filmen selten zu sehen bekommt und einem durchgehenden Spannungsaufbau, der zwei bemerkenswerte Höhepunkte beinhaltet.
Dahingehend gelingt Tally auch eine Meisterleistung, die durch die Unvorhersehbarkeit der Geschichte noch übertroffen wird; dass es ihm außerdem gelingt, die Romanvorlage inhaltlich treffend zu adaptieren, und den Stoff dennoch gekonnt zu komprimieren ist beeindruckend.
Nicht zuletzt dank der Szenenaneinanderreihung, des Spannungsbogens und der Dialoge zählt Das Schweigen der Lämmer zu den besten und ausgefeiltesten Thrillervorlagen, die in Hollywood bislang umgesetzt wurden.

Kaum ein Darsteller hat mit derart wenigen Minuten auf der Leinwand einen derartigen Eindruck für eine Rolle hinterlassen – Anthony Hopkins gelang dies sogar so gut, dass er dafür den Oscar bekam, eine Auszeichnung, die angesichts seiner Leistungen mehr als gerechtfertigt ist. Er verkörpert den überlegenen Intellekt auf eine beängstigende Art und Weise, erweckt immer den Eindruck, als wäre er seinem Gegenüber überlegen und warte nur darauf, seine Chance zu nutzen. In seiner Vorbereitung studierte der damals immerhin bereits 54jährige die Akten von wirklichen Serientäter und ahmte sogar ihre Verhaltensweisen nach, weswegen man ihn so gut wie nie im Gespräch blinzeln sieht. Der Aufwand hat sich gelohnt, heute steht Hopkins Leistung nach wie vor unangefochten am Firmament Hollywoods als einer der eindrucksvollsten und deshalb Furcht einflößendsten Bösewichter der Filmgeschichte – und man darf sich gar nicht vorstellen, dass diese Figur auf tatsächlichen Tätern basiert.
Auch wenn Jodie Foster die Wunschbesetzung von Drehbuchautor Ted Tally gewesen ist, Regisseur Demme hatte zuerst Michelle Pfeiffer im Sinn, mit der er bereits Die Mafiosi-Braut [1988] gedreht hatte, die aber ablehnte, da ihr das Drehbuch zu brutal erschien. Erst im Anschluss traf sich der Regisseur mit Foster und gab ihr sofort die Rolle – für die sie wie Hopkins einen Oscar erhielt, und das vollkommen zurecht. Kaum einer Darstellerin gelingt die Verkörperung jener zurückhaltenden Impulsivität so gekonnt, wie ihr. Zu beobachten, wie sie sich immer mehr Lecter öffnet, bei ihrer ersten Begegnung buchstäblich zittert und in der Umgebung ihrer Vorgesetzten immer darum bemüht ist, sich ein Lächeln abzuringen, da dies von ihr als Frau erwartet wird, ist bemerkenswert und so glaubhaft gespielt, dass man sich niemand anders in der Rolle hätte vorstellen können. Nur wenige Jahre nach ihrer preisgekrönten Rolle in Angeklagt [1988] gelingt Jodie Foster erneut eine Meisterleistung, die in diesem Genre bislang unerreicht ist.
Auch Scott Glenn, der in der Rolle des FBI-Agenten Jack Crawford eine erinnernswerte Darbietung zeigt, bereitete sich intensiv auf die Rolle vor; so verbrachte er Zeit mit dem Detective John Douglas, auf dem die Rolle basiert und arbeitete sich auch ins Milieu der Serientäter ein. Er spielt den unnahbaren, kühlen Einsatzleiter gekonnt und verleiht ihm mit seinen Gesten und seiner Mimik eben jene Zurückhaltung, die man bei ihm erwarten würde. Ebenso Anthony Heald, der als Dr. Chilton einige der unterhaltsamsten Momente beisteuert und eine wirklich gute Arbeit leistet.
Kaum beachtet ist hingegen Ted Levine, der als Buffalo Bill eine schwere Rolle zu bekleiden hat, die ihm allerdings dank seiner bemerkenswerten Wandlungsfähigkeit durchaus gelingt. Die Sprünge in seinem Temperament mitzuerleben, seine Persönlichkeit sich von einem Moment auf den anderen wandeln zu beobachten, ist beeindruckend und – den vielen Berichten und Dokumentationen, auf denen seine Figur basiert – dem Tätertypus entsprechend. Insgesamt war das FBI von der Darstellung der Täter, der Profile und der Ermittlungen begeistert, einzig die Entscheidung, Starling allein die letztliche Befragung durchführen zu lassen, stieß auf Ablehnung.
Auch der übrige Cast ist sehr gut ausgesucht und durchweg motiviert – interessanterweise finden sich gerade in Nebenrollen einige bekannte Regisseur, so auch Roger Corman und George A. Romero. Selbst Jonathan Demme ist in einer kleinen Rolle zu sehen. Angeführt von zwei der besten Darsteller ihrer Generation hätte man sich keine geeignetere Besetzung vorstellen können und man darf sich gar nicht vorstellen, wie Das Schweigen der Lämmer ausgesehen hätte, wäre andere Hauptakteure (wie beispielsweise Robert De Niro oder Jack Nicholson) unter Vertrag genommen worden.

