Das geheime Leben der Bäume [2020]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 10. Januar 2020
Genre: Dokumentation

Originaltitel: Das geheime Leben der Bäume
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Jörg Adolph
Musik: Franziska Henke
Personen: Peter Wohlleben


Hintergrund:

Basierend auf seinem gleichnamigen Buchbestseller gibt der gelernte Förster Peter Wohlleben einen Einblick in den Zustand, den Werdegang und auch die mögliche Zukunft des heimischen Waldes. Einer Waldführung gleich, beschreibt er aktuellste Erkenntnisse darüber, wie einzelne Bäume solidarisch zusammenarbeiten, wie sie miteinander kommunizieren und welchen Gefahren sie sich, auch auf Grund des Einflusses der Menschen, gegenübersehen. Gleichzeitig beleuchtet der Dokumentarfilm den Autor selbst, der sich nach wie vor für den Erhalt der Baumlandschaften einsetzt und mit seinen Werken die Leserschaft in ganz Europa erobert hat.


Kritik:
Mit seinem 2015 erschienenen Sachbuch Das geheime Leben der Bäume gelang Autor Peter Wohlleben ein Bestseller. Seine Botschaft einem Kinopublikum nahe zu bringen, den Wald nicht nur als Ressource zu betrachten, erscheint gerade heute, da allgemein ein größeres Bewusstsein um die Umwelt und unsere Abhängigkeit von ihr zu existieren scheint, durchaus sinnvoll. Doch Filmemacher Jörg Adolph erzählt wenig Neues um die Natur und ihre Wunder selbst, sondern zeichnet die Hälfte des Dokumentarfilms ein Porträt des gelernten Försters, der zum Autor wurde. Das wird jedoch in den seltensten Fällen das sein, was das Publikum erwartet.

Dass es durchaus Sinn macht, den charismatischen Naturbewahrer im wörtlichen Sinn vorzustellen, steht außer Frage. Die ersten fünf Minuten des Dokumentarfilms sind insofern davon geprägt, den Autor, der diesen Film auch aus dem Off begleitet, näher zu beleuchten. Nur wenn man seinen Werdegang versteht und um seine Expertise weiß, kann man seinen Aussagen, die sich zum Teil dem entgegenstellen, was die staatliche Forstwirtschaft vertritt, entsprechend Gewicht beimessen. Dass der Film Kapitelüberschriften und Einleitungen seines Buches heranzieht, um einen Einblick in den heimischen Wald zu bieten, ist ebenfalls verständlich. Allerdings ist Das geheime Leben der Bäume nicht wirklich in diese Kapitel unterteilt. Dem Dokumentarfilm selbst fehlt es an einer Struktur, einem tatsächlichen Drehbuch, das es sich zur Aufgabe macht, das Publikum durch die Inhalte des Sachbuchs zu führen oder bestimmte Themen zu erörtern.

So beginnt ein Abschnitt beispielsweise mit der Kapitelüberschrift „Liebe“, wobei die Liebe unter den Bäumen und nicht zu den Bäumen gemeint ist. Doch in den folgenden Minuten bis zur nächsten Überschrift schildert Regisseur Adolph, wie junge Nachwuchsförster von Wohlleben eine von vielen Lehrmeinungen abweichende Auffassung der Natur und ihrer Geheimnisse erhalten. Es geht auch darum, wie der Parasitenbefall die heimischen Wälder vor eine Herausforderung stellt. Bis auf die ersten erzählten Sätze des Autors hat der Abschnitt selbst mit der Überschrift nicht wirklich viel gemeinsam. So ergeht es dem Dokumentarfilm bedauerlicherweise über lange Zeit, wobei die Hälfte der Laufzeit nicht den Titel gebenden Bäumen gewidmet ist, sondern dem Menschen, der über sie geschrieben hat.

Das geheime Leben der Bäume begleitet den berühmt gewordenen Autor auf einer Buchtour durch Europa, zeigt ihn in allen möglichen Situationen und Ausflügen, Waldwanderungen, die er mit Besuchergruppen unternahm. Ebenso beobachtet ihn der Filmemacher auf einer Reise nach Schweden zur ältesten Fichte der Welt, deren Wurzel 9.550 Jahre alt ist, und ebenso nach Kanada. Den Zweck dieser Reisen, insbesondere der letzten, verschweigt der Film aber vollständig. Zwar soll auch dort ein altes Waldgebiet gerodet werden, ein Umstand, den Wohlleben um seine Einschätzung ergänzt, doch weshalb er zu dieser Reise überhaupt angetreten war, was eine eventuelle Einladung veranlasst hat, wird nie erwähnt. Ebenso wenig, wofür die zahlreichen Videoclips sind, die der Autor in den verschiedensten Situationen mit seinem Mobiltelefon aufnimmt und die offensichtlich für seine Social Media-Kanäle gedacht sind. All diese Punkte erscheinen, eben weil sie nicht kommentiert werden, als entstammten sie einer Rohfassung der Dokumentation, vollkommen ungeordnet und zusammenhanglos. Oder als solle der öffentlichen Person Wohlleben hier eine Plattform geboten werden.

Unbestritten erzählt Peter Wohlleben auch in den Einblicken, die ihn bei politischen Protestkundgebungen zeigen, immer wieder Wissenswertes und Interessantes über den heimischen Wald. Beispielsweise, dass es einen unberührten, europäischen oder deutschen Ur-Wald bis auf wenige Ausnahmen faktisch nicht gibt, da selbst groß angelegte Waldflächen eben künstlich angelegt wurden. Oder dass Bäume soziale Lebewesen sind, die Nahrung mit Artgenossen teilen, dass sie Superorganismen wie Ameisenhaufen gleichen. Untermalt mit traumhaften und teils träumerischen Naturaufnahmen, ist der tatsächliche Natur-Dokumentationsgehalt ebenso hörenswert wie unterhaltsam. Doch die vielen privaten Einblicke in das Leben des unzweifelhaft charismatischen Autors bzw. Förster lenken von dem Informationsgehalt, den man sich bei dem Titel Das geheime Leben der Bäume vorstellt, merklich ab.
Dass zumindest in der gezeigten Pressevorführung – und es gibt keinen Anhaltspunkt zu vermuten, dass die in den Kinos gezeigte Version sich hier unterscheiden wird – die weiteren Personen weder vorgestellt, noch in Text-Einblendungen erklärt würde, wer sie überhaupt sind, untermauert ebenso wie die fehlenden Untertitel bei den englischsprachigen Passagen den Eindruck, dass Jörg Adolphs Film den Status einer ungeschliffenen Vorabfassung und nicht eines fertigen Dokumentarfilms innehat. Sich das (auf der großen Leinwand) anzuschauen, kann man nicht empfehlen.


Fazit:
Dass die Buche die an sich ursprüngliche, heimische Baumart darstellt, war diesem Kritiker nicht bekannt und ich würde sie auch nach dem Film nicht erkennen, wenn ich sie sehen würde. Ihre Merkmale, ihr Aussehen, nichts wird von ihr vorgestellt. So sehr es Filmemacher Jörg Adolph gelingt, die Aussage Peter Wohllebens auf den Punkt zu bringen, „Sie können den Wald nicht pflegen“, weil die Natur am besten für sich selbst sorgt, so tadellos herausgearbeitet ist, dass auch die pflanzlichen Bewohner des Waldes Lebewesen sind, bei denen es viel mehr zu entdecken gibt, als man vermuten würde, so orientierungslos sind diese Punkte mit den Einblicken in die Person Wohlleben verwoben. Ihn als eine Figur dieser Dokumentation vorzustellen, ihn sie erzählen zu lassen, ist kein Kritikpunkt. Doch seine Person ist über weite Strecken die Dokumentation, während der reine Informationsgehalt nicht über das hinausgeht, was man ein einer Fernsehdokumentation in der Hälfte der Zeit zu sehen bekommt. Dass Das geheime Leben der Bäume eine Struktur vermissen lässt, sieht man auch daran, dass der Film zum Ende kommt, ohne dass es irgendeinen Appell, einen Ausblick oder eine Zusammenfassung gäbe. Den tollen Naturaufnahmen zum Trotz, ist diese Dokumentation inhaltlich nicht halb so ergiebig, wie wenn man selbst eine Stunde im Wald verbringt. Das ist mehr als nur enttäuschend.