Boston Strangler [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 14. Mai 2023
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: Boston Strangler
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Matt Ruskin
Musik: Paul Leonard-Morgan
Besetzung: Keira Knightley, Carrie Coon, Alessandro Nivola, David Dastmalchian, Morgan Spector, Bill Camp, Chris Cooper, Robert John Burke, Rory Cochrane, Peter Gerety, Luke Kirby, Ryan Winkles, Greg Vrotsos, Pamela Jayne Morgan


Kurzinhalt:

Im Jahr 1962 versucht die Reporterin des „Boston Record American“ Loretta McLaughlin (Keira Knightley), ihren Redakteur Jack MacLaine (Chris Cooper) davon zu überzeugen, dass Frauen nicht auf das Haushaltsressort beschränkt sein müssen, sondern auch über große, relevante Stories berichten können. In ihrer Freizeit beginnt sie eine Reihe von Frauenmorden zu recherchieren und stößt auf Verbindungen, die der übrigen Presse bislang entgangen sind. Lorettas Story über einen Serienmörder im Großraum Boston wird veröffentlicht und setzt die schleppende Ermittlungsarbeit der Polizei unter Zugzwang. Zusammen mit der Journalistin Jean Cole (Carrie Coon) stellt Loretta weitere Nachforschungen an und bei ihren Berichten geben sie dem unbekannten Killer den Namen „Der Würger von Boston“. Nicht nur Detective Conley (Alessandro Nivola), der sich nach den Reportagen vor Hinweisen kaum retten kann, die aber allesamt nirgendwo hinführen, steht im Fokus der Erwartungen. Auch Loretta und ihre Familie geraten unter öffentlichen Druck, während der Mörder sich immer neue und jüngere Opfer sucht …


Kritik:
Basierend auf den insgesamt 13 Frauenmorden, die sich Anfang der 1960er-Jahre im Großraum Boston ereigneten, ist Matt Ruskins Boston Strangler keine Neuinterpretation der inhaltlich umstrittenen Verfilmung der Ereignisse von Richard Fleischer in Der Frauenmörder von Boston [1968]. Vielmehr nähert sich der Filmemacher hier der Thematik von Seiten der Reporterin Loretta McLaughlin, die zusammen mit ihrer Kollegin Jean Cole dem Killer den Titel gebenden Namen verlieh. Das Krimidrama ist so akribisch aufgearbeitet wie in vielen Punkten erschreckend. Was es jedoch vermissen lässt, ist die paralysierende Wirkung, die diese Morde auf die möglichen Opfer damals gehabt haben müssen.

Von Juni 1962 bis Januar 1964 werden insgesamt 13 Frauen nach einem ähnlichen Muster ermordet. Das Alter der Opfer reicht von 19 Jahren bis 85. Sie alle scheinen ihren Mörder selbst in die Wohnung gelassen zu haben und auch andere Merkmale verbinden die Taten. Es ist eine Mordserie, deren Zusammenhänge für die Öffentlichkeit lange unentdeckt bleiben, bis die ambitionierte Reporterin Loretta McLaughlin der Zeitung „Record American“, die ihren Redakteur schon lange bittet, ihr eine größere Story zu übertragen, eine Gemeinsamkeit feststellt. In einer Redaktion, in der Frauen über Mordfälle nicht berichten dürfen, Loretta Sexismus und Vorurteile entgegenschlagen, kämpft sie gegen Windmühlen, zumal ihre Recherchen zeigen, dass die Polizei offenbar entweder nicht in der Lage, oder unwillig ist, die Verbrechen aufzuklären. Denn bald schon kristallisiert sich ein Verdächtiger heraus, gegen den die Beweislage jedoch nicht ausreicht.

