Kim Stanley Robinson: "Grüner Mars" [1994]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 14. Dezember 2008
Autor: Kim Stanley RobinsonGenre: Science Fiction
Originaltitel: Green Mars
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 625 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1994
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1997
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-553-57239-3
Kurzinhalt:
Der Blutzoll insbesondere unter den ersten Hundert Kolonisten des Mars war hoch, als die geballte Militärmacht der weltbeherrschenden Industrie den Unabhängigkeitsaufstand auf dem Roten Planeten 2061 niederwarf. Der Mars, dessen Antlitz auf immer verändert wurde, steht weiterhin unter dem Einfluss des Terraformings, die Überlebenden der ersten Hundert sind in den Untergrund verschwunden, der großteils unorganisiert ebenso viel gegeneinander, wie miteinander arbeitet.
Aber während Maya Toitovna sich ihrem Schicksal, im Verborgenen zu leben nur schwer fügen kann, findet Ann Clayborne, von Schuldgefühlen zerfressen, eine neue Berufung. Sax Russell hingegen möchte wieder aktiv an den Veränderungen am Mars teilnehmen, zumal die von der Erde gesteuerten und finanzierten Projekte des Terraforming zu schnell und radikal arbeiten.
Als der vom fortschrittlichen Industriekonsortium Praxis zum Mars gesandte Art Randolph in ihr Leben tritt, findet der Mars-Untergrund auf der Erde endlich Fürsprecher und die notwendigen Mittel, sich zu organisieren. Doch für wirkliche Veränderungen der Verhältnisse auf dem Mars, brauchen die Menschen dort ihre Unabhängigkeit – und diese erreichen sie nur durch eine Revolution ...
Kritik:
Um die Kolonisierung ging es Autor Kim Stanley Robinson noch in Roter Mars [1993]. Auch wenn diese nach wie vor nicht aufgehalten wurde, und immer mehr Menschen auf den Planeten ausweichen, zumal die Situation auf der Erde immer schlimmere Ausmaße annimmt, sie scheint zumindest unter Kontrolle gebracht.
Doch die Menschen und Kolonisten sind lange nicht mehr die einzigen auf dem Roten Planeten. Bereits die zweite Generation der auf dem Mars geborenen Kinder wird erwachsen, und dies mit einem ganz eigenen Verständnis für die Lebensumstände und die Abhängigkeiten, in denen sie sich befinden. In Grüner Mars verlagert der Autor somit den Schwerpunkt von den Kolonisten weg und hin sowohl zu den Ereignissen und Machenschaften, die das Geschehen auf der Erde beeinflussen und sogar zu den Nachkommen der Kolonisten und wie sie ihre eigene Zukunft auf einem Planeten sehen, dessen Oberfläche nach wie vor nicht bewohnbar ist.
Die Projekte des Terraforming wie beispielsweise die Installation einer orbitalen Linse, die ganze Landstriche verbrennt, um die so im Boden befindlichen Mineralstoffe und Gase freizugeben, oder aber eine Reihe von Sonnenspiegeln, die so im Marsorbit installiert werden, damit sie die Helligkeit der Sonne erhöhen, macht Robinson zu einem Kernelement seines episch anmutenden Romans, der erneut mehrere Jahrzehnte umspannt.
Hauptsächlich aus der Sicht der ersten Hundert erzählt, wird auch deutlich, welche Auswirkungen die vergangenen Ereignisse auf die Charaktere haben und auch, wie sich ihre Persönlichkeit dadurch verändert, dass sie durch die gerontologische Behandlung immer älter werden. Von den kleinsten sozialen Strukturen zieht der Autor immer größere Kreise, über die verschiedenen Gruppen des Untergrunds, die unterschiedlichen Städte und politischen Ausrichtungen bis hin zu dem Verhalten der gesamten Erd- und Marsbevölkerung, die beide vor schwerwiegende Entscheidungen durch außergewöhnliche Katastrophen gestellt werden. Dass in Grüner Mars außerdem noch Zeit gefunden wird, an sich gar nicht mehr auftretende Figuren näher zu beleuchten, ihren Hintergrund zu erörtern und damit Rückschlüsse zuzulassen, was sich nicht wiederholen darf, damit die Konfrontationen nicht auf dieselbe Weise enden werden, wie das letzte Mal, ist durchaus beeindruckend.
Die sozialen und politischen Auswirkungen, auch des Terraforming-Projekts, scheinen Robinson dabei mehr zu interessieren, als die technische Durchführbarkeit, die hier im Gegensatz zu Roter Mars nur eine untergeordnete Rolle spielt. Der Entdeckergeist, der im ersten Roman somit die Geschichte angetrieben hat, scheint hier verloren gegangen und die Menschen weniger ums Überleben, als um das Leben miteinander bemüht.
Höhepunkte sind die Kapitel, die aus der Sicht von Sax Russell erzählt werden, der mit einer beinahe kindlichen Naivität die Politik zu ignorieren scheint – ehe sie ihn auf grausame Weise wieder einholt.
Er zählt zusammen mit dem neu eingeführten Art Randolph auch zu den sympathischsten Figuren. Ihre Offenheit und ihre Neugier, mit der man sich als Leser am ehesten identifizieren kann, beleben die Erzählung und machen einen zum Teil der Expedition. Ebenso bei Nadia, die allerdings erst in der zweiten Romanhälfte eine größere Rolle spielt.
