Leonie Swann: "Glennkill – Ein Schafskrimi" [2005]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. November 2007
Autor: Leonie Swann

Genre: Krimi / Komödie

Originalsprache: Deutsch
Gelesen in: Deutsch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 378 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Deutschland
Erstveröffentlichungsjahr: 2005
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-3-442-46415-9


Kurzinhalt:
Eines Morgens machen die Schafe im irischen Glennkill eine grausame Entdeckung; mitten auf ihrer Weide liegt ihr Schäfer George Glenn. Mausetot. Woran er gestorben ist, ist schnell gesagt: Der Spaten, der mitten aus seinem Bauch ragt, kann nicht gesund gewesen sein.
Verunsichert sehen die Schafe mit an, wie die Menschen aus dem nahe gelegenen Dorf die Leiche entdecken, doch wer es war, wissen sie dann immer noch nicht. Aber auch andere Fragen tun sich auf. Wer wird sie hüten? Was hatte der Metzger damit zu tun, der die Leiche als einer der ersten berücksichtigt hat? Wo ist die Schäferhündin Tess? Und wieso mit einem Spaten?
Es gibt viele Fragen; Miss Maple, das klügste Schaf Glennkills (und vermutlich der Welt), sieht sich zusammen mit ihrer Schafsherde dazu verpflichtet, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch die Welt der Menschen ist nicht für Schafe gemacht, die Namen der Dinge viel zu seltsamen und alles scheint so undurchsichtig. Doch immer wieder finden sie ein Puzzlestück – und beginnen, das Bild ihres verstorbenen Schäfers und seines Todes zusammen zu setzen. Aber selbst, wenn sie den Mörder finden, wem und wie sollen sie es sagen?


Kritik:
Immer wieder – wenn auch leider selten – erblickt ein Erstlingswerk eines jungen Autors, oder einer jungen Autorin, das Licht der Welt, das sich durch besondere Detailfülle oder ungewöhnliche Einfälle vom Rest des Genres abhebt. Der 1975 in Dachau geborenen Leonie Swann ist eine solche Überraschung gelungen. Nicht nur, dass Glennkill hierzulande sehr erfolgreich war, zwei Jahre nach dem ersten Erscheinen ist der Roman auch schon in 20 Sprachen übersetzt worden.
Woher der "Schafskrimi" seinen Reiz zieht, ist schnell entdeckt: nicht nur, dass die Geschichte um den Mord an Schäfer George Glenn aus der Sicht der Schafe erzählt wird, sowohl der Sprachstil selbst, als auch die Stimmung und Wortwechsel der Schafe unter einander ist ganz dem etwas gemütlicheren und auch einfacheren Schafsleben angepasst. Man muss sich als Leser also genau wie die Autorin selbst, auf die Schafe einlassen, um mit ihnen den Fall zu lösen. Manche Verknüpfungen und Zusammenhänge ergeben sich dem Leser dabei schneller als beispielsweise Miss Maple, dem klügsten Schaf Glennkills (und vermutlich der Welt), aber die Auflösung selbst ist für Schaf wie Leser gleichzeitig zu ersehen.

Die Geschichte beginnt mitten dort, wo die Schafe sie zum ersten Mal entdecken – und Geschichten haben (das weiß jedes Lamm) immer einen Anfang und einen Schluss. Die Ausgangslage ist dabei nicht weniger schockierend, denn auch wenn der Schäfer George schon tot war, weshalb der Spaten aus ihm herausragt, gibt auch den Schafen Glennkills ein Rätsel auf. Zumal sie in der letzten Nacht nicht einmal irgendetwas gehört haben.
Da ihnen der Schäfer regelmäßig vorgelesen hat, steht schnell fest: Es muss einen Mörder geben – und zwar mit Motiv! Die Suche nach demselben wirft die Schafe aber unvorbereitet in die undurchschaubare Welt der Menschen, die sich mit allerlei Dingen beschäftigen, die ein normales Schaf nicht sonderlich interessieren. Außer dem Gras vielleicht. Doch wie die Schafe feststellen müssen, handelt es sich beim Gras der Menschen um etwas anderes, als beim Schafsgras. Dies mag vielleicht ein Storyaspekt sein, der auf den ersten Blick nicht so recht in die an sich unschuldige Idylle der Glennkill-Schafe passt. Weswegen ausgerechnet ein Drogenhintergrund mit eingewoben werden musste, verstehe wer will – auch wenn die Autorin so für zahlreiche lustige Wortspiele und Verwechslungen sorgt.
Auch bei den anderen Menschentätigkeiten ergeben sich ganz andere Auflösungen, als es die Schafe im ersten Moment denken würden. Die Welt aus ihren Augen zu sehen, mit ihrer Unbedarftheit und Naivität, ist allerdings der große Reiz von Glennkill und hält all diejenigen Leser im Bann, die anhand der etwas eigentümlichen Sprache und der seltsamen Schilderungen das Buch nicht verwirrt weggelegt haben. All denjenigen sei gesagt, dass die Skurrilität Glennkills durchaus beabsichtigt ist, und im letzten Drittel ebenso seine Wirkung entfaltet, wie zu Beginn.

