100 Dinge [2018]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 16. November 2018
Genre: Komödie / DramaLaufzeit: 106 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Florian David Fitz
Musik: Josef Bach, Arne Schumann
Darsteller: Florian David Fitz, Matthias Schweighöfer, Miriam Stein, Hannelore Elsner, Wolfgang Stumph, Katharina Thalbach, Johannes Allmayer, Sarah Victoria Frick, Max Bretschneider, Maria Furtwängler, Artjom Gilz
Kurzinhalt:
An sich sind Paul (Florian David Fitz) und Toni (Matthias Schweighöfer) endlich am Ziel angekommen: Pauls App, die Toni vermarktet, hat das Interesse eines großen Konzerns geweckt, in wenigen Wochen will sich dessen einflussreicher Boss das Ganze vor Ort ansehen. Doch ist der eher an den Einsatzmöglichkeiten interessiert, die Toni aufgezeigt hat und mit denen sich das Konsumverhalten der Nutzer bis ins Detail manipulieren lässt. Paul hingegen wollte den Menschen mit seiner Erfindung helfen. Zwischen beiden entbrennt ein Streit, der in einer Wette mündet: Beide verzichten für 100 Tage auf alles. Jeden Tag kommt eine Sache zurück. Wer verliert, übergibt Anteile der Firma an die Beschäftigten. Kommen beide eingangs mit der Situation überhaupt nicht klar, lernen sie, sich damit zu arrangieren. Paul besinnt sich darauf, mit wenig auszukommen und sich selbst zu versorgen, während Toni in Lucy (Miriam Stein) jemanden trifft, die nicht auf Grund dessen, was er besitzt an ihm interessiert ist. Doch Lucy hat ein Geheimnis, das Paul zufällig erfährt und an dem seine Freundschaft mit Toni zu zerbrechen droht …
Kritik:
An sich gibt es nur zwei wirkliche Kritikpunkte an 100 Dinge, dem neuen Film von Florian David Fitz. Diese liegen weder in den Darstellern, noch in der handwerklichen Umsetzung der aktuellen Geschichte, die gerade in der Vorweihnachtszeit einen Nerv trifft. Darin greift der Autorenregisseur viele Punkte auf, die uns als Gesellschaft auf der Seele liegen und bemüht sich merklich, dem Publikum Antworten mit auf den Weg zu geben. Aber nicht nur, dass diese allesamt bekannt klingen, sie werden so oft und so eindringlich wiederholt, dass es sich mehr wie eine Predigt als eine Belehrung anhört.
Im Zentrum der Story stehen die beiden Jungunternehmer Paul und Toni, die seit Kindertagen beste Freunde sind. Paul hat mit seinem Start-up eine App („Nana“) entwickelt, die sich dem Benutzer bzw. der Benutzerin individuell anpasst. So sollen dessen/deren Wünsche vorhergesagt werden können. Paul erhofft sich mit diesem digitalen Assistenten, den Menschen zu helfen, ihnen die Einsamkeit zu nehmen und sie glücklicher zu machen. Toni ist für das Marketing verantwortlich und präsentiert, als die beiden die App einem der einflussreichsten Technologiekonzerne vorstellen, eine andere Anwendung: Paul wurde als Nutzer bis ins kleinste Detail aufgeschlüsselt und hat auf die speziell für ihn von „Nana“ zugeschnittene Werbung überwältigend reagiert – und alles gekauft, was ihm angeboten wurde.
Als Paul erkennt, wie leicht er zu manipulieren ist, geht er mit Toni eine Wette ein: Sie sollen 100 Tage auf alles verzichten. Jeden Tag dürfen sie sich eine Sache aussuchen, die zurückkommt. Wer aufgibt, verliert Anteile aus dem Kaufangebot der Firma an die Belegschaft.
Die Grundidee von 100 Dinge klingt überaus interessant und könnte das Publikum durchaus dazu zwingen, sich die Frage zu stellen, was für einen selbst überlebenswichtig ist – und was sich im Alltag zwar als nützlich, aber nicht notwendig erweist. In Ansätzen finden diese Überlegungen auch statt, wenn Toni und Paul sich splitterfasernackt entscheiden müssen, welches Kleidungsstück sie als unverzichtbar erachten. Aber auch wenn sich der organisierte Toni eine Liste erstellt, was er unbedingt zurückhaben muss, das Publikum bekommt sie nie zu sehen. Es ist beinahe, als würde der Film selbst das Interesse an diesem Aspekt der Story verlieren. Statt auf diese Weise das Konsumverhalten der modernen Gesellschaft zu entblättern, vielleicht am Ende einen Lagerraum voll mit Dingen zu zeigen, die Toni und Paul gar nicht benötigen, werden gleich mehrere Figuren vorgestellt, durch welche die verschiedenen Seiten des Konsums beleuchtet werden.
Auf der einen Seite lernt Paul durch seine Großmutter, die ihm Bilder aus einer Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt, dass man keine materiellen Dinge benötigt, um glücklich zu sein. Zum anderen lernt Toni in der geheimnisvollen Lucy, die er am Abend in dem Lagerhaus trifft, in dem seine und Pauls Sachen untergebracht sind, und die dort eine wahre Schatzkammer an Kleidung besitzt, die Schattenseite der Konsumgesellschaft kennen. Sie verliebt sich in Toni, auch wenn dieser so gut wie nichts besitzt in jenem Moment und interessiert sich für ihn und seine Persönlichkeit. Weshalb ihm das jedoch so viel bedeutet, was für eine Art Mensch er laut Paul vor der Wette gewesen ist, wird nicht deutlich, weil man diese Person im Film nicht kennenlernt.
Die drei Figuren sind es, die bei 100 Dinge am Ende auch am meisten im Gedächtnis bleiben. Nicht nur, dass sie alle sich merklich weiterentwickeln, sondern ihr Weg führt sie jeweils an einen sehr unterschiedlichen Tiefpunkt, an dem die drei Hauptakteure Florian David Fitz, Matthias Schweighöfer und Miriam Stein sichtlich glänzen können. Dass Schweighöfer dabei gegen sein Image als oberflächlicher Schönling anspielt, dem alles gelingt und dem es an nichts fehlt, ist nicht nur eine gute Idee, sondern sorgt auch für einige unerwartet amüsante, selbstironische Momente. Dass die Chemie zwischen Toni und Paul auf der Leinwand funktioniert, ist ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt.
Tritt der einflussreiche Boss eines nicht näher benannten Großkonzerns mit dem Namen David Zuckerman auf, ist sonnenklar, worauf der Filmemacher anspielt. Und das nicht nur auf Grund der körperlichen Ähnlichkeit zu Mark Zuckerberg. Aber so richtig die Aussagen dazu und hinsichtlich des Konsumverhaltens sind, in vielerlei Hinsicht macht es sich 100 Dinge merklich zu einfach. Paul als Selbstversorger zu porträtieren, der sich auf das Wesentliche konzentriert und neu entdeckt, was man zum Leben tatsächlich benötigt, in allen Ehren. Doch er kommt nie an den Punkt, an dem er etwas außer der Reihe auch benötigen würde. Wie wäre es, wenn er überraschend krank wird und Medizin braucht? Oder um Hilfe für seine Großmutter zu holen, sein Mobiltelefon benutzen wollte, das jedoch nicht verfügbar ist? Florian David Fitz will zeigen, dass man das Leben auch ohne die Vorzüge und Fortschritte moderner Errungenschaften bestreiten kann, und entlarven, wo und wie sie die Menschen davon abhalten, das Entscheidende zu erkennen und glücklich zu werden. Nur ist eine Lösung so oberflächlich wie die vermeintlich oberflächliche Gesellschaft, die er kritisiert.
Seine Aussage hat auch deshalb einen Beigeschmack, weil sie ungeachtet der Tatsache, dass sie durchaus richtig sein mag, sehr plakativ vorgetragen wird und neben materiellen Gütern auch Lebensmittel und sonstige Lebensweisen abdecken möchte. Erzählen die Figuren auf der Leinwand dann von Konsumverzicht, während sie perfekt gekleidet und gestylt das Aussehen und die Ausstrahlung der Hipster-Generation verkörpern, erweckt das den Eindruck, als würden sich die Macher selbst nicht ernst nehmen. Wie sollte es das Publikum dann können.
Fazit:
In den ersten Minuten finden sich Paul und Toni in der Gesellschaft vieler Start-up-Unternehmer wieder, woraufhin Paul meint: „Die sehen alle aus wie wir – ich dachte, wir sind was Besonderes?“. Es ist nur eine von vielen Aussagen, mit denen Drehbuchautor und Regisseur Florian David Fitz ins Schwarze trifft. Er kleidet seinen dritten Film in chice Bilder, alle Momente sind tadellos umgesetzt. Es ist beinahe, als würde man ein Lifestyle-Magazin einer jungen, modernen Großstadt anschauen. Nimmt man dazu die Aussagen zum Konsum und dessen Oberflächlichkeit, die gleich mehrmals von den Hauptfiguren in einem Monolog in die Kamera gesprochen werden, dann ist es, als wollten die Macher ihre Botschaft dem Publikum auf einem Silbertablett ins Gesicht schreien. Gerade dadurch wird allerdings der Mangel an Authentizität deutlich. Sieht man darüber hinweg und ist bereit, sich unterhalten zu lassen, ist 100 Dinge vielleicht gerade in der Vorweihnachtszeit, in welcher der Konsum erfahrungsgemäß auf die Spitze getrieben wird, eine gute Erinnerung, dass all diese Sachen, die es zu kaufen gibt, allein nicht glücklich machen. Und auch wenn Florian David Fitz‘ Komödie ein ausgesprochen weihnachtliches Flair fehlt, ein wenig besinnlich stimmt sie allemal.