Alles Fifty Fifty [2024]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. August 2024
Genre: Komödie

Laufzeit: 109 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Alireza Golafshan
Musik: Carlos Cipa
Besetzung: Moritz Bleibtreu, Laura Tonke, Valentin Thatenhorst, David Kross, Jasin Challah, Axel Stein, Aennie Lade, Ramona Kunze-Libnow


Kurzinhalt:

Wenn es nach seinen Eltern Marion (Laura Tonke) und Andi (Moritz Bleibtreu) geht, war ihre Scheidung das Beste, das dem elfjährigen Milan (Valentin Thatenhorst) passieren konnte. Die beiden Juristen haben sich auch für die ihrer Meinung nach beste Aufteilung des Sorgerechts entschieden – „Fifty Fifty“. Dass Milan in der Schule Auffälligkeiten zeigt, kann also nicht an ihnen oder ihrem Sohn liegen. Da weder Andi noch Marion ihren Urlaub verschieben können, entscheiden sie sich, gemeinsam mit Milan den Sommerurlaub in Süditalien zu verbringen. Da Milan es erlaubt, darf sogar Marions neuer Freund Robin (David Kross) sie begleiten. Doch im luxuriösen Feriendomizil angekommen, müssen Marion und Andi erkennen, dass Milan sie manipuliert und als sie zu ihrem eigenen Erstaunen entdecken, dass ihr Sohn nicht schwimmen kann, entscheiden sie sich, dass er bei Rettungsschwimmer Paris (Jasin Challah) einen Schwimmkurs besuchen und sie selbst die Lücke ihrer unterschiedlichen Erziehungsstile schließen müssen. Im Zuge dessen kommt sich das geschiedene Paar wieder näher – und Milan lernt mit Mila (Aennie Lade), die mit ihrem Vater Jens (Axel Stein) und ihrem Bruder Campingurlaub macht, seine erste Liebe kennen …


Kritik:
Kann man einem Film vorwerfen, zu geringe Ambitionen zu haben? Filmemacher Alireza Golafshan widmet sich in Alles Fifty Fifty modernen und hergebrachten Erziehungsmethoden in einer Zeit, in der mehr als ein Drittel der Ehen in Deutschland geschieden wird. Anstatt dies in eine bissige Gesellschaftssatire zu verpacken und sich mutig den Klischees des deutschen Mainstream-Kinos entgegenzustellen, gerät dies nach einem starken Auftakt zur kitschig-vorhersehbaren Slapstick-Comedy. Das ist schade, aber nicht nur trotz allem gehaltvoller als Vieles, was ansonsten aus heimischer Produktion auf der großen Leinwand zu sehen ist. Es besitzt wenigstens den Hauch eines Anspruchs an das Publikum.

Immerhin, nichts was Golafshan präsentiert, rutscht auch nur annähernd auf das Niveau seines zäh unerträglichen JGA: Jasmin. Gina. Anna. [2022] ab. Eingerahmt wird die Geschichte durch die Erzählung des Schwimmlehrers Paris in der südost-italienischen Region Apulien, der dem elfjährigen Milan das Schwimmen beibringen soll. Milan kann nicht nur nicht schwimmen, er will nicht einmal rutschen oder überhaupt ins Wasser. Seine geschiedenen Eltern Marion und Andi, beides Juristen, teilen sich das Sorgerecht für Milan „Fifty Fifty“. Sie wurden in die Schule zitiert, da Milan auffällig und vor allem Mädchen gegenüber aggressiv auftreten soll. Doch egal, was die Lehrerin ihnen erzählt, Marion und Andi wiegeln alles ab. Milan sei ein „glückliches Scheidungskind“, man hätte alles richtig gemacht und sämtliche Ratgeber gelesen, vom hinzugezogenen Kinderpsychologen ganz zu schweigen. Auf Grund eines Terminkonflikts entscheiden sie sich, zu dritt in den Urlaub zu fliegen, wobei Marions neuer Freund, der deutlich jüngere Personaltrainer Robin, sie mit Milans Segen begleiten darf.

Auch im Urlaub verbringt Milan abwechselnd die Tage bei seinem Vater oder seiner Mutter. Doch da sich die beiden nun gezwungenermaßen länger als bei der Übergabe ihres Sohnes unterhalten müssen, kommen sie dahinter, dass der anspruchsvolle wie arrogant auftretende Milan seine Eltern gegeneinander ausspielt. Ihre unterschiedlichen Erziehungstechniken machen es ihm zudem einfach, denn während die übervorsichtige Marion Sicherheit an die erste Stelle setzt, sämtliches Besteck vor Benutzung desinfiziert, ihren Sohn pampert und absichert, lässt Andi ihm (zu) viele Freiheiten. Beide Erziehungsstile gehen einander vorbei, was erst dann auffällt, als sie erkennen, dass ihnen nicht bewusst ist, dass ihr Sohn nicht schwimmen kann. So entschließend sie sich, Milan einen Schwimmkurs aufzuerlegen und was mit dem geschiedenen Elternpaar während des Urlaubs geschieht, wird vermutlich niemanden überraschen.

