Bullet Train [2022]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 2. August 2022
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: Bullet Train
Laufzeit: 126 min.
Produktionsland: Japan / USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: David Leitch
Musik: Dominic Lewis
Besetzung: Brad Pitt, Aaron Taylor-Johnson, Brian Tyree Henry, Joey King, Andrew Koji, Hiroyuki Sanada, Bad Bunny, Sandra Bullock, Zazie Beetz, Michael Shannon, Logan Lerman, Karen Fukuhara


Kurzinhalt:

Als der sich vom Pech verfolgt glaubende Auftragskiller Ladybug (Brad Pitt) nach einer Auszeit zurückkehrt, erhält er von seiner Kontaktperson (Sandra Bullock) einen einfachen Auftrag. Aus dem sogenannten „Bullet Train“, einem japanischen Hochgeschwindigkeitszug, soll er einen Koffer stehlen. Doch als er den in Händen hält, steht der Wolf (Bad Bunny) vor ihm, ein mexikanischer Auftragsmörder, der sich an ihm rächen will. Darüber hinaus gibt es im Zug mehrere Personen, die an dem Koffer interessiert sind. The Prince (Joey King), die dafür ebenso über Leichen gehen würde, wie Lemon (Brian Tyree Henry) und Tangerine (Aaron Taylor-Johnson), die nicht nur den Koffer, sondern auch den Sohn des einflussreichsten Gangsters in Japan beschützen sollten. Sie alle sind aus einem bestimmten Grund in diesem Zug und ahnen doch nicht, wessen Spiel sie spielen …


Kritik:
Basierend auf dem gleichnamigen japanischen Roman (Mariabītoru) [2010] von Kōtarō Isaka, fühlt sich David Leitchs Adaption eher an wie die Verfilmung eines Graphic Novel. Bunt, selbstbewusst bis zu dem Punkt, dass man nicht weiß, ob es eine Parodie sein soll, ist Bullet Train handwerklich aufwändige und nie ernst zu nehmende Thriller-Action für ein erwachsenes Publikum. Doch die Inszenierung sorgt auch dafür, dass nur selten Tempo aufkommt. Dem Unterhaltungswert schadet das kaum.

Die Geschichte klingt so absurd, wie für das Genre vielversprechend. Der Auftragskiller „Ladybug“ soll laut seiner Kontaktperson, einer weiblichen Stimme am Telefon, in Japan in einem Hochgeschwindigkeitszug auf dem Weg von Tokio nach Kyoto einen Koffer stehlen. Menschen will der sich in psychiatrischer Behandlung befindliche Killer nicht mehr töten und sieht sich selbst als größten Unglücksraben. Der Auftrag klingt einfach und wenig später könnte er mit dem Koffer sogar den Zug wieder verlassen, als ihm ein weiterer Gangster gegenüber steht. Doch ist dies nicht der einzige Handlungsfaden in jenem Zug. In einem weiteren sollen die beiden Profimörder Lemon und Tangerine den Sohn von Unterweltboss „Weißer Tod“ begleiten und in einem anderen findet sich der Vater eines Jungen in der Hand einer psychopathischen Mörderin wieder, die ihn für ihre Zwecke einspannen will. Genügend Sprengstoff, sogar im wörtlichen Sinne, ist hier an Bord des tatsächlich existierenden Bullet Train (auch nach dem Schienennetz „Shinkansen“ genannt) genug geboten.

Auch finden daran die Beteiligten sichtlich Gefallen. Als Ladybug tritt Brad Pitt so losgelöst und augenzwinkernd auf, dass es eine wahre Freude ist, während Aaron Taylor-Johnson und Brian Tyree Henry als ungleiches Brüderpaar Tangerine und Lemon bereits allein auf Grund ihrer flapsigen Dialoge für viel Unterhaltung sorgen. Die Darstellerin Joey King dreht als The Prince die Erwartungen von männlichen Figuren in diesem Metier gelungen auf den Kopf und Sandra Bullocks Kommentare als Kontaktperson im Ohr von Ladybug sprühen vor einer Vertrautheit unter den Figuren, die sich auf das Publikum überträgt. So gelungen ihr Zusammenspiel, so eigenwillig ist die grundlegende Erzählung, die mit vielen Texteinblendungen zur Beschreibung von Figuren, Zeitabschnitten oder Orten eben spürbar wie ein Graphic Novel anmutet. Ebenso die zahlreichen Rückblenden, in denen das Geschehen im Film gewissermaßen angehalten wird, um Stunden oder gar Jahrzehnte früher anzusetzen und den Werdegang, beispielsweise einer Figur, bis zu jenem gerade gesehenen Moment zu erläutern. Das ist amüsant umgesetzt und verschränkt die Charaktere untereinander, aber es pausiert das Geschehen in jenem Hochgeschwindigkeitszug spürbar und nimmt so Geschwindigkeit aus der Erzählung.

