Leonie Swann: "Garou – Ein Schaf-Thriller" [2010]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 10. August 2010
Autor: Leonie SwannGenre: Komödie / Thriller
Originalsprache: Deutsch
Gelesen in: Deutsch
Ausgabe: Gebundene Ausgabe
Länge: 414 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Deutschland
Erstveröffentlichungsjahr: 2010
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-3-442-31224-5
Kurzinhalt:
Rebecca, die Tochter des verstorbenen Glennkill-Schäfers, ist mit den Schafen nach Europa ins Winterquartier gezogen. In der Nähe eines französischen Schlosses sehnen sich die Schafe nach ihrer Weide in Irland und müssen sich sogar gegen die verrückten Ziegen der Nachbarweide wehren. Als im nahegelegenen Wald tote Rehe aufgefunden werden, trägt das nicht zum Wohlbehagen der Schafe bei – zumal das Gerücht eines Werwolfs die Runde macht, was immer das sein mag.
Wenig später liegt ein Toter auf der Weide der Schafe und allen ist klar, dass es so nicht weitergehen kann. Mit ihrem Gedächtnisschaf Mopple the Whale machen sich Miss Maple, das klügste Schaf der Herde (und vermutlich der Welt), Othello und der Rest der Herde schafsmütig daran, dem Treiben auf den Grund zu gehen. Immerhin schweben nicht nur sie, sondern auch ihre Schäferin in Gefahr ...
Kritik:
Es dauerte erstaunlich lange, ehe Autorin Leonie Swann ihr sehr erfolgreiches Krimidebut Glennkill – Ein Schafskrimi [2005] fortsetzte. Ihr Ansatz ist dabei ebenso überraschend wie treffend: anstatt dieselbe Geschichte noch einmal zu erzählen, platziert sie die Schafe nun im scheinbar idyllischen Frankreich und schildert dort eine durchaus komplexe Geschichte, die durch die Augen der Schafe wahrgenommen nicht wirklich einfacher wird. Es geht um mehrere Dinge, die im Schloss nahe der eingeschneiten Weide der Schafe passieren, um Verbrechen, die derzeit im benachbarten Wald an Tieren begangen werden, um ein Geheimnis, das die Vergangenheit des Schlosses selbst betrifft, und um Etwas, was auf der Weide selbst schon einmal geschehen ist, denn die Glennkill-Schafe sind nicht die ersten, die dort grasen. Die Herde ist dabei dieselbe, wie bei ihrem letzten Abenteuer, auch wenn Miss Maple erstaunlich wenig zu tun bekommt und erst im letzten Drittel mit ihrer Kombinationsgabe erneut unterstreicht, dass sie vermutlich das klügste Schaf der Herde, und vielleicht sogar der Welt ist. Bis dahin müssen sich die Glennkill-Schafe mit Ziegen herumschlagen, herausbekommen, was es mit einem Werwolf und einem Mehrwolf auf sich hat, und erkunden das Schloss und seine Umgebung genauer, als manchen Schafen lieb ist.
Autorin Swann mutet ihren Schafen bedeutend mehr zu, als noch im ersten Roman, auch wenn sie sich nach wie vor schafshaft verhalten. Auch führen ihre Schlussfolgerungen nicht immer zum richtigen Ergebnis und man muss als Leser bisweilen mit Unbehagen mitverfolgen, wie sich mehrere Schafe durch ihre Einschätzung der Situation in noch größere Gefahr begeben. Die Ausgangslage ist merklich düsterer gewählt, richtet sich aber nach wie vor an junge wie erwachsenere Leser. Das Werwolf-Element wird erstaunlich passend mit eingewoben, wobei auch die Mythen und Sagen, die sich um die Fabelwesen ranken mit verbaut sind, wenngleich sie von den Schafen stellenweise falsch verstanden werden. Etwas vertrackt ist dabei jedoch, wie letztlich die verschiedenen Handlungsfäden zusammen laufen, von denen manche nur gestreift werden. Hier ist durchaus vom Leser Kombinationsgabe gefordert und man merkt Garou durchaus an, dass die Autorin sich bemüht, eine interessante und unvorhersehbare Geschichte zu erzählen. Das gelingt ihr nicht zuletzt durch die putzigen Figuren, die durch Namen wie Mopple the Whale oder dem alternden Leitwidder Sir Ritchfield treffender kaum sein könnten. Sie erwecken mit ihren kurzen Beschreibungen Bilder im Kopf der Leser, die sich nahtlos in das karge und verschneite Winterambiente Frankreichs einfügen. Entsprechend ihren Namen verhalten sich die Schafe meist auch und werden ihren Eigenschaften entsprechend auch in der Geschichte eingesetzt. Othello ist dabei wie Ramses, Zora und Cloud einer der heimlichen Helden der Geschichte, in der nun die Tochter des Glennkill-Schäfers, Rebecca, die Hauptrolle übernimmt. Über sie erfährt man dabei ebenso wenig wie über die meisten anderen menschlichen Beteiligten, von den Schlossbewohnern einmal abgesehen. Interessanterweise schildert die Autorin das Geschehen auch meist aus der Sicht der Schafe, so dass von Gesprächen auch nur diejenigen Teile vorgestellt werden, die einem Schaf zu Ohren kommen. Unvorhersehbar bleibt dies vor allem durch die schafshaften Handlungen der Protagonisten, die sich urplötzlich entschließen, Tarotkarten zu verspeisen, um bestimmte Ereignisse zu verhindern. Oder die sich auf Expeditionen begeben, die man nie für möglich gehalten hätte. Dass manche davon ins Leere laufen, also kein Ergebnis erbringen, ist zwar verständlich, ziehen Momente des Romans aber unnötig in die Länge. Dagegen ist das Finale selbst etwas rasch erzählt, auch wenn erfreulicherweise die Schafe hier mehr zu tun bekommen. Nur fehlt es leider etwas an der Team-Arbeit, die einem im Vorfeld in Aussicht gestellt wird.
Sprachlich orientiert sich Leonie Swann erneut sehr an ihren Hauptfiguren, erzählt Garou also meist in einer einfachen Sprache, die aber auf Grund der verqueren Denkweisen der Schafe und der Wortbezüge in ihren Deutungen durchaus zum Mitdenken einlädt. Vor allem aber wirkt der Roman dadurch authentisch, auch weil sich Swann in ihrem Stil bis zum Schluss treu bleibt. Dass sie viel Detailarbeit mit einfließen lässt, merkt man gerade in den letzten Kapiteln, wenn sie manche von den Schafen getroffene Namen für Dinge oder Personen als Allegorien auflösen, die man so nicht vermutet hätte. Das macht den Roman für Interessenten nicht nur sehr lesenswert, sondern sogar etwas ausgefeilter wie Glennkill seinerzeit. Mit einer Auflösung, an der alle Schafe hätten mitwirken können, wäre Swann vielleicht noch ein packenderes Buch gelungen. Als Schaf-Thriller überrascht Garou mit frischen Ideen, einem unverkennbaren Ambiente und Figuren, die so drollig wie wollig geraten sind.
Fazit:
Wer angesichts des Romanuntertitels zweifelt, wie sich ein Schaf-Thriller denn gestaltet, dem sie versichert, Leonie Swann ist es gelungen, einen solchen zu erzählen. Eine bedrohliche Stimmung baut sich im Nu um die umgesiedelten Glennkill-Schafe auