Thomas Thiemeyer: "Medusa" [2004]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 09. November 2004
Autor: Thomas Thiemeyer

Genre: Unterhaltung / Science Fiction

Originalsprache: Deutsch
Gelesen in: Deutsch
Ausgabe: Gebunden
Länge: 363 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Deutschland
Erstveröffentlichungsjahr: 2004
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 3-426-66152-7


Kurzinhalt:
Als die Archäologin Hannah Peters beim Untersuchen von Felsmalereien im algerischen Sandsteinplateau Tassili'n Ajjer auf eine Medusa-Skulptur stößt, ahnt sie, dass mehr dahinter steckt. Zusammen mit ihrem Assistenten Abdu Kader forscht wie weiter und entdeckt Hinweise auf eine uralte Kultur und einen sagenumwobenen Gegenstand, der zu ihrem Untergang führte.
Peters schaltet nach ihrer Entdeckung die National Geographic Society ein, die der Forscherin in kurzer Zeit ein Team bereitstellt. Unter der Führung von Dr. Irene Clairmont stoßen Chris Carter, Malcolm Neadry, Albert Beck, Gregori Pattakos und Patrick Flannery zu Hannah und Abdu. Gemeinsam könnten sie das Rätsel um die Medusa-Skulptur aufklären, und auch das Militär Nigerias – angeführt von Oberst Durand – scheint ihnen freundlich gesinnt.
Aber je weiter ihre Reise sie nach Süden führt, desto mehr beschleicht die Gruppe das Gefühl, dass die Entdeckung nicht für die Menschheit bestimmt ist. Und je näher sie ihrem Ziel kommen, desto größer wird die unheimliche Anziehungskraft, die die Forscher in ihren Bann gezogen hat.


Kritik:
Dass sich schon aufgrund der Inhaltsbeschreibung und im Hinblick auf Hauptfigur Hannah Peters dem geneigten Leser Parallelen zu Indiana Jones und Lara Croft aus Tomb Raider aufdrängen, kommt nicht von ungefähr. Eigentlich wirkt die deutsche Archäologin in Thomas Thiemeyers Roman Medusa wie eine Mischung aus beiden Figuren, auch wenn die Story des Romans deutlich mehr Science-Fiction-Elemente enthält, als man das von den beiden bekannten Reihen gewohnt wäre.
Aber das ist kein Kritikpunkt, sondern vielmehr eine willkommene Abwechslung, und Thiemeyers Einführung seiner Romanheldin ist wirklich geglückt. Dass es sich dabei jedoch um ein Werk für Erwachsene handelt und nicht für Kinder, wie seine bisherigen Arbeiten, merkt man vor allem im letzten Drittel des Romans, in dem der Brutalitätsgrad deutlich zulegt.
Während die Figuren ansich überzeugend angelegt sind und die Grundgeschichte durchaus zu unterhalten vermag, hapert es bei Medusa an etwas, das deutschen Kino- und Fernsehproduktionen ebenso anzuhaften scheint, wie vielen anderen Romanen deutschsprachiger Autoren: Thiemeyers Beschreibungen der Umgebung, der Statuen und der phantasievoll gestalteten Höhlen sind sehr gut gelungen und faszinierend, aber man vermisst neben natürlichen Dialogen (die hier leider beinahe alle einen gekünstelten und erzwungenen Eindruck machen) einen durchgängigen Sprachstil. Stattdessen hat man das Gefühl, als hätte der Autor den Roman in Etappen verfasst.

Inhaltlich beginnt Medusa überaus interessant und die Grundidee wird im Laufe der 360 Seiten einfallsreich weiter gesponnen. Wenn das Forscherteam um Chris Carter und Hannah Peters die einzelnen Räume und Höhlen untersucht, wenn sich neue Ergebnisse um die Medusen-Skulpturen ergeben, fiebert der Leser mit und die Seiten fliegen förmlich an einem vorbei. Nachdem die erste Hälfte des Buches wie eine Jagd nach dem Goldenen Vlies erscheint, fährt der Autor das Tempo ein wenig herunter, sobald die Abenteurer in die große Höhle kommen, auf der Flucht vor einem Sturm. Dieser Wechsel tut der Erzählung merklich gut; er vermittelt auf wenigen Seiten die Stimmung, dass sich die Truppe ihrem Ziel unaufhaltsam nähert und nun mit Bedacht vorgehen muss.
Obwohl die Ideen in der unterirdischen Höhle phantasievoll beschrieben sind, will sich die Art und Weise, in der übersinnliche Elemente in die Geschichte einfließen, allerdings nicht so recht in die ansonsten nüchtern-wissenschaftliche Ausgangslage einfügen. Verstärkt wird das zudem durch eine vollkommen unpassende (und unfreiwillig komische) Hypnose-Sequenz, die im selben Maße klischeehaft ist, wie die obligatorische Liebesbeziehung, die dabei noch so platt eingefädelt und kitschig beschrieben wird, dass man bisweilen eher an einen Heimatroman denkt.
So wird man als Leser das Gefühl nicht los, dass Medusa ständig auf einen Höhepunkt hinarbeitet, der sich aber nicht so recht einzustellen scheint. Das vermeintliche Finale ist zwar überzeugend und durchaus spannend, allerdings findet es 80 Seiten vor Schluss statt und im Anschluss daran zieht sich die Story spürbar in die Länge, um dem Leser nochmals nach weiterer Vorbereitung einen zweiten Höhepunkt zu präsentieren, der aber nach zwei Seiten schon wieder vorbei ist. Die Spannung wird zum ersten Finale wirklich gut aufgebaut, mitreißende Szenen davor gibt es jedoch leider nicht. Deshalb hätte man sich von Thiemeyer einen besseren und überraschungsreicheren Aufbau gewünscht; spannend bleibt der Roman trotzdem, allerdings bei weitem nicht so, wie er hätte sein können – und sollen.
Was positiv ins Gewicht fällt, sind die zahlreichen Hintergrund-Informationen, die der Leser mit auf den Weg bekommt, sei es nun zur Entstehungsgeschichte verschiedener Gebirgszüge, Wetterumschwünge oder der mannigfaltigen Vegetation in den vermeintlich tristen Wüsten. Auch die Skulpturen und ihre Herkunft umschreibt der Autor gekonnt, so dass insbesondere der Anfang inhaltlich gesehen überaus interessant ist.

