Abigail [2024]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 16. April 2024
Genre: GENRE

Genre: Horror / Fantasy / Komödie

Originaltitel: Abigail
Laufzeit: 110 min.
Produktionsland: Irland / USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett
Musik: Brian Tyler
Besetzung: Melissa Barrera, Dan Stevens, Alisha Weir, Kathryn Newton, Kevin Durand, William Catlett, Angus Cloud, Giancarlo Esposito, Matthew Goode


Kurzinhalt:

Es klingt für Joey (Melissa Barrera), Frank (Dan Stevens), Hackerin Sammy (Kathryn Newton), den Ex-Militär Rickles (William Catlett), Peter (Kevin Durand) und Dean (Angus Cloud) wie leicht verdientes Geld. Die ungleiche Truppe wurde von Lambert (Giancarlo Esposito) angeheuert, um die zwölfjährige Abigail (Alisha Weir), Tochter eines schwerreichen Mannes, zu kidnappen. Nachdem sie sie erfolgreich aus der Stadt in ein altes Anwesen auf dem Land gebracht haben, sollen sie Abigail nun 24 Stunden beaufsichtigen, während Lambert ein Lösegeld von 50 Millionen Dollar fordert. Mit ihrem Anteil hofft Joey, sich ein neues Leben mit ihrem Sohn aufbauen zu können, der in etwa im selben Alter wie Abigail ist. Doch das anfangs noch verängstigte Mädchen warnt Joey, dass etwas Schlimmes geschehen wird. Bald schon ist das erste Mitglied der Gruppe tot und während alle einander verdächtigen, stellen sie fest, dass sie in dem großen Haus eingeschlossen wurden, ohne die Möglichkeit, zu entkommen. Als sie sich die entscheidende Frage stellen, wessen Tochter sie überhaupt gekidnappt haben, könnte es bereits zu spät sein …


Kritik:
Die längste Zeit über ist Abigail, der neue Film der Scream-Revival Regisseure Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, eine überraschend amüsante Horrorkomödie. Doch irgendwann verliert der Film sowohl seine Leichtfüßigkeit als auch seine Kurzweiligkeit, was auch daran liegen mag, dass die beiden Filmemacher nicht wissen, wie sie ihre durchaus originelle Geschichte zu einem vernünftigen Abschluss bringen sollen. Dass das Marketing des Films den Kniff der Story vorwegnimmt, ist allerdings die größte Enttäuschung. Je weniger man über den Inhalt weiß, umso größer der Spaß.

Die Geschichte handelt von einer bunt gemischten Gruppe Krimineller, die den Auftrag bekommen, das zwölfjährige Mädchen Abigail zu entführen, so dass ihr Auftraggeber Lambert vom Vater des Mädchens 50 Millionen Dollar erpressen kann. Auch wenn Abigail aus entsprechend reichem Hause stammt und von ihrem Ballettunterricht mit einem Rolls Royce samt Chauffeur abgeholt wird, klingt der Job einfach genug. Er ist auch ebenso schnell erledigt und während Abigail gefesselt und mit Augenbinde versehen in einem alten Haus auf dem Land liegt, bleibt den Gangstern nichts mehr, als einen Tag abzuwarten, bis Lambert ihnen Bescheid gibt, dass das Lösegeld gezahlt wurde. Doch kurze Zeit später ist das erste Mitglied der Gruppe tot und bald schon dämmert es ihnen, dass nicht Abigail in der Falle sitzt, sondern sie selbst.

Obwohl die Inhaltsbeschreibung vage genug bleibt, um nichts zu verraten, beschreibt sie doch bereits die erste Hälfte des Films. Noch bevor das erste Blut fließt, verdichten sich die Hinweise in der Gruppe der Kidnapper, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht und Gerüchte werden ausgetauscht, dass der Vater des Mädchens ein einflussreicher Unterweltboss sei, dem es gelingt, seine Feinde selbst in sicheren Umgebungen auf grausame Weise dahinzuraffen. Worauf die Geschichte hinausläuft, sei hier nicht enthüllt. Interessentinnen und Interessenten sei lediglich gesagt, dass Abigail kein normales Mädchen ist und was sie so außergewöhnlich macht, ist Teil dessen, womit sich Abigail in der zweiten Hälfte der merklich länger als notwendigen Laufzeit von beinahe zwei Stunden beschäftigt. Ein Mitglied der Gruppe nach dem anderen wird heimgesucht und selbst wenn es für das Publikum absehbar ist, dass die unterschiedlichen Gangster und Ganoven nicht zufällig für diesen Auftrag zusammengekommen sind, die Zusammenhänge sind durchaus gelungen, wenn auch wenig einfallsreich, präsentiert.

