Stephen Hunter: "Im Fadenkreuz der Angst" [1993]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Januar 2008
Autor: Stephen Hunter

Genre: Thriller / Action

Originaltitel: Point of Impact
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 569 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1993
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1994
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-553-56351-1


Kurzinhalt:
Seit mehr als zehn Jahren schon lebt der ehemalige Vietnam-Marine Bob Lee Swagger zurückgezogen in seiner Hütte in Arkansas. Abschieden vom Rest der Welt kümmert er sich um seinen Hund und seine Waffen. Töten will der Scharfschütze mit der zweithöchsten Trefferzahl der U.S. Marines schon lange nicht mehr.
Als eine Geheimorganisation der Regierung auf Swagger zutritt, ahnt er nicht, dass sein Leben aus den Fugen gerät; in den Augen von Colonel Shreck, seinem Gehilfen Payne und dem Psychiater Dr. Dobbler ist Swagger der fähigste Mann, um ein geplantes Attentat auf den Präsidenten zu verhindern. Er soll der Organisation helfen, den Anschlag zu vereiteln und erarbeitet dafür die möglichsten Szenarien bei der kommenden Öffentlichkeitsarbeit des Präsidenten.
Doch wie Swagger zu spät feststellt, wurde er benutzt und wird als Täter präsentiert. Auf der Flucht vor sämtlichen Ermittlungsbehörden und Shrecks Organisation plant Bob seinen Rachefeldzug – und schließt sich dabei mit Nick Memphis zusammen. Einem in Ungnade gefallenen FBI-Agenten, der Bobs einziger Weg zurück zu einem normalen Leben scheint ...


Kritik:
Ein ruhiger, an sich dem Töten abgeschworener Vietnam-Held, der nie seine Anerkennung bekam. Der mit einem unerschütterlichen Sinn für Gerechtigkeit sich auch mit Gesetzesvertretern anlegt, die all das beschmutzen, wofür sie stehen, und der diesen letzten Kampf zu Ende bringt, den er schon so lange mit sicher herumträgt – das alles klingt nach Rambo [1982]. Und in der Tat, liest man sich die Taten von "Bob der Knipser" (im Original "Bob the Nailer") durch, kann man angesichts der Ein-Mann-Armee, die es an einem einzigen Tag auf über 40 (!) Tote bringt, nicht umhin, an die Action-Ikone aus den 1980er Jahren zu denken. Überhaupt scheint Point of Impact, wie der Roman im Original heißt, und der erst kürzlich als Shooter [2007] verfilmt wurde, von der Atmosphäre und der kompromisslosen, gewalttätigen Action an sich eher aus den Achtziger Jahren zu stammen, als 1993.
Lange hatte der Pulitzerpreisträger Stephen Hunter für seinen Roman recherchiert. Bereits in den 1980er Jahren machte sich Hunter einen Namen als Kritiker und verfasste neben einem Dutzend Romane auch Sachbücher, die sich meistens mit Waffen auseinander setzen – er selbst hatte in der U.S. Army gedient. Gleichwohl ihm der große Durchbruch als Unterhaltungsautor bislang versagt bleibt, besitzen insbesondere seine "Bob the Nailer"-Bücher eine große Fangemeinde; die verschiedenen Romane drehen sich aber nicht zwangsläufig nur um den eremitischen Scharfschützen, sondern auch um andere Figuren, die im selben, fiktiven Universum leben und mitunter mit Bob oder seinen Vorfahren interagieren.