Für Regisseur Jonathan Demme, der unter anderem mit Gefährliche Freundin [1986] international bekannt wurde, stellt Das Schweigen der Lämmer bislang der größte Erfolg dar, und auch wenn er für sein bewegendes HIV-Drama Philadelphia [1993] zweifelsohne eine Oscarnominierung verdient hätte, für den psychologischen Thriller erhielt er bislang seine einzige Nominierung – und gewann die Trophäe überdies.
Dass er in der Lage ist, die Schauspieler durch die schwierigen Szenen zu führen, beweist er gerade bei den langen Dialogen zwischen Clarice Starling und Hannibal Lecter, die mit einer Intensität gespielt sind, wie man es selten zu sehen bekommt. Gleichzeitig offenbart Demme aber auch ein exzellentes Gespür für die Optik und den Szenenaufbau, die das Grauen vielfach nur andeuten und den Zuschauer anhand der Reaktionen der übrigen Beteiligten daran Teil haben lassen. Einfallsreiche, mit Gespür für Details ausgesuchte Blickwinkel darf man als Zuschauer ebenso bewundern wie eine Bildersprache, die immer genügend Zeit für die Akteure findet, und doch in den notwendigen Szenen eine Spannung aufbaut, der man sich kaum entziehen kann.
Kamera und Schnitt greifen Hand in Hand, um den Zuschauer wie Starling selbst immer weiter in Hannibals Netz verfangen zu lassen – im Gegensatz zu Manhunter bewahrt sich Demme außerdem eine zeitlose Umsetzung, die auch nach über 15 Jahren immer noch so aktuell und prägnant erscheint, wie damals.

Dass Komponist Howard Shore für seine Leistung zwar für mehrere Preise nominiert und sogar ausgezeichnet, ihm aber nicht einmal die Ehre einer Oscar-Nominierung zuteil wurde, ist unverständlich, denn gerade seinem schwermütigen, mit klaren Motiven gespickten Score verdankt der Film seine beunruhigende, elegische Atmosphäre.
Die ruhigen Themen, minimalistische Melodien, die durch die düstere Instrumentierung eine eigenständige Persönlichkeit verliehen bekommen, definieren gerade diejenigen Szenen, die dem Zuschauer am meisten Unbehagen bereiten und unterstützen auf kaum merkliche Weise den Spannungsaufbau bei denjenigen Sequenzen, die einem als Zuschauer einen Schauer über den Rücken jagen.
So eignet sich der Score auch zum Hören ohne den Film, auch wenn er gerade in Verbindung mit den kühlen Bildern sein volles Potential entfaltet. Es gibt kaum einen Soundtrack im Thriller-Bereich, der durch wenige Takte seiner Melodie einen derart großen Wiedererkennungswert bietet, wie Shores Das Schweigen der Lämmer – in der Form lässt sich der Score am besten mit John Williams Aus Mangel an Beweisen [1990] vergleichen, dessen Kompositionen den Film im selben Maße definierten.

Kaum jemand hätte vermutet, dass eine so düstere Romanadaption allein in den USA einen so großen Erfolg erreichen könnte, und doch wurde Demmes Thriller der vierterfolgreichste Film 1991 und gewann überdies die fünf entscheidenden, künstlerischen Oscars für die beste Hauptdarstellerin, den besten Hauptdarsteller, bester Film, beste Regie und bestes adaptiertes Drehbuch.
Thomas Harris, der vom Erfolg des Films derart beeindruckt war, dass er sich daran machte, die Fortsetzung Hannibal [1999] zu schreiben, gibt allerdings zu, den Film nicht gesehen zu haben, um sich dadurch nicht in seiner Tätigkeit als Autor beeinflussen zu lassen. Beeinflusst hat Jonathan Demmes Film allerdings sowohl die Porträtierung Hollywoods von ähnlich gelagerten Serientäter, als auch unzählige Produktionen in Film und Fernsehen. Bis heute bleibt der tief gehende Thriller jedoch ohne ernst zu nehmende Konkurrenz und besticht durch eine ebenso beunruhigende wie glaubhafte Erzählung, die auch bei mehrmaligem Ansehen unter die Haut geht.


Fazit:
Auch wenn durch zahlreiche TV-Serien, Dokumentationen und in den 1990ern eingeführten TV-Formaten die Psyche von Serientätern kein großes Geheimnis mehr darstellt und diese Mörder in allen Medien durchleuchtet werden, mit Das Schweigen der Lämmer machte Regisseur Jonathan Demme jenen verstörenden, beunruhigenden Archetypen zum ersten Mal einem breiten Publikum zugänglich und erschuf damit ebenso einen neuartigen wie bislang unerreichten Meilenstein des Films.
Mit einer nicht vorhersehbaren Geschichte, abgründigen und tiefschürfenden Charakterzeichnungen, überragenden Darstellerleistungen und einer zeitlos spannend-beklemmenden Umsetzung setzt sich die Thomas Harris-Verfilmung an die Spitze eines Genres, das in dieser Form durch den Film erst begründet wurde.
Dass die Geschichte stellenweise etwas langatmig erscheint liegt daran, dass sich das Skript daran versucht, sowohl Buffalo Bill, als auch Hannibal Lecter zu porträtieren, ohne aber bei einem von beiden wirklich auf die Hintergründe einzugehen. Dadurch wirken beide zwar unnahbar und in ihrem Handeln unverständlich, aber gleichzeitig noch diabolischer und somit Furcht einflößender. Wer sich auf den psychologisch ausgefeilten Thriller einlassen möchte, sollte aber trotz des Verzichts auf eine explizite Gewaltdarstellung starke Nerven mitbringen – denn auch nur zu wissen, was die Täter ihren Opfern antun, zermürbt mitunter mehr, als es auch dargestellt zu sehen.