Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) [2014]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. November 2015
Genre: Komödie / Drama / Unterhaltung

Originaltitel: Birdman: Or (The Unexpected Virtue of Ignorance)
Laufzeit: 119 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2014
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Alejandro González Iñárritu
Musik: Antonio Sanchez
Darsteller: Michael Keaton, Emma Stone, Zach Galifianakis, Naomi Watts, Andrea Riseborough, Edward Norton, Jeremy Shamos, Katherine O'Sullivan, Damian Young, Natalie Gold, Lindsay Duncan


Kurzinhalt:

Wenige Tage vor der Premiere seines ersten Theaterstücks, in das der alternde Filmstar Riggan Thomson (Michael Keaton) nicht nur sein ganzes Geld, sondern auch seine Energie und alle Hoffnung auf eine bleibende Erinnerung gesteckt hat, geht bei der Produktion alles drunter und drüber. Da kommt seine Schauspielkollegin Lesley (Naomi Watts) auf die Idee, den gefeierten Theaterdarsteller Mike Shiner (Edward Norton) ins Team zu holen. Der belebt die Crew auch neu, doch Riggan plagen immer wieder Angstzustände, in denen er die Stimme seines erfolgreichsten Leinwand-Alter-Egos hört: Birdman. Der redet ihm zu, dass er nur mit dieser Rolle wirklich erfolgreich war und es wieder sein kann. Dabei verliert Riggan die Bedenken seines Theaterproduzenten Jake (Zach Galifianakis) und seiner Tochter Sam (Emma Stone) aus den Augen ...


Kritik:
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) ist ein Kunstwerk, das steht außer Frage. Regisseur Alejandro González Iñárritu unterstreicht diesen Punkt in den schnellen zwei Stunden mehrmals. Aber so sehr ihm die Aspekte seines ungewöhnlichen Blicks hinter den Vorhang des Broadway und die Maske Hollywoods gelingen, der einfallsreichen Erzählweise fällt in gewissem Sinn die Story zum Opfer. Hätte er außerdem den Mut besessen, fünf Minuten eher aufzuhören, wäre ihm das Meisterstück noch mehr geglückt.

Dass Birdman am offensichtlichsten von seiner Optik lebt, fällt schnell auf: Augenscheinlich in einer immens langen Einstellung gedreht, in der sich die Kamera ständig bewegt, den Figuren folgt, ins Theater, durch die Räume, hinaus auf die Straße, besitzt der Film eine unerwartete Dynamik. Zum Glück erspart der Regisseur seinem Publikum das wackelige Doku-Flair vieler anderer Produktionen, so dass man die Szenenkompositionen wirklich genießen kann. Die Schnitte sind gut versteckt, angesichts anderer Projekte wie dem deutschen Victoria [2015], der tatsächlich in einer über zwei Stunden langen Einstellung gedreht wurde, wirkt Birdman trotz des dahinterstehenden Aufwands um dieses Merkmal bemüht, ohne es wirklich zu erreichen.

Viel beeindruckender sind jedoch die Darstellerleistungen, die allesamt preiswürdig sind. Dass kein einziger die begehrte Oscartrophäe hierfür nach Hause nehmen durfte, ist mehr als traurig. Michael Keaton spielt einen alternden Schauspielstar, dessen letzter großer Hit mehr als 20 Jahre zurückliegt. Er wurde als Superheld einer Comicverfilmung bekannt, entschied sich dann jedoch, nach dem dritten Teil auszusteigen. An die alten Erfolge konnte er nie wieder anknüpfen und versucht nun, sich mit der Broadway-Adaption eines bekannten Romans ein Denkmal zu setzen.

Bedenkt man, dass Keaton durch Batman [1989] und Batmans Rückkehr [1992] zum Superstar aufstieg und nie an diesen Erfolg anknüpfen konnte, scheint sein Riggan Thomson in Birdman ein Abziehbild seiner eigenen Karriere. Tatsächlich kommentierte der Darsteller, dass die Rolle weiter als jede andere von seiner wirklichen Person entfernt sei. Auch Edward Norton, der hier beweist, weshalb er als einer der besten Schauspieler seiner Generation gehandelt wird, verkörpert in Mike Shiner jemand, der seinem eigenen Ruf sehr nahekommt. Shiner ist ein begnadeter Darsteller, der auf Grund seines arroganten Auftretens bei Regisseuren wie Kollegen äußerst unbeliebt ist. Nortons erster Auftritt gehört zum Besten, was der Darsteller seit Jahren zeigen durfte und für Michael Keaton ist Birdman eine der forderndsten und besten Rollen seiner Karriere.

Der übrige Cast glänzt mit tollen Darbietungen von Emma Stone als Riggans vernachlässigte Tochter, Zach Galifianakis mit einem karrieredefinierenden Auftritt und Naomi Watts sowie Andrea Riseborough in Bestform. Die Dialoge, insbesondere mit Edward Norton, entwickeln ein ungeheures Tempo und sieht man die Beteiligten in ihren Rollen aufgehen, in denen sie über die Abgründe des Ruhms und der Schauspielkarrieren sprechen, dann weiß man nicht mehr, ob das geskriptet oder real ist.

Das bringt einen schließlich zur eigentlichen Geschichte, die weit weniger komplex oder vielschichtig ist, als man vermuten würde. Auf Grund des sich ausbreitenden Chaos angesichts der nahenden Theaterpremiere, ist das ungemein unterhaltsam und zum Teil bitterböse dargebracht, aber so viel gibt es am Ende nicht zu entdecken. Riggan ist darum bemüht, das Image seiner früheren Erfolgsfigur "Birdman" loszuwerden, nur um festzustellen, dass je mehr er sich darum bemüht, sie umso mehr ein Teil von ihm wird. Streitet Riggan mit einer garstigen Theaterkritikerin, die bereits angekündigt hat, sein Stück zu zerreißen, allein schon, weil er kein Künstler sei, der auf der Bühne groß geworden ist, sondern vor der Kamera stand und nun, um sich selbst etwas zu beweisen auf die Bühne wechsle, argumentiert er, dass er alles, was ihn ausmacht, in dieses Stück steckt. Es ist, als würde Iñárritu alle Punkte aufzählen, die man bei der Kritik seines Films als Kunstwerk berücksichtigen solle. Damit mag er zweifelsfrei recht haben, es ist aber auch arg dick aufgetragen. Kunst eben.


Fazit:
Handwerklich ist Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) überaus bemerkenswert, auch wenn das wirkliche Highlight die fabelhaften Darsteller sind, die allesamt bis an ihre Grenzen gehen. Jedem wird eine Szene eingeräumt, in der sie bzw. er glänzen darf und jeder nutzt diese Gelegenheit auf sehr sehenswerte Art und Weise. Die Geschichte wirft den Blick hinter den Vorhang und hinter die Masken der Stars, die große Erfolge feiern und daran nicht mehr anknüpfen können.
Das ist gut getroffen und teils böse kommentiert, aber letztlich nichts, was andere Showbusiness-Satiren nicht ebenfalls entblättert haben. Dass Alejandro González Iñárritu trotz oder gerade auf Grund der Entscheidung, den Film wie ein einziger langer Take erscheinen zu lassen, ein mitreißendes Tempo erzeugt, ist überaus angenehm und es tröstet darüber hinweg, dass der Film etwas zu spät endet und seinem Star nicht die Möglichkeit gibt, zur Legende zu werden.