Die Geschichte von Im Fadenkreuz der Angst baut die verschiedenen Figuren über einen sehr langen Zeitraum (immerhin ein Drittel des gesamten Buches) auf, stellt die verschiedenen Schauplätze und Charaktere vor, und konfrontiert den Leser schon relativ früh mit dem Gewaltgrad, den Hunter präsentiert. Dass sich der Roman schon auf Grund der Geschichte und der Waffenaffinität nicht für ein jugendliches Publikum eignet, versteht sich von selbst. Angesichts der geschilderten, sehr realistischen Auswirkungen von Schüssen bei den menschlichen Zielen, bleibt nicht viel Raum für Fantasie.
An sich vermag die Story um einen vereinsamten, ehemaligen Kriegshelden, der in ein Komplott von skrupellosen Organisationen verstrickt wird, durchaus zu überzeugen. Auch die verschiedenen Zusammenhänge hinter denjenigen Geschehnissen, die Bob Lee Swagger selbst mitansehen kann, werden schnell klar und offenbaren nicht nur das Ausmaß der Verschwörung, sondern auch die Raffiniertheit der Verschwörer. Bobs Antwort auf alle möglichen Widrigkeiten ist allerdings immer dieselbe, so dass die eigentliche Frage nur noch darin besteht, wann er sich denn erneut hinter sein Zielfernrohr schwingt, um der Gerechtigkeit genüge zu tun.
Wirklich spannend sind die diese Momente lediglich in der ersten Hälfte des Romans, ehe man als Leser begriffen hat, das Swagger grundsätzlich alle Züge seiner Gegner bereits vorhergesehen hat und dementsprechend reagiert. Dass er die Fallen somit umschifft, steht außer Frage. Nur wie bleibt offen. Stellenweise vermag der Roman somit zwar immer noch zu fesseln, doch die Momente mit Nick Memphis und seinen Ermittlungen scheinen oft interessanter, als diejenigen mit Bob und seinem Kreuzzug.

Dass sich die Figuren dabei entwickeln, hilft dem Roman zwar über die ersten Hürden hinweg, doch abgesehen von den üblichen Klischees gibt es nicht viel zu bestaunen. So wird aus dem Regularien befolgenden FBI-Agenten ein selbständig denkender, loyaler Anhänger Bobs, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Und aus dem Einsiedler wird ein Anführer, der durch seine Sturheit und seinen Mut die Anerkennung seine Gefolgschaft erringt.
Wirklich ungewohnte Charakterzüge erwartet man in Point of Impact allerdings vergebens. Die Bösen sind gewohnt böse und rühmen sich damit, dass sie dies nur für das Wohl des Landes seien, die Guten erkennen diese Antwort nicht an, sondern treten nach wie vor für ihren Gerechtigkeitssinn ein. Ob man all das nicht auf 400 Seiten hätte straffen können, sei jedem Leser selbst überlassen. Den Epilog mit über 40 Seiten anzusiedeln, strapaziert zweifelsohne die Lesefreude, auch wenn der Autor hier noch Dinge zu überspringen scheint.

An mangelnder Dramaturgie leidet der Roman grundsätzlich nicht, auch wenn es 160 Seiten braucht, ehe Bob erkennt, dass er benutzt wurde; und doch scheint jener Moment der Erkenntnis der packendste des Romans. Sein Rachefeldzug beinhaltet zwar noch einige kleine Höhepunkte, so überrascht und perplex wird man als Leser aber nicht mehr zurückgelassen wie in jenem Augenblick der Erkenntnis.
Wie schon erwähnt ist es weniger die Frage, ob Bob den Spieß umdrehen kann, als wie. Er selbst scheint als Figur viel zu unantastbar, zu überlegen und zu sehr die Katze beim Katz-und-Maus-Spiel, als dass man an einem Erfolg zweifeln könnte.
Das Finale wirkt diesbezüglich beinahe antiklimaktisch. Nach einem langen Aufbau, vielen Fährten und einer ausgefeilten Planung, endet die Konfrontation innerhalb zweier Seiten – etwas mehr hätte man sich als Leser schon gewünscht.

