Blackfish [2013]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. Februar 2014
Genre: Dokumentation

Originaltitel: Blackfish
Laufzeit: 83 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Gabriela Cowperthwaite
Musik: Jeff Beal
Personen: Tilikum, John Hargrove, Samantha Berg, Mark Simmons, Kim Ashdown, Dean Gomersall, Shamu, Carol Ray, John Jett, Dawn Brancheau


Hintergrund:
Ausgewachsene, große Schwertwale, auch Orcas oder Killerwale genannt, werden bis zu acht Meter lang und sechseinhalb Tonnen schwer. Die Mindestgröße ihrer Becken beträgt in den USA knapp die doppelte Länge und muss weniger als vier Meter tief sein. Im Meer tauchen die Tiere bis zu 60 Meter tief und legen pro Tag riesige Strecken zurück. Auch können in der freien Natur die Weibchen bis zu 100 Jahre alt werden. In den letzten 50 Jahren wurden weit über 100 Orcas in Delfinarien gebracht – 90 % von ihnen sind innerhalb von vier Jahren gestorben.
Die Schwarzweißen Riesen sind längst zu einer Industrie geworden, getarnt als Vergnügungsparks. Als 2010 eine Tiertrainerin im Becken eines Orcas ums Leben kommt, ist es ein Schock für diese Industrie, der so gut es geht vertuscht wird. Die Dokumentation macht sich auf die Suche nach den Ursachen für den Übergriff und deckt dabei auch auf, dass dies bei weitem nicht der erste war ...


Kritik:
Auch wenn Blackfish immer wieder als Dokuthriller bezeichnet wird, es ist trotz der packenden Erzählweise ein Drama. Sowohl für die Tiere, als auch für die Menschen, die gleichermaßen Opfer derselben Tragödie geworden sind. Gabriela Cowperthwaite schildert ungeschönt und mit einer ganz offen sichtbaren Absicht, die Meinung ihres Publikums zu bilden, wie Schwertwale von den Betreibern von Vergnügungsparks drangsaliert und malträtiert werden – und wie sie nach Jahrzehnten der Qual reagieren.

Ausgangspunkt der Dokumentation ist der Tod der Tiertrainerin Dawn Brancheau am 24. Februar 2010 im SeaWorld Orlando Florida durch den Schwertwal Tilikum. Um zu verstehen, weshalb der Killerwal in den Augen der Presse diesen Namen verdient hat, geht die Erzählung beinahe 30 Jahre zurück und beginnt damit, wie der junge Wal 1983 vor der Küste Islands gefangen genommen wurde. Blackfish verfolgt den Werdegang des Walbullen, der bereits 1991 in einen tödlichen Zwischenfall noch vor seiner Zeit bei SeaWorld verwickelt war. Acht Jahre später wird die Leiche eines jungen Mannes eines Morgens in seinem Becken gefunden, doch auch heute noch wird Tilikum für Vorführungen eingesetzt. Von seinem mehr als ein Dutzend Nachkommen ganz zu schweigen.

Cowperthwaite wirft sowohl einen Blick auf die Industrie der Themenparkkette, die nicht nur durch Merchandising Unsummen an Geld verdient, sondern die Tiere auch in ähnliche Parks verkauft – darunter auch nach Europa, wo es ebenfalls schon einen tödlichen Zwischenfall gegeben hat. Es werden die Jagdmethoden aufgezeigt, durch welche die Jungtiere, die in der Natur die Seite ihrer Mütter nie verlassen, von ihnen getrennt und Wale unterschiedlicher Herkunft, die sich darum auch sprachlich unterschiedlich verständigen, auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Ehemalige Tiertrainer berichten davon, wie die Wale durch Nahrungsentzug trainiert, die Tiere einer Gruppe dadurch sogar gegeneinander aufgehetzt wurden. Auf Videos und Mitschnitten von Live-Shows werden die Verwundungen der Wale gezeigt.

Es sind Bilder, die nur in den Schatten gestellt werden von denjenigen, welche die vielen dokumentierten Zwischenfälle mit den sozial hochentwickelten Tieren zeigen. Sei es ein erfahrener Trainer, der von einem Wal am Fuß gepackt und immer wieder minutenlang unter Wasser gezogen wurde. Oder eine junge Frau, die nur ihr Bein im Wasser baumeln ließ, ehe der Wal zupackte und sie mit sich zog.
Doch anstatt den ungerechtfertigten Mythos des Mörder- oder Killerwals damit zu befeuern, konzentriert sich Blackfish auf die Ursachen. Wie die Tiere bis dahin behandelt wurden, in ihren viel zu kleinen Becken vor sich hinvegetieren, entgegen ihrer seit Jahrtausenden angeborenen Instinkte. Cowperthwaites Botschaft überzeugt bereits, ohne anzusprechen, dass die Tiere in der Regel in gechlortem Wasser gehalten werden und Meeressäuger in Delfinarien nicht selten mit Psychopharmaka ruhig gestellt werden. Von den Antibiotika und weiteren Medikamenten auf Grund der Verletzungen ganz zu schweigen.

Die Dokumentation verzichtet auf einen Erzähler, sondern verknüpft die Geschehnisse durch Augenzeugenberichte, Zeitungsausschnitte und Nachrichtenbeiträge. Die kurze Laufzeit schlägt sich entsprechend im hohen Tempo der Erzählung nieder. Doch gerade bei den Trainern, die von den Orcas verletzt, aber nicht getötet wurden, wäre es interessant gewesen, ihren Standpunkt zu hören. Den vielen SeaWorld-Mitarbeitern, die sich inzwischen offen gegen die Haltung der Tiere in Gefangenschaft aussprechen, steht nur ein einziger Befürworter gegenüber und dieser spricht nicht im Namen Vergnügungsparkkette, die sich zum Film nicht äußern wollte, danach jedoch behauptete, die Darstellungen wären falsch. Hier hätte Blackfish ein umfassenderes Bild zeichnen können, das der Agenda der Filmemacherin ohnehin den Wind nicht aus den Segeln hätte nehmen können.


Fazit:
Wer mit der festen Überzeugung an die Dokumentation herangeht, dass all dies Humbug wäre, die Menschen mit den Tieren tun und lassen könnten, wie sie wollten, sie ohnehin nicht zu Emotionen oder sozialem Verhalten in der Lage wären, den wird Blackfish auch nicht umstimmen können. Wer sich jedoch eine Meinung bilden möchte, findet hier viele Informationen. Bisweilen unangenehmere, als man hören wollte.
Von manchen Zuschauern und Teilen der Presse, insbesondere in den USA, als liberaler ("left wing-") Propagandafilm verschrien, haben diese Kritiker in einem Punkt Recht, es geht Regisseurin Gabriela Cowperthwaite um die Freisetzung, die "Liberalisierung" dieser Geschöpfe. Ihr Film leistet einen wichtigen, aber nicht einfachen Beitrag, die lange und tragische Entwicklung dieser Übergriffe der Tiere auf ihre Trainer zu verstehen. Mit einem positiven Gefühl wird man hier nicht entlassen, wohl aber mit dem Aufruf, sich an dieser Industrie nicht (weiter) zu beteiligen. Und mit einem Verständnis dafür, weshalb die einzig richtige Umgebung, um Tiere erleben zu können, ihre natürliche Umgebung ist.