Die internationale Truppe der Haupt- und Nebenfiguren ist ansich gut gemischt, und mit der Auswahl der verschiedenen Talente sind die Grundsteine für vielerlei Spezialeinsätze der einzelnen Figuren gelegt. Unverständlicherweise beachtet Thiemeyer kaum jemanden (abgesehen von den zwei Hauptcharakteren) über das Mindestmaß hinaus.
So bleibt der Aufnahmeleiter Malcolm Neadry stets ein eindimensionaler Nörgler; über Gregori Pattakos erfährt man so gut wie nichts – abgesehen von einem kleinen Vortrag, den er hält, hat er kaum etwas zu tun. Patrick Flannery gehört zu den verschwendetsten Figuren im Roman, im Prinzip ist er nicht mehr als ein Statist. Albert Beck hat immerhin einen etwas tiefgehenden Part, auf Irene Clairmonts Vergangenheit geht der Autor dagegen ebenfalls nur am Rande ein. Hannahs treuer Assistent Abdu wird genauso stiefmütterlich behandelt.
Zum Zug kommen allenfalls Oberst Durand, Chris Carter und Hannah Peters, die aber trotzdem nicht viel mehr, als 08/15-Figuren geworden sind und sich im Laufe des Romans nicht weiterentwickeln oder neue Erkenntnisse über ihr Leben gewinnen.
Wirklich bedauerlich dabei ist, dass man die verschiedenen Begabungen innerhalb der Gruppe hätte nutzen können, um allerlei prekäre Situationen lösen zu können; gleichzeit lassen die Szenenaufbauten ein richtiges Zusammenspiel zwischen den Figuren vermissen, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, Rätseleinlagen um den Medusen-Kult einzubauen, die alle Charaktere in Aktion treten lassen.
So besitzen die Figuren zwar Potential, doch das bleibt großteils ungenutzt. Hannah Peters und Chris Carter machen zugegebenermaßen eine gute Figur, aber selbst aus ihnen wäre mehr herauszuholen gewesen – vielleicht ja in einem späteren Roman.

Insgesamt betrachtet ist Medusa ohne Frage spannend, auch wenn der Roman ein paar Kapitel benötigt, bis man Zugang zur Geschichte gefunden hat, und sich auf die ungewöhnliche Umgebung einlässt. Dramaturgisch fällt dennoch auf, dass es bis zum Finale keine rechten Höhepunkte gibt, weder in sprachlicher, noch in inhaltlicher Hinsicht. Vielmehr wird man mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auf eine noch kommende Offenbarung vorbereitet – die dann auch eintritt –, die ziemlich schnell in einem Finale mündet, das wiederum den eigentlichen Höhepunkt von Thiemeyers Roman darstellt. Würde der Autor nicht versuchen, das Ganze nochmals zu übertreffen und in einem duellartigen Szenario zum Abschluss zu bringen, hätte das Buch sicher einen besseren Gesamteindruck hinterlassen.
Im Ergebnis wirkt das letzte Finale aufgesetzt und der Abenteuerroman insgesamt 40 bis 60 Seiten zu lang, wenn auch stets unterhaltsam.

