A Most Wanted Man [2014]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 05. Oktober 2015
Genre: ThrillerOriginaltitel: A Most Wanted Man
Laufzeit: 122 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA / Deutschland
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Anton Corbijn
Musik: Herbert Grönemeyer
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Grigoriy Dobrygin, Rachel McAdams, Willem Dafoe, Robin Wright, Nina Hoss, Daniel Brühl, Rainer Bock, Homayoun Ershadi, Mehdi Dehbi, Vicky Krieps
Kurzinhalt:
Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) ist Leiter einer Einheit, die Informanten findet, um mögliche Anschläge terroristischer Gruppierungen verhindern zu können. Als Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin) auf Bildern von Überwachungskameras entdeckt wird, ist sein Team alarmiert. Doch Karpov taucht unter und findet Unterstützung bei der Anwältin Annabel (Rachel McAdams), die sich dafür einsetzen möchte, dass er Asyl bekommt. Sie ahnt nichts von Karpovs dunkler Vergangenheit oder der seines Vaters. Stattdessen wendet sie sich an den Bankier Tommy Brue (Willem Dafoe), dessen Bank ein Vermögen von Karpovs Vater verwaltet. Unterdessen beginnt Bachmann, alle Beteiligten für sein großes Ziel einzuspannen, den Geschäftsmann Abdullah (Homayoun Ershadi) zu überführen, von dem er vermutet, dass er mit seinen Stiftungen Terrorgruppen unterstützt ...
Kritik:
A Most Wanted Man ist ein Spionagethriller, in dem kein einziger Schuss abgefeuert wird und keine Explosion zu sehen ist. Die actionreichsten Momente des Films sind eine kurze Verfolgungsjagd zu Fuß und wenn der von Philip Seymour Hoffman brillant gespielte Günther Bachmann in einem Taxi eingekesselt wird. Das hört sich im ersten Moment nicht sehr spannend an und ist es auch nicht. Dafür ist es der wohl realistischste Einblick in die Arbeit von Geheimdiensten, den man als Außenstehender je bekommen wird.
Was an Anton Corbijns bewusst ruhig erzähltem Film gleich zu Beginn auffällt ist die bestechende Optik. Das auch dank der fantastischen Bildqualität der Blu-ray-Veröffentlichung, die trotz oder gerade auf Grund der Aufnahme mit digitalen Kameras eine beeindruckende Schärfe aufweist. Die Farben springen sowohl in den kühlen Herbsttönen, den gelben Blättern, aber auch beim Neonambiente der Disco oder in einem Imbiss über. Hinzu kommt eine so überlegte und aufschlussreiche Bildkomposition, dass man an sich pausieren muss, um alle Details aufzunehmen.
Am deutlichsten wird dies bei der ersten Szene im Film, in der Philip Seymour Hoffmans Figur zu sehen ist. Er sitzt am Schreibtisch, die Kamera über seine Schulter auf die Unterlage vor ihm gerichtet. Wir sehen zahlreiche Fotos, Notizen, Kontoauszüge, auf denen Zeilen mit einem Textmarker markiert sind. In der linken oberen Ecke einen Aschenbecher, randvoll mit Zigarettenstumpen, während in der rechten Hand bereits die nächste brennt. Am oberen Rand ist ein Glas mit Alkohol zu sehen und als Hoffmans Günther Bachmann das Mobiltelefon in die Hand nimmt, sieht man kurz vor seinem Anruf die Uhrzeit: Es ist kurz vor halb drei Uhr morgens.
Dieser kurze Moment verrät mehr über die Figur, als andere Filmemacher in zwei Stunden über ihre Hauptcharaktere erzählen. Man versteht in einem Moment, was für ein Mensch dieser Bachmann ist. Dass man in der folgenden Einstellung sieht, dass er allein in dem Büro sitzt, überrascht nicht. Spionage ist ein einsamer Beruf, auch wenn man die Augen und Ohren immer auf andere Mitmenschen richtet. Bachmanns Ziel ist der scheinbare Wohltäter Abdullah, der Spenden für zahlreiche Hilfsorganisationen sammelt. Dabei verschwinden immer wieder Gelder, die vermutlich Terrorgruppen zufließen. Bachmann selbst ist Leiter einer Antiterroreinheit, die offiziell nicht bekannt ist. Um Ergebnisse zu erzielen, muss er sich auch abseits des Gesetzes bewegen können. A Most Wanted Man rückt mit Hamburg eine deutsche Stadt in den Mittelpunkt, die im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September 2001 unerwartet in die Schlagzeilen geraten war.
Als der muslimische Tschetschene Issa Karpov in der Stadt auftaucht, werden andere Geheimdienste auf ihn aufmerksam. Bachmann sieht die Möglichkeit, Abdullah endlich das nachzuweisen, was er schon lange vermutet. Was folgt wird von einem namhaften und grandios aufgestellten Cast verkörpert, angeführt von Hollywoodgrößen wie Rachel McAdams, Willem Dafoe und Robin Wright, denen die deutschen Ausnahmetalente Nina Hoss und Daniel Brühl in nichts nachstehen. Bis in die Nebenrollen ist A Most Wanted Man fantastisch besetzt, inklusive eines Gastauftritts von Herbert Grönemeyer, der dem Film einen passenden Score verleiht. Ebenso beeindruckend ist Grigoriy Dobrygin, dessen Karpov bis zum Schluss undurchschaubar bleibt.
Wer hier allerdings einen Thriller im Stile von James Bond oder der Bourne-Reihe erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Vielen Zuschauern wird Corbijns Herangehensweise zu langatmig erscheinen oder zu träge. Dabei zeigt er lediglich, was wirkliche Ermittlungsarbeit ausmacht: Recherchieren, manipulieren und Beharrlichkeit. All das in der Hoffnung, dass kurzsichtige Politik von Entscheidungsträgern nicht alle langfristigen Erfolge zunichtemacht. Die Aussage am Ende ist ernüchternd bis deprimierend und dabei doch vermutlich näher an der Wahrheit, als die allermeisten anderen Filme.
Fazit:
Nachdem die Ausgangslage simpel vorgestellt wurde, werden die Zusammenhänge mit jeder weiteren Figur komplexer, die hinzukommt, so dass man droht, den Überblick zu verlieren. Philip Seymour Hoffman mimt den ruhigen Bachmann als desillusionierten Strategen, der darum bemüht ist, auf lange Sicht etwas zu erreichen. Es ist ein Porträt, das mimisch die größten Stärken des Ausnahmedarstellers herausstellt, auch dank der mehrdeutigen, geschliffenen Dialoge.
Als ruhiger Thriller ist A Most Wanted Man für ein anspruchsvolles Publikum sehr sehenswert, hat aber mit dem üblichen Agentengenre nichts gemein. Die politischen Verstrickungen übernehmen im Lauf der zwei Stunden die persönlichen Schicksale und sieht man sich das Ende an, dann wird deutlich, dass es in diesem Beruf keine Siege gibt. Optisch überragend, sollten sich Zuseher im Klaren sein, was sie erwartet. Spannung und Action spielen sich hier angesichts der zahllosen Möglichkeiten, wie sich alles entwickeln kann, nur in den Köpfen ab.