Wäre dies ein- oder zweimal der Fall, oder würde sich auf die ersten 20 Minuten beschränken, wäre das verkraftbar. Aber Leitch wählt diese Herangehensweise immer und immer wieder, über die gesamte Laufzeit hinweg, bis ganz zum Schluss, wenn sich die übrig gebliebenen Figuren im Grunde auf die große Konfrontation beim Finale vorbereiten sollten. So reißt er die Erzählung immer wieder auseinander und wirkt mehr um eine amüsante Herangehensweise bemüht, anstatt eine durchgängige Dramaturgie aufzubauen. Wird Ladybug immer wieder am Verlassen des Zuges gehindert, ließe sich beispielsweise die Anzahl der Haltestellen bis zum Ende in die Geschichte einweben, um ein Gefühl des Fortschritts der Story zu erzeugen. Doch dazu äußert sich die Geschichte nicht. Auch werden der Zug selbst, oder die anderen Passagiere, kein spürbarer Teil der Erzählung. Dafür gibt es insgesamt drei Gastauftritte, die vollkommen unerwartet kommen und beim genreaffinen Publikum für Erheiterung sorgen dürften.

Alledem setzt Filmemacher David Leitch eine Inszenierung gegenüber, die mit ausgefallenen Perspektiven, Zeitlupen, Kamerafahrten und leuchtenden Farben sämtliche Register zieht. Auch die Gewalt ist entsprechend umgesetzt, teilweise unmittelbar im Zentrum, mitunter lediglich am Bildrand. Bullet Train richtet sich diesbezüglich eindeutig an Erwachsene, die die Gewalt auch entsprechend einordnen und berücksichtigen können, dass nichts hiervon ernst gemeint ist. Sieht man allein die Art und Weise, wie all das in Szene gesetzt ist, fallen auch die teils offensichtlichen Trickeffekte im letzten Drittel nicht ins Gewicht – zu künstlerisch-künstlich erscheint der gesamte Film zu vor. Das ist kein Kritikpunkt, sondern auch die einzige Art und Weise, wie die Brutalität nicht abstoßend wirken kann. Nimmt man all das zusammen, erinnert die Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug an einen zum Leben erweckten Anime-Film. Wer sich darauf einlässt, kann sich auch entsprechend mitreißen lassen.


Fazit:
Mit einer von Brad Pitt sehenswert angeführten und ebenso toll aufgelegten Besetzung, präsentiert David Leitch eine so witzig überzogene wie handwerklich eindrucksvolle Actionachterbahnfahrt, die in ihren einzelnen Szenen oftmals mitreißt. Aber durch die ständigen Rückblicke leidet die gesamte Dramaturgie, da nie Tempo aufkommt, oder sich das Gefühl einstellt, den Figuren würde die Zeit davonlaufen. Erstaunlich leichtfüßig und mit viel Augenzwinkern erzählt, macht das für ein erwachsenes Publikum dennoch Spaß, sofern dieses sich mit der kompromisslosen Gewaltdarstellung arrangieren kann. Dann ist dies sogar einer der lustigsten Action-Thriller seit langem. Dennoch gerät Bullet Train nur wenig packend und beim Finale so comicartig, dass es das Publikum beinahe verliert. Das heißt nicht, dass man sich nicht unterhalten lassen könnte. Im Gegenteil. Gäbe es außerdem eine weitere Fahrt mit den (übrig gebliebenen) Figuren, ich würde sofort ein Ticket lösen.