Michael Crichton: "Welt in Angst" [2004]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. September 2007
Autor: Michael Crichton

Genre: Sience Fiction / Thriller

Originaltitel: State of Fear
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Gebundene Ausgabe
Länge: 603 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2004
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2005
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-00-718159-0


Kurzinhalt:
Einen Teil seines Vermögens stiftet der wohlhabende George Morton regelmäßig Umweltschutzorganisationen. Darunter auch NERF, geleitet von einem engen Freund Mortons, Nicholas Drake. Dieser wird dem großzügigen Spender in Kürze auch einen Ehrenpreis überreichen. Doch wie der für die finanziellen Belange verantwortliche Anwalt Mortons, Peter Evans, feststellen muss, wird sein Klient zunehmend verstörter und Paranoider. Kurz, nachdem er NERF einen zweistelligen Millionenbetrag entzieht, stirbt Morton bei einem Autounfall.
Doch gerade dann wird für Evans und Mortons Assistentin Sarah Jones die Welt auf den Kopf gestellt; der Regierungsbeamte John Kenner, mit dem Morton vor seinem Tod auch Kontakt hatte, scheint mehr über Mortons Vermächtnis zu wissen, als alle anderen. Und wie es scheint, plant NERF über die radikale Ökoterror-Gruppe ELF eine Reihe von getarnten Anschlägen, die die Menschen wachrütteln sollen. Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, Menschenleben zu opfern – es liegt an Evans, Jones und Kenner, die Terroristen zu stoppen. Dabei führt sie ihr Weg rund um den Globus, immer im Wettlauf gegen die Zeit ...


Kritik:
Kaum ein Autor hat das Bild der modernen Unterhaltungsliteratur in solchem Maße geprägt, wie der dieses Jahr 65 Jahre alt werdende Michael Crichton. Er wird als Erfinder des so genannten Techno-Thriller gehandelt und stellt seinen Lesern seit jeher aktuelle, Science Fiction-lastige Themen vor, die mitunter nur einen Schritt von der Realität entfernt sind. Meist drehen sich seine Bücher um scheinbar perfekte und sichere Systeme, die dennoch aus den Fugen geraten. So zum Beispiel in seinem auch erfolgreich verfilmten Roman Jurassic Park [1990] (ebenfalls bekannt als Dino Park).
Doch ist es bislang auch keinem Autor gelungen, sich mit einem neu erschienenen Roman bei seiner Leserschaft derart unbeliebt zu machen, wie dies Crichton mit Welt in Angst gelungen ist. Während der Roman in den USA erfolgreicher war, als in Europa, waren die Leser jenseits des Teiches ebenso kritisch im Umgang mit dem Roman. Dabei stören sich die wenigsten an den sprachlichen Kritikpunkten, als vielmehr am Inhalt selbst, der als populistisch für die Ölindustrie und ungerecht gegenüber den Umweltschutzbehörden dargestellt wird.