Das ist zu Beginn noch anders, als die Charaktere selbst vorgestellt werden. Treffen sie zum ersten Mal aufeinander, wissen selbst nichts über die anderen. Zwei Teams nehmen Abigail in ihrem Zuhause als Geisel und nachdem sie in ihrem Versteck angekommen und unter sich sind, versucht sich Hauptfigur Joey daran, ihre Mitstreiter vorzustellen, obwohl sie keine echten Namen verwenden und nichts von sich preisgeben sollen. Ihre kurzen Beschreibungen ordnen den Figuren entsprechende Rollen zu, von Peter, dem Mann fürs Grobe, über Frank, der die Fäden zieht, bis zu einem Scharfschützen und einer Computerexpertin. Dies gelingt Abigail so gut, dass man sich fragen muss, weshalb die Gruppe sich in vielerlei anderer Hinsicht so wenig clever verhält. So kommen sie zwar in jenem schummrig ausgeleuchteten Haus an, das ihnen von Lambert bereitgestellt wird, aber selbst, nachdem er sie verlassen hat, sind sie nicht schlau genug, sich dort auch einmal umzusehen. Sonst würde ihnen gleich auffallen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

Wird den Charakteren schließlich offenbart, weshalb sie alle zusammengerufen wurden, geschieht dies in einer langen Szene, in der ihnen und dem Publikum alles auf einmal erklärt wird. Das hat man so oder ähnlich schon unzählige Male gesehen und nicht selten einfallsreicher. Demgegenüber gelingt es den Filmemachern Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett ausgesprochen gut, die Figuren eingangs überhaupt zu etablieren. Ihre Dynamik untereinander, die Dialoge und wie sie miteinander umgehen, ist so amüsant wie unterhaltsam anzusehen. Als etwas langsamer Muskelberg Peter fallen Kevin Durand die zwei besten Sätze des Films zu, die auch noch so kurz hintereinander kommen, dass man kaum aus dem Lachen herauskommt. Die zweite Hälfte von Abigail steht indes ganz im Zeichen der Titelfigur, die von der jungen Alisha Weir mit einem Enthusiasmus und einer Wandlungsfähigkeit zum Leben erweckt wird, dass ihr schieres Temperament und ihre stellenweise Verletzlichkeit einen völlig umwerfen. Sie ist das Highlight des Horrorfilms.

Dabei sollte man nur wissen, dass auch wenn sich die Verantwortlichen lange Zeit lassen, ehe sich der Horror überhaupt zeigt, sie sich letztlich nicht damit zurückhalten. Wie auch bei ihrem Ready or Not – Auf die Plätze, fertig, tot [2019] tränken die beiden Regisseure die Szenerie förmlich in Blutfontänen und wäre es nicht um die augenzwinkernde Erzählung mit viel Humor, wäre die Brutalität kaum zu ertragen. Doch das ändert nichts daran, dass die Story im letzten Drittel viele Klischees bedient und über die Ausgangslage hinaus kaum frische Ideen liefert. Dass sich das Finale mit seinen Wendungen außerdem merklich in die Länge zieht, unterstreicht nur, dass Abigail nicht so recht zu wissen scheint, wie es zu welchem Abschluss überhaupt kommen soll. Ein erwachsenes Publikum, das sich bewusst auf diese Art Film einlässt, kann sich dennoch gut unterhalten lassen.


Fazit:
Mit Statuen im Hintergrund oder Bildern an der Wand erzählt die durchweg tolle Ausstattung der unheimlichen und atmosphärischen Kulisse jenes Hauses eine Geschichte, die kaum ins Zentrum gerückt wird, aber für das Fantasyelement doch wichtig ist. Sogar, wie die unterschiedlichen Gangster mit der absonderlichen Situation umgehen, macht durchaus Sinn, soweit das möglich ist. Aber obwohl die Besetzung sichtlich motiviert ist und den vielleicht größten Reiz des Films ausmacht, es gelingt ihr nicht, die Erzählung packend genug zu gestalten, dass sie auch mitreißen würde. Nicht erst, wenn die Jagd auf die Entführer beginnt, weiß man, worauf dies hinauslaufen wird. Die Filmvorschau und sogar einige Filmposter nehmen die große Überraschung bereits unnötigerweise vorweg. Das nimmt der Erzählung ihren eigentlichen Reiz und ist schlicht schade. Handwerklich tadellos und humorvoll dargebracht, halten sich die Verantwortlichen mit der Brutalität nicht zurück und bedienen damit ein bestimmtes Publikum. Dass sich die Story nicht zu ernst nimmt, ist aber nur ein weiterer Pluspunkt von Abigail, dem die Leichtigkeit in der zweiten Hälfte dennoch abhandenkommt. Ein wenig trübt den Spaß, dass sich das Drehbuch im zu langen letzten Drittel schwer daran tut, einen Abschluss zu finden. Genrefans mit einem hohen „Blutdurst“ können sich nichtsdestotrotz gut unterhalten lassen und werden nicht nur die Ansätze zu schätzen wissen, sondern auch die Mythologie, die etabliert wird.