Das ist einer der großen Kritikpunkte an Alles Fifty Fifty, denn während das erste Drittel mit schnell dargebrachten, bissigen Dialogen aufwartet, ist das Porträt der geschiedenen Eltern, die nicht nur sämtliche Verantwortung für die Erziehung ihres Sohnes deflektieren, sondern darum bemüht sind, Erziehungsratgebern zu folgen, anstatt sich mit den Interessen ihres Kindes auseinander zu setzen, nicht nur teils böse, sondern vor allem gelungen. Beginnt jedoch der Urlaub in Apulien und kristallisiert sich heraus, dass Marions neuer Partner Robin eine schön anzusehende, aber wenig geistreiche Hülle ist, reduziert sich das Drehbuch selbst um den Aspekt der Gesellschaftssatire und zieht sich zunehmend darauf zurück, eine stets platter werdende Komödie zu erzählen. Das wird umso deutlicher, wenn Milan Mila kennenlernt, die mit ihrem Bruder und ihrem alleinerziehenden Vater Jens Campingurlaub in der Nähe der noblen Hotelanlage macht. Keine dieser Figuren wird auch nur oberflächlich vorgestellt und so geistreiche Dialoge wie wenn Andi zu Beginn seine Beziehung mit Marion treffend zusammenfasst, finden sich später ebensowenig.

Stattdessen darf Axel Stein mit körperlichem Slapstick punkten, der ebenso absehbar ist, wie man vorhersehen kann, was geschieht, wenn Andi mit seinem Porsche durch enge Gassen eines Dorfes brettert. Je länger die Erzählung dauert, und ganz abgesehen davon, dass das letzte Drittel einen langen und kaum notwendigen Epilog darstellt, der durch den tatsächlichen Epilog nochmals verlängert wird, umso flacher werden die Aussagen, die Alles Fifty Fifty findet. So häufen sich klischeehafte Gags, bis hin zu einem peinlichen Moment, wenn Robin, der vermutet, dass Marion ihrem Ex-Mann wieder näher gekommen ist, zum einzigen Mittel greift, zu dem Figuren in seiner Position in ähnlichen Filmen schon unzählige Male gegriffen haben.

Milan selbst in dieser Konstellation stärker in den Fokus zu rücken, ist zwar keine schlechte Idee, nur weiß das Drehbuch nichts daraus zu machen. Man könnte aus seiner Perspektive schildern, was ihm in seiner Familie fehlt, selbst wenn es ihm materiell an nichts mangelt. Oder auch aufzeigen, welche Erkenntnis er daraus gewinnt, das Leben von Mila und ihrer Familie im Campingwagen zu sehen, die glücklicher sind, als er, selbst wenn sie wenig weniger besitzen. Doch nichts davon wird aufgegriffen. Stattdessen ist Milan, wenig überraschend, am Ende nicht mehr der nervig-anspruchsvolle Widerling, der er zu Beginn ist. Einen Auslöser für diese Änderung, geschweige denn eine Entwicklung dorthin, gibt es jedoch nicht. Alles Fifty Fifty könnte so Vieles sein, doch die gesteckten Ziele sind so niedrig, es wundert kaum, dass sie alle erreicht werden.


Fazit:
Am Ende ist Alireza Golafshans Film eine Komödie mit typisch deutscher Wohlfühlgarantie. Das kann man negativ sehen, oder auch nicht. Das geneigte Publikum erhält eben das, was es erwartet, seichte Unterhaltung, bei der schließlich alles in Wohlgefallen aufgelöst wird und Konflikte nie verletzend geraten, selbst wenn die Dialoge stellenweise böse sind. Der inhaltliche Biss des ersten Drittels verfliegt bedauerlicherweise sehr schnell, so dass die Erzählung im Mittelteil merklich vor sich hinplätschert mit Slapstick-Comedy, die oberflächlichen Humor bedient, ohne in irgendeiner Form zu überraschen. Einige Dialoge und Momente, wie wenn Milans Eltern mit ihm ins Meer gehen, zeigen das Potential der Geschichte, die auszuschöpfen wohl nicht das Ziel ist. Zu tollen Situationen gesellen sich mittelmäßige, zu denen auch das kitschig-klischeebeladene Ende zählt. Dem das Prädikat „besonders wertvoll“ zu verleihen, ist wohl nur der Grundidee und den guten Absichten geschuldet, die erkennbar sind. Der Hauch an Anspruch, der zumindest zeitweilig zu sehen ist, selbst wenn es keine kritische Auseinandersetzung damit gibt, hebt Alles Fifty Fifty über die Standardkost deutscher Komödien hinaus. Mit einem hehren Ziel wäre hier nur viel mehr möglich gewesen. Allein, es fehlt die Ambition.