Sprachlich gefällt Medusa vor allem durch die genauen und lebendigen Beschreibungen der Landschaft in Algerien und im Niger, die von Thiemeyer (selbst studierter Geologe und Geograph) exzellent dargebracht werden. Erläuterungen und Hintergrundinformationen webt der Autor geschickt in die Geschichte mit ein und vermittelt dem Leser ein klares Bild der Umgebung. Ebenso detailliert nahe gebracht sind die Medusen-Statuen und die Höhlenmalereien, die einem bildlich vor dem Auge erscheinen, wenn man Thiemeyers Beschreibungen dazu liest. Hierfür hat sich der Autor die Anerkennung durchaus verdient.
Allerdings kann er seinen sehr gehobenen und doch unterhaltsamen Erzählstil nicht bis zum Schluss durchhalten. So fließen im Verlauf und besonders im letzten Drittel immer wieder Formulierungen und Konstruktionen, ja ganze Absätze ein, die stilistisch nicht zum Rest des Buches passen. Der Verdacht drängt sich auf, dass Thiemeyer diese Abschnitte nicht am Stück, sondern zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben hat – bedauerlicherweise wurden die Stilbrüche beim Korrekturlesen nicht ausgemerzt. So sind zahlreiche Landschaftsbeschreibungen rasant und elegant, bis man über gewisse Worte und Ausdrücke stolpert, die man beim zweiten Mal Darüberlesen im Geist dann korrigiert, um die Atmosphäre der Erzählung aufrechtzuerhalten.
Den größten Punktabzug gibt es aber für die Dialoge, die (wie bei einheimischen Autoren leider nicht unüblich) derart hölzern und gekünstelt wirken, dass einem bisweilen fast der Spaß am Buch vergeht. Ein klassisches Beispiel findet sich im zwölften Kapitel, in dem Chris Carter durch einen engen Tunnel kriecht und auf die Frage, ob er etwas erkennen kann, antwortet: "Ich muss noch tiefer vordringen, um etwas zu sehen." Solche Kleinigkeiten sind es, die den Roman gerade hinsichtlich der Figuren viel an Realismus kosten – ebenso, wie die langen Abschnitte, in denen eine Person von sich aus erzählt, Fragen stellt und sie sich gleich wieder selbst beantwortet. Eine Interaktion, wie man sie in einer solchen Situation erwarten würde, fehlt leider oft; es baut sich kein richtiger Gesprächsrhythmus, kein Dialog auf. Genau diese unnatürlichen Formulierungen sind es, die den Gesamteindruck vom Roman sichtlich trüben. Hier hätte der Autor noch nachbessern sollen – zumindest seinen beiden Lektoren hätten diese Ktikpunktee eigentlich auffallen müssen.

So hinterlässt der Roman den Leser mit einem zwiespältigen Gefühl zurück. Einerseits ist Medusa inhaltlich wirklich innovativ und auch gut ausgearbeitet, andererseits lässt er dramaturgisch bisweilen zu wünschen übrig, und die Dialoge sind häufig derart gestelzt, dass man als Leser nur den Kopf schütteln kann. Mit wenigen Änderungen hätte Thiemeyer einen außergewöhnlichen Abenteuer-Roman schaffen können, die "Rohstoffe" hatte er ausgegraben, nur an der konsequenten Durchführung scheiterte es leider.
Das macht Medusa jedoch bei weitem nicht zu einem schlechten Buch, ganz im Gegenteil – wer sich an den hölzernen Dialogzeilen nicht stört, kann sich voll und ganz auf die Story einlassen und wird dahingehend bis zum ersten große Finale sicher nicht enttäuscht.
Dass die Filmrechte überdies schon erworben wurden, verwundert kaum; immerhin hat sogar der letzte (inhaltlich deutlich schlechtere) Tomb Raider-Film noch ausreichend Geld eingespielt.


Fazit:
Meist lässt man sich Bücher von Bekannten oder Freunden empfehlen, oft greift man auch zu einem bestimmten Werk, weil man die bisherigen Bücher des Autors gelesen hat – bei Medusa habe ich aufgrund des Covers den Klappentext durchgelesen und war von der Geschichte fasziniert.
Nachdem ich den Roman nun allerdings niedergelegt habe, macht sich Ernüchterung breit: Zum einen ist die Story zweifelsohne einfallsreich und stimmig, wartet mit einigen ausgeklügelten Überraschungen auf und hält für Kenner des Genres ein paar Augenzwinkern parat (man beachte zum Beispiel die Namen mancher Personen, die an Bekannte aus dem Film- und TV-Geschäft erinnern). Doch im Hinblick auf die Formulierungen erkennt man an Thomas Thiemeyers Roman, dass der Autor zwar bei der Umgebung und deren Beschreibungen sein Talent ausspielen kann, ihm die Dialoge im Vergleich aber sichtlich schwer fallen. Diese wirken nämlich gekünstelt und steril, und lassen jegliche Dynamik oder gar eine Intonation vermissen.
Gefallen hat mir Medusa im Endeffekt nur mit Einschränkungen; denn so faszinierend und durchdacht die Geschichte sein mag, ich kann über die sprachlichen Schwächen und den dramaturgischen Patzer mit dem zweiten, langsam aufgebauten und doch inhaltsleeren Finale nicht einfach hinwegsehen. Und was den Roman für mich persönlich Lesespaß kostet, schlägt sich auch in der Punktewertung nieder.
Wen das nicht stört, der darf bei dem Archäologie-Abenteuer-Buch bedenkenlos zugreifen, selbst wenn die Figur der Hannah Peters weder Indiana Jones, noch Lara Croft gefährlich wird – die Grundstory hingegen schon.