Das kostbarste aller Güter [2024]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 10. Februar 2025
Genre: Animation / Drama
Originaltitel: La Plus Précieuse des marchandises
Laufzeit: 81 min.
Produktionsland: Frankreich / Belgien
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Michel Hazanavicius
Musik: Alexandre Desplat
Stimmen: Jean-Louis Trintignant (Jürgen Prochnow), Dominique Blanc, Grégory Gadebois, Denis Podalydès
Kurzinhalt:
In einem Wald in Polen im Winter 1943 leben ein Holzfäller (Grégory Gadebois) und seine Frau (Dominique Blanc) ein einfaches, entbehrungsreiches Leben. Die Holzfällersfrau hofft jedes Mal, wenn sie beim Holzsammeln an den Gleisen entlang geht, dass dort wieder irgendetwas für sie liegt. Dinge, die Menschen aus den Zügen geworfen haben. Etwas, das ihren Tag erhellt. So entdeckt sie an einem verschneiten Tag neben den Bahngleisen ein Baby, das im Akt größter Verzweiflung aus einem der Züge geworfen wurde. Während der Holzfäller ihr sagt, sie solle das Kind wegbringen, das zu denen gehöre, die ihren Gott ermordet hätten, will sie das Mädchen großziehen. Ungeachtet ihrer eigenen Armut ist sie bereit, diesem Kind alles zu geben, was sie hat, um es aufwachsen zu sehen. Dafür trifft sie sogar mit einem anderen, von einem vorigen Krieg gezeichneten Mann (Denis Podalydès) im Wald die Vereinbarung, für ihn Holz zu sammeln. Im Gegenzug erhält sie die Milch seiner Ziege für das Baby. Ihnen allen ist gemein, dass sie das kostbarste aller Güter beschützen wollen, wie hoch der Preis auch immer sei …
Kritik:
Viele Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg wurden in vielen verschiedenen Medien erzählt, so dass man sich zu Beginn durchaus fragt, weshalb sich Filmemacher Michel Hazanavicius für seinen ersten Animationsfilm für diese Geschichte und diese Art der Erzählung entschied. Spät erkennt man, dass Das kostbarste aller Güter auch in den Zeichnungen derart ausgemergelt erscheint, wie es seine Figuren tun. Dies mündet in einem Moment, der beklommener macht, als man sich eingestehen mag, selbst wenn der übrigen Erzählung dies nicht gelingt.
Der namenlose Erzähler versetzt das Publikum nach Polen im Winter 1943, wo ein Holzfäller und eine Holzfällersfrau im Wald ein abgeschiedenes, hartes Leben führen. Es hat sie ihr Kind gekostet, sodass ihr Leben eines ohne Freude ist. Während der Holzfäller seiner Arbeit nachgeht, sehnt sich die Holzfällersfrau nach irgendetwas, das ihrem Leben Sinn gibt und sie betet sogar zu den Göttern, dass der Zug, der regelmäßig über die Gleise der tief verschneiten Landschaft kreischt, ihr etwas schenken möge. Eines Tages, der so kalt und düster ist wie viele andere in jenem Winter, hört die Holzfällersfrau ein Baby nahe den Gleisen rufen. Sie birgt das in ein Tuch gewickelte Kind und nimmt es mit. Gegen den Willen des Holzfällers, der in dem Mädchen nicht nur einen weiteren hungrigen Mund sieht, sondern eine „Herzlose“, wie er sie nennt, entscheidet sich die Holzfällersfrau, das Kind großzuziehen. Doch während das Kind ihrer beider Leben verändert und der Holzfäller gar seine Ressentiments zu hinterfragen beginnt, bleibt die Welt ein finsterer Ort und das Kind in großer Gefahr.
Den Werdegang des Mädchens mag sich ein erwachsenes Publikum früh erschließen, wenn man den Güterzug durch die Landschaft fahren sieht, aus dessen Schornstein es glühend rot zu brennen scheint. Langsam und behutsam erweitert Das kostbarste aller Güter die Perspektive der Geschichte und der Figuren, wenn der Holzfäller, der neben den Gleisen arbeitet, das offenbar jüdische Kind anfangs dämonisiert, sich dann jedoch hinterfragt, was in den Eltern des Babys vorgegangen sein muss, dass sie es aus dem Zug geworfen haben, in der Hoffnung, dass ihm der Horror erspart bleibt, der sie im Lager unweit der Hütte des Holzfällers erwartet. Dies vermittelt der Animationsfilm, ohne ein Wort zu verlieren. Selbst der Holzfäller und die Holzfällersfrau sprechen kaum miteinander. Vielmehr lässt der Regisseur die stellenweise wie Aquarelle erscheinenden Bilder auf das Publikum wirken und vermittelt so die Einsamkeit der Charaktere, die ihren Wald nie verlassen haben.