Sprachlich gibt sich Hunter keine Blöße, fordert vom Leser allerdings ein hohes Maß an Vorkenntnissen bezüglich der Terminologie der Waffen und Munitionen. Zwar erklärt er viele Begrifflichkeiten, setzt andere allerdings als bekannt voraus und erschwert somit insbesondere ausländischen Lesern den Zugang.
Die Dialoge entsprechen dem Genre, wirken aber nicht immer wie aus dem richtigen Leben gegriffen; dahingegen verschont der Autor die Leser großteils mit einem überschwänglichen Vokabular an Schimpfwörtern, pflegt diese dann aber dennoch in der zweiten Romanhälfte häufiger vorzubringen und erzeugt durch seine bildlichen Gewaltbeschreibungen eben solche Eindrücke im Kopf der Leserschaft.

Wenn jemand zum ersten Mal ein geladenes Gewehr in der Hand hält und durch das Zielfernrohr blickt, teilen sich die Menschen in zwei Lager. Die ersten sind von dem Gefühl der Macht überwältigt, spüren und genießen die Entscheidung in ihren Fingerspitzen auf dem Abzug, versinken in dem Tunnelblick, der die Welt einzig und allein auf ein Ziel vor Augen beschränkt; die anderen fühlen dasselbe, legen die Waffe aber wieder weg, da sie wissen, mit welchen Gefahren diese Macht verbunden ist.
Ob der Roman letztlich für oder gegen den Waffenbesitz wirbt, lässt sich nicht wirklich klären. Zwar schlägt Stephen Hunter auch kritische Töne an, doch wiegen diese die Positiven nicht auf.
Eine reine Werbung für die National Rifle Association der USA, der größten Waffenlobby, ist Point of Impact zwar nicht, doch verklärt der Autor die Waffenliebe mit der Fähigkeit zu töten. Verpackt in eine durchaus unterhaltsame Geschichte, die sich großteils wie ein Actionfilm liest, hinterlässt das Ganze aber ein ungutes Gefühl und plädiert gleichzeitig für eine Selbstjustiz, die letztlich aber nicht geahndet wird.
Wer schon immer viel über Waffen, ihre Funktion und Munition wissen wollte, ist in Hunters Welt gut aufgehoben. Ein packender Thriller muss so aber nicht zwangsläufig verpackt sein.


Fazit:
Stephen Hunter hatte sich einmal gegen Waffen entschieden – ehe er durch ein Magazin wieder darauf gebracht wurde. Seither sind Waffen eine seiner Leidenschaften. Jene Undurchschaubarkeit fand ich bei Im Fadenkreuz der Angst so verwirrend. Einerseits beschreibt der Autor, welche Verbrechen mit Waffen anzurichten sind, dass sie letztlich nur entwickelt werden, um zu töten, und dass selbst gute Schützen wie im Roman Lon Scott von ihren Waffen "heimgesucht" werden können, andererseits verehrt er die Kunst des Schießens, lobt die technisch ausgefeilten Gewehre, die Munition, die Geduld und die Präzision der Schützen. Und Verehrung ist hier nicht einmal übertrieben.
So brutal somit die Vorgehensweise von "Bob the Nailer" sein mag, letztlich rechtfertigt Hunter die Selbstjustiz damit, dass sie für Bob der einzig richtigen Ausgang sei. Eine solche Aussage ist nicht nur gefährlich, sondern zieht, wenn man den Roman selbst ansieht, das Geschehen nur unnötig in die Länge. Ohne Zweifel ist die Verschwörung gut orchestriert, und auch die Figuren bekommen angenehm viel Hintergrund zugeschrieben, doch während sich die Actionmomente grundsätzlich auf Shootouts reduzieren, bei denen der Held ohnehin unverwundbar erscheint, entwickelt sich die Geschichte ohne große Überraschungen.
Die Action wiederholt sich in ihrem Aufbau und die unendlich langen Beschreibungen der verschiedenen Waffen und ihrer Munition sorgen dafür, dass es einem als nicht-NRA-Mitglied nur kalt den Rücken herunter läuft. Das mag zwar wohl recherchiert sein, liest sich aber stellenweise wie ein Waffenkatalog. Mehr Thrill – oder 150 Seiten weniger – hätten dem Roman nicht geschadet.