Dabei beraubt sich der Autor selbst jeder Glaubwürdigkeit, wenn er im Nachwort meint, dass jeder eine Agenda verfolge, nur er selbst nicht. Zugegebenermaßen scheint das erste Drittel des Romans die Thematik selbst von mehreren Seiten zu beleuchten und auch die Erfolge der Umweltschutzbewegungen vorzutragen. Doch während – vorgetragen durch John Kenner – alle möglichen Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Umweltschutzes in den Vordergrund gestellt werden, ständig gefragt wird, wie effektiv die ökologische Ausrichtung der Industrie denn ist, lässt Crichton Antworten auf die ständig in Frage gestellten Aspekte vermissen. Statt der Figur tatsächlich Profil zu verleihen und ihre Lebensweise vorzuzeigen, wird sie als reines "In-Frage-Stellen"-Instrument missbraucht, ohne aber Antworten liefern zu können.
Die eigentliche Story ist zwar was die militant agierenden, um ihren Wohlstand und ihr Ansehen bemühten Umweltaktivisten durchaus interessant, zumal es leider eine bedauerliche Tatsache ist, dass diejenigen, die noch vor 20 bis 30 Jahren mit Schildern auf den Straßen standen, heute im Designer-Anzug im Kabinett oder aber in großen Konzernen in der Chefetage sitzen. Auch die technischen Aspekte, so fantastisch sie mitunter sein mögen, können noch überzeugen, wobei der verstärkte Gewittersturm und das Abenteuer in der Antarktis zu den Highlights des Romans gehören. Doch die Einbeziehung von Figuren wie Peter Evans und Sarah Jones in eine militärische Operation mag zwar aus Sicht des Autors heraus Sinn machen, der so einen Bezug zum Leser aufbauen möchte, scheint aber angesichts der Thematik vollkommen absurd.
Ist der Ausflug in die Antarktis schon abenteuerlich genug, kann man selbst als verständnisvoller Leser nur den Kopf schütteln, wenn sich die Heldentruppe allein einer Übermacht von Dutzenden bewaffneter Rebellen auf einer kleinen Dschungelinsel stellt – begleitet von einem absehbar entbehrlichen Fernsehstar. Die Entwicklung der Story scheint unverhältnismäßig in diejenigen Bahnen gezwungen, die Crichton vorgesehen hat, wobei die Erzählung selbst nicht wirklich schlecht ist, sie scheint nur vom Ablauf her hanebüchen.

Auch wenn Charakterbildung oder –entwicklung bisher kein erklärtes Ziel des Autors war, hat er sich in vergangenen Romanen doch mehr Zeit dafür genommen. Abgesehen von Peter Evans selbst, der zwar als Person keine wirklich Wandlung erlebt (abgesehen von seiner Einstellung gegenüber dem Umweltschutz), ist kaum eine Figur mit einer wirklichen Tiefe versehen.
Von George Morton bekommt man immer wieder bruchstückhaft einen Charakterzug zu sehen, bei dem man allerdings nie weiß, ob er nun gespielt oder wirklich ist. Abgesehen von einigen oberflächlichen Aspekten erfährt man auch über Sarah Jones nicht wirklich etwas.
Vom tatsächlichen Hintergrund Jennifer Haynes oder Sanjong Thapas wird gar überhaupt nichts erzählt und auch Nicholas Drake lässt an Facetten zu wünschen übrig, zumal seine tatsächliche Verstrickung, beziehungsweise sein Stellenwert in der Organisation NERF nicht wirklich geklärt ist.
Ebenso bei John Kenner, der als allwissender, immer weiser und nie furchtsamer Übermensch dargestellt wird, ohne aber wirklich an Profil zu gewinnen.
Von den Charakteren hätte man sich zweifelsohne mehr erwartet. Von manch anderen überhaupt etwas, wobei dies nicht an einer mangelnden Ausarbeitung liegt. Kaum jemand wird vorgestellt, über dessen Vergangenheit nichts erzählt wird. Aber statt all das in einem Absatz unterzubringen, hätte man eine Figur über den Roman verteilt vorstellen und auch entwickeln können.

An spannenden Formulierungen und Sequenzen hat es Crichton noch nie gemangelt, so auch nicht in Welt in Angst. Dabei steigern sich die Szenen in Ausarbeitung und Ausmaß merklich, wenngleich das Finale selbst zu den schwächsten Aspekten des Romans gehört – und dies aus mehreren Gründen.
Einerseits weil die Einbeziehung des Schauspielers Ted Bradley unnötig und der Ablauf jener Szene völlig absehbar war, andererseits, weil man das Gefühl nicht los wird, als hätte es Crichton in gewisser Hinsicht genossen, an einem solch naiven Umweltschützer ein Exempel zu statuieren, anstatt ihn lernen zu lassen und ihn mit neuen Ansichten auf neue Wege zu schicken. Zudem beinhaltet das gesamte Finale auf der Insel keinerlei Überraschungen. Von vorneherein ist klar, wer überlebt und wer nicht, was den Helden gelingt, und wo sie Rückschläge einstecken müssen.
Schnell erzählt ist es dennoch, auch wenn Michael Crichtons letzter Roman Beute [2002] ein höheres Erzähltempo bereit hielt und die Leser rascher über die Seiten hetzte.