Mit wie viel Detailverliebtheit die Autorin Swann an den Stoff herangegangen ist, erkennt man schon an der Namensgebung der Figuren und Schafe. Sei es nun die detektivische Miss Maple (entlehnt der Hobbyermittlerin Miss Marple), dem moppeligen Mopple the Whale, Cloud dem fluffigsten Schaf, dem Metzger "Ham" (englisch für Schinken) oder dem Romantitel selbst – immerhin wird Schäfer George ermordet. Also "Glenn" – "kill".
Seien es die Charakterbeschreibungen zu Beginn (und es gibt deutlich mehr Schafe in Georges Herde, als man zunächst annehmen würde), die Menschen im Dorf oder aber die Landschaftsbeschreibungen an sich, Leonie Swann wahrt innerhalb ihres Debütromans immer die von ihr selbst auferlegten Konventionen, lässt die Figuren ihre unterschiedlichen Meinungen stets sehr individuell äußern und behält sich bei der Sprache der Schafe die Eigentümlichkeit der Worte vor.
Dass sich die Figuren dabei weiter entwickeln, ist nicht nur zu sehen, sondern bindet den Leser auch an die Lieblingsfiguren; dass der Hintergrund der erst kürzlich zur Herde hinzu gekommenen Schafe Othello oder Melmoth innerhalb des Romans schon gelüftet wird, war abzusehen, dennoch hat sich die Autorin auch hier viel Mühe gegeben, um die verschiedenen Charaktere mit einem reihhaltigen Hintergrund zu versehen. Erstaunlicherweise scheint Miss Maple trotz der ersten Vermutungen nicht zwangsläufig die Hauptfigur zu sein. Diese Rolle teilt sie sich mit Mopple the Whale und Othello.

Je mehr die Schafe über die Welt der Menschen erfahren, je mehr Fragen sie zum Hergang des Todes von Schäfer George beantworten, umso verworrener und undurchsichtiger wird die Ermittlung. Hieraus zieht die Geschichte auch einen Teil der Spannung, zumal auch für den Leser nicht absehbar ist, wer denn als Täter nun in Frage kommt.
Es scheint beinahe, als ob ständig nur Verdächtige entlastet werden, anstatt dass neue Verdachtsmomente bestätigt würden. Zwar ist Glennkill nicht Schweiß treibend spannend geraten, dies hat die Autorin wohl auch nicht beabsichtigt, doch dank der unterhaltsamen Schreibweise und des gelungenen, wenn auch recht kurzen Finales verfliegen die Seiten wie im Flug.

Der Roman liest sich grundsätzlich sehr leicht, wenn auch in den ungewöhnlichen Formulierungen die Stolperfallen liegen. Und während die Seiten an einem vorüber ziehen, nutzt Swann zahlreiche Formulierungen, um dem Leser sofort zu suggerieren, welche Figur den letzten Satz nun gesagt hat. Sprachlich ist dies, schon weil der Roman den ungewöhnlichen Stil von der ersten zur letzten Seite aufrechterhält, eine kleine Meisterleistung und scheint in der Wortfindung überaus kreativ.
Dass sich nach wie vor Leser finden, die sich mit diesem Sprachstil nicht anfreunden konnten, steht außer Frage. Schade ist es allemal, denn wer sich Glennkill entgehen lässt, verpasst ein schafiges Vergnügen. Bei den Ausflügen ins Dorf wird einem beinahe wollig zumute und selbst, die Schafe beim Grasen zu beobachten, macht überaus Spaß. Nicht nur, dass die Autorin zahlreiche Erklärungen dafür liefert, weswegen Schafe bessere Zuhörer sind, als Geschichtenerzähler, sie schafft es sogar, einen richtigen Krimi mit vielen Verstrickungen und komplexem Hintergrund aus der Sicht der Schafsherde von Glennkill zu erzählen. Das ist für Kinder zwar nur bedingt geeignet, für Jugendliche und Erwachsene mit viel Phantasie und einem Faible für skurrile Geschichten aber eines der witzigsten und unbeschwertesten Bücher der letzten Zeit.


Fazit:
Auch wenn der Roman in kriminologischer Hinsicht kein Meisterwerk darstellt, es ist durchaus beeindruckend, was die Autorin Leonie Swann in ihrem Debütroman auf die Beine stellt. Das einerseits, weil es ihr gelingt, die naive Sprache und Schilderungen der Schafe glaubhaft zu Papier zu bringen, ohne dass es kindisch oder kitschig wirkt; andererseits, weil sie die Zusammenhänge und Hinweise so gestaltet und platziert, dass sie von den Schafen auch verstanden und entschlüsselt werden können.
Ohne Sprünge in der Geschichte beschreibt Glennkill den Versuch der Schafsherde unter der Führung von Miss Maple, Mopple und Othello, den Mord an ihrem Schäfer aufzuklären. Durch ihre Augen zu sehen, wie sich die Hintergründe der Tat ergeben, wie sich auch ein neues Bild ihres Hirten ergibt ist nicht nur interessant, sondern zu einem gewissen Grad auch faszinierend.
Mit viel Liebe zum Detail, einer immens unterhaltsamen und lustigen Schreibweise und einer trotz des Themas leichtfüßigen Erzählung hat mich Swann mit Glennkill schnell in ihren Bann gezogen. Die sympathischen Charaktere und die unverwechselbare und ebenso skurrile wie natürlich wirkende Sprachen schreien geradezu nach einer Fortsetzung. Hoffentlich kann die Autorin dem Drang widerstehen, bis ihr eine ebenbürtige Geschichte einfällt. Nach Katzenkrimis gibt es nun also auch Schafskrimis ... wer hätte gedacht, dass dies so bemerkenswert und vor allem empfehlenswert sein könnte!