Doch so entbehrungsreich das Leben, in dem selbst der Hund des Holzfällers abgemagert ist, als die Holzfällersfrau sich auf die Suche nach jemandem macht, der ihr Milch für das Mädchen anbieten kann, findet sie Menschen, die bereit sind, Güte zu zeigen in Anbetracht des jungen Lebens. Selbst der anfangs grummelige Holzfäller beginnt, das Mädchen in sein Herz zu schließen und spricht sich laut gegen die rassistischen Vorurteile seiner Kollegen aus, was deren Aufmerksamkeit auf ihn zieht. Kurz darauf ändert sich der Fokus der Erzählung und beleuchtet das Leben des Familienvaters, der mit seiner Frau und seinen Kindern in einem Wagon jener Züge einem Verbrechen entgegensieht, das jede Vorstellung übersteigt. So dezent und leise die Beobachtungen um die Holzfällersfrau und das Mädchen sind, das sie findet, die Erlebnisse jenes Mannes sind es, die einen unvermittelt treffen. Stark stilisiert, erweckt Das kostbarste aller Güter mit Eindrücken aus dem Konzentrationslager ein unsägliches Elend zum Leben, dass einem unwohl wird. Dass die Schilderungen „nur“ gezeichnet sind, mindert ihre Wirkung nicht.
Dem beizuwohnen, ist bewegend und merklich schwer, denn obwohl der Erzähler herausstellt, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt, zieht er dies in Zweifel, wenn er – in Anbetracht der langen Zeit seit den Ereignissen des Holocaust – die Gesamtheit der Verbrechen, die damals geschahen, anzweifelt. Könnte sich ein solches Schicksal somit doch zugetragen haben? Oder sollte die Frage nicht viel eher lauten, in Anbetracht der Unmenschlichkeiten, die damals verübt wurden, was könnte sich nicht zugetragen haben?
Basierend auf dem gleichnamigen Roman des Autors Jean-Claude Grumberg erzählt Das kostbarste aller Güter ungemein berührend eine so originelle wie facettenreiche Geschichte, bei der doch Vieles unklar bleibt. Beispielsweise wie viel vom Schicksal der Inhaftierten die Holzfällersfrau wusste oder ahnte, wenn sie an den Gleisen darauf hofft, dass diese ihre Habseligkeiten aus den Wagons werfen. Oder ob sie die antisemitischen Gefühle des Holzfällers teilte, der so abfällig über Jüdinnen und Juden spricht. Vielleicht ist all dies auch nicht so entscheidend, wie die Darstellung dessen, wie jenes Mädchen, das ihrer beider Leben bereichert, ihre Herzen verändert.
Fazit:
Erblickt der Vater seine eigene, ausgemergelte Gestalt in der Spiegelung und was das Leid, das er erfuhr, für die Person bedeuten könnte, die ihm am wichtigsten ist im Leben, bricht es einem beinahe das Herz. Es ist ein Moment, der so sehr bewegt, dass es schmerzt. Selbst wenn Filmemacher Michel Hazanavicius zuvor und danach bewegende Augenblicke erschafft, an jene Wirkung reichen sie nicht heran. In der Darstellung und den Farben beinahe ausgezehrt, erzählt Das kostbarste aller Güter eine Geschichte, in der größtmögliche Güte und Aufopferung sowie unvorstellbare Grausamkeit und Unmenschlichkeit dicht beieinander liegen. Das ist inhaltlich wichtig und wirkt lange nach, selbst wenn die Aussage am Ende eine andere ist, eine die hoffnungsvoller stimmt, als es die Erlebnisse der Figuren vermögen. Besser als der Erzähler kann man es kaum zusammenfassen, wenn er sagt, „die Liebe ist es, die dafür sorgt, dass das Leben weitergeht. Der Rest ist Schweigen.“ Wertvolle, wenn auch schwere Kost.