Sprachlich wie gewohnt schnell zu lesen und leicht verständlich, geriet State of Fear, so der Originaltitel, mit Crichtons nächsten Roman Next [2006] erneut in die Presse. So zeigte sich der Redakteur des politischen Magazins "The New Republic" Michael Crowley von dem Roman wenig begeistert und kritisierte viele Aspekte des Buches. Als Antwort darauf wurde in Next eine Figur von Crichton eingebaut, die zwar nur am Rande auftritt, aber mit demselben Namen einen Kinderschänder darstellt.
Dies, ebenso wie die Vorträge des Autors "Umweltschutz als Religion" oder "Aliens verursachen Globale Erwärmung", in denen er das Thema mit dem Irrglauben an UFOs, Außerirdische oder die Gefahr von Passivrauchen vergleicht (Themen, die Crichton als Unfug bezeichnet), werfen ein sehr schlechtes Licht auf denjenigen Autor, der das Genre wie kaum jemand anders geprägt hat. Für Next erhielt er außerdem noch mehr Kritikerschelte, weniger wegen des Inhalts, als wegen der Erzählweise.
Diesbezüglich kann man Crichton hier keinen Vorwurf machen, auch wenn man das Gefühl nicht loswird, als würde der Autor mit jedem neuen Roman mit noch mehr Vehemenz auf Konfrontationskurs gehen. Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden, wenn seine Argumente nicht nur belegbar wären, sondern das Thema auch zu gleichen Teilen von allen Seiten beleuchten würden. Und das ist ganz ohne Zweifel nicht der Fall.


Fazit:
Welt in Angst soll laut Crichton zum Nachdenken anregen und präsentiert vermeintlich alle Aspekte des Themas. Zugegeben, dass man das Phänomen der Globalen Erwärmung schon deshalb nicht einordnen und weltumspannende Vorhersagen der atmosphärischen Entwicklung treffen kann, weil die Menschheit dafür viel zu kurz auf dem Planeten ist, steht außer Frage. Dennoch enthält der Autor dem Leser manche Informationen vor (wie dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre heute über doppelt so hoch ist, wie je in den letzten 600.000 Jahren – und steigt), zeigt nur diejenigen Tabellen, die seine Schlussfolgerungen untermauern und lässt einen Aspekt vollkommen außer Acht. Auch wenn die Zusammenhänge um die Globale Erwärmung nicht eindeutig erschlossen sind, schmälert das nicht die Notwendigkeit der Menschen, alles Mögliche dafür zu tun, die Situation nicht zu verschlimmern. Angesichts von jüngst veröffentlichten Satellitenbildern, die eine so kleine Eis bedeckte Nordpol-Kappe zeigen, wie nie zuvor, angesichts von Tsunami-Katastrophen wie 2004 in Indonesien oder Hurrikans wie Katrina in New Orleans scheint die Aussage Michael Crichtons, das Problem erst weiter zu untersuchen, bevor man handelt, schlichtweg absurd.
Wie viel Literatur zum Thema, versucht auch State of Fear das Phänomen der Globalen Erwärmung erst einmal auf die lange Bank schieben zu wollen; so kurzsichtig diese Einstellung ist, so zweifelsohne richtig sind die Ansätze des Romans, die Wissenschaft hinter der Klimaforschung und die Institutionen hinter den Umweltschutzbehörden reformieren zu wollen. Doch bis man dorthin als Leser gelangt, hat man schon 550 Seiten gelesen, die sich damit beschäftigen, die nach wie vor aktuelle Diskussion um den Klimaschutz als wertlos und naiv hinzustellen. Das Ganze ist zwar in gut aufgebaute Actionszenen verpackt, die mitunter einige der spannendsten Momente von Crichtons jüngsten Romanen überhaupt enthalten, doch kann man sie in Anbetracht des unübersehbar parteiischen Inhalts und der absehbaren Wendungen nicht so recht genießen.