Wie schwer es für Loretta ist, sich in dem von Männern dominierten Umfeld durchzusetzen, arbeitet Boston Strangler ebenso heraus, wie die mühevolle Recherchearbeit, die sie zusammen mit ihrer Kollegin Jean Cole investiert, um die verschiedenen Puzzlestücke zusammen zu tragen, die letztlich ein umfassenderes Bild ergeben, als es in Folge der schleppenden Ermittlungen bei der Polizei vorliegt. Demgegenüber kommen jedoch weder Loretta, noch Jean als Figuren wirklich zur Geltung. Beide haben Familie, aber während gezeigt wird, dass Loretta durch ihren Mann auch bei der Erziehung der drei Kinder wenigstens unterstützt wird, schweigt sich das Drehbuch zu Jeans Hintergrund weitgehend aus. Das Spannungsfeld, das sich bei Loretta bei ihrer Hingabe an den zeitraubenden Beruf ergibt, durch den sie auch privat ins Visier von zweifelhaften Gestalten gerät, wird zwar angedeutet, Teil ihrer persönlichen Entwicklung wird es jedoch nicht. Das ist auch der Punkt, den Ruskins Drehbuch merklich vermissen lässt. Denn so überzeugend es Keira Knightley in einer tollen Darbietung gelingt, mit einem unnachgiebigen Blick Lorettas Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen, was sie antreibt, sich selbst dann in die Arbeit zu stürzen, wenn es ihre Familie gefährdet, wird kaum deutlich.

Stattdessen folgt Boston Strangler den Recherchen sowie den Morden selbst, die aber nur teilweise vorgestellt werden. Das ist detailreich und authentisch, allerdings porträtiert Matt Ruskin weder sämtliche Opfer, noch verrät er über die allermeisten überhaupt etwas, ganz zu schweigen von den Tatzeiten oder -orten, wobei zwei Morde sogar am selben Tag stattfanden. Der tatsächliche Fokus der Geschichte ist nicht ganz einfach einzuordnen, was unter anderem dazu führt, dass die Erzählung erstaunlich wenig packend gerät. Handwerklich ist das durchweg routiniert umgesetzt, in gedämpftes Licht getaucht und Bilder, aus denen ein Großteil der Farbe gewichen scheint. Von der Finesse von David Finchers ähnlich gelagertem Zodiac - Die Spur des Killers [2007] ist die Produktion hingegen weit entfernt. Doch ähnlich wie jene Nacherzählung einer grausamen Mordserie, kommt erst zum Schluss Spannung auf, wenn sich abzeichnet, dass die bisherigen Vermutungen in Bezug auf den Frauenmörder wohl zu eng gedacht waren. Die Bedeutung dieser Erkenntnis für den Stellenwert der Frauen in der Gesellschaft ist ebenso erschütternd wie die Widrigkeiten und Anfeindungen, denen sich Loretta zu Beginn ihrer Nachforschungen ausgesetzt sieht.

Insoweit besitzt Boston Strangler bedauerlicherweise eine größere Aktualität, als einem im Grunde recht sein kann. Das heißt nicht, dass man sich nicht wünschen würde, die inhaltlich richtigen und wichtigen Erkenntnisse wären mitreißender präsentiert. Das gelingt Filmemacher Matt Ruskin aber leider nicht.


Fazit:
Es gibt zahlreiche Elemente, die man bei einer solchen Art Geschichte erwarten würde. Eine Übersichtskarte, wo die Morde stattgefunden haben, oder eine Pinnwand mit Bildern der weiblichen Opfer. Wenn schon die Polizei eine solche Recherche nicht leistet, dann wenigstens die beiden Reporterinnen, die von der Mordserie insoweit betroffen sind, als dass es sich ausschließlich um weibliche Opfer handelt, oder? Doch Matt Ruskin verzichtet auf solche Aspekte ebenso, wie auf die genaue Benennung der Tatzeiten oder -orte, obwohl seine Erzählung selbst ungemein authentisch scheint. Auch die privaten Hintergründe seiner zwei tragenden Frauenfiguren werden kaum vorgestellt. Es fällt daher schwer, Boston Strangler dahingehend einzuordnen, welche Geschichte das Krimidrama erzählen will, denn die Auswirkungen der öffentlichen Debatte auf die Polizeikräfte bleiben ebenso verborgen. Handwerklich ohne Makel, ist das für die Darstellung der Recherchen insgesamt und des damaligen Frauenbildes im Speziellen sehenswert. Von den durchaus beunruhigenden Erkenntnissen am Ende ganz zu schweigen. Eine packende Erzählung sollte man dabei nur trotz der starken Auftritte von Keira Knightley und Carrie Coon nicht erwarten.