Etwas plötzlich vollzieht sich die radikale Wandlung von Ann Clayborne, die zu Beginn noch gebrochen scheint und am Ende des Romans wie eine gänzlich andere Figur wirkt. Auch Maya Toitovna, die wie schon im ersten Buch zu den zentralen Figuren gehört, wandelt sich während der Erzählung mehrmals. Man bekommt wie schon bei Roter Mars die Stimmungsschwankungen und Wutanfälle der unausgeglichenen Person zu spüren, bei der sich allerdings eine Krankheit einzuschleichen scheint, die wohl im letzten Roman der Trilogie aufgelöst wird.
Nach wie vor ist es erstaunlich, welche Vielzahl an Figuren Kim Stanley Robinson in seinem Roman unterbringt und ihnen auch etwas zu tun gibt. Neben den bekannten wie Hiroko Ai, Michel Duval (der immerhin ein wenig stärker eingebunden wird) oder Vlad und Ursula sind neue Charaktere hinzu gekommen. Darunter Kasei und Nirgal, Jackie Boone und Praxis-Leiter William Fort. Selbst bekannte Nebencharaktere wie Peter Clayborne und Zeyk und dessen Frau Nazik dürfen noch mal auftreten. Dass Robinson dabei immer noch den Überblick behält, wer sich wo befindet und wie und wohin weiterentwickelt, ist erstaunlich und gleichzeitig ungemein faszinierend. Die Charakterisierungen und ihre Veränderungen während der beschriebenen Jahrzehnte sind ihm jedenfalls außergewöhnlich gut gelungen.
Füllten im Vorgängerroman Beschreibungen zu Techniken und Anlagen die Seiten, widmet sich der Autor hier nun den sozialen und politischen Wirrungen, Verstrickungen und Hintergründe, die sicherlich nicht weniger fesseln, sich aber irgendwann zu wiederholen scheinen. So scheinen in Grüner Mars mehr Passagen unnötig in die Länge gezogen, als noch in Roter Mars, und auch wenn dem Buch erneut ein episches Flair anhaftet, das gerade durch das letzte Drittel unterstrichen wird, der mittlere Akt kostet mitunter etwas Durchhaltevermögen, um nicht aufzugeben.
Der Stil, mit dem Robinson weiterarbeitet, macht das Lesen in dem Sinne nicht einfacher, als dass die Sätze nicht nur stellenweise sehr lang geraten sind, sondern durch Semikolon und Bindestrich untereinander so verknüpft und verschachtelt, mit substantivierten Verben durchzogen werden, dass man nicht wenige Abschnitte mehrmals lesen muss, um zu verstehen, was der Autor damit ausdrücken möchte. Manche Passagen, wie Sax Rettung, das Finale oder die Erkundung des Mars durch Nirgal oder Art zu Beginn, fesseln durchaus. Einzig im Mittelteil hätte man sich eine Straffung vorstellen können.
Momente wie die Entdeckung einer aus Stein gemeißelten Stadt inmitten der kargen Marslandschaft verblüffen ebenso wie die beeindruckende Beschreibung des Exodus am Ende des Romans, bei dem der Autor beinahe schon biblische Anleihen zu schaffen scheint.
Ohne Frage steht Grüner Mars seinem Vorgänger weder in Detailgrad oder Größe des Erzählrahmens nach. Beide sind erstklassig in ihrer eigenen Aussage und insbesondere die Auflösung des Buches weckt das Interesse am dritten Roman, der einen längeren Zeitraum umspannen und nochmals mehr als 100 Seiten länger dauern wird. Man kann nur hoffen, dass es Robinson gelingen wird, sich nicht so oft zu wiederholen wie hier.
Fazit:
Der Kontext, in den Autor Kim Stanley Robinson seine Mars-Trilogie einbetten möchte, nimmt im zweiten Teil langsam Gestalt an. Während die Kolonisierung nach den verheerenden Ereignissen am Ende von Roter Mars in kontrollierte Bahnen gelenkt wird, ist es nun die Veränderung des erdnahen Planeten, die Grüner Mars auch seinen Titel gibt. Und so zählt jener Moment etwa 20 Seiten vor Schluss, der ein Ereignis der Erde auf dem Mars widerspiegelt zu einem der verblüffendsten der beiden Bücher. Man bezeugt als Leser staunend und in gewissem Sinne ehrfürchtig, wenn Robinson aufzeigt, wie weit der Planet denn bereits durch Terraforming verändert wurde.
Diese Augenblicke, oder auch wenn die Auswirkungen der Flut von 2061 deutlich gemacht werden, haben den Roman für mich lesenswert gemacht. An den Charakterentwicklungen gibt es ebenso wenig zu bemängeln, doch wurde ich jenes Gefühl nicht los, das die immer älter werdenden Figuren beschreiben: ein ständiges Déjà vu. Dass nicht jeder Roman mit gehetztem Tempo erzählt werden muss, steht außer Frage. Doch auch wenn der Autor so die Zeitspanne spürbar macht, die der Roman umfasst, gibt es doch zahlreiche Stellen im Buch, in denen die Geschichte auf der Stelle zu treten scheint.
Schnell liest sich Grüner Mars somit nicht, ganz im Gegenteil. Dafür allerdings kann man sich in dem unbeschreiblichen Detailgrad verlieren, mit dem hier vor den Augen der Leser eine Welt zum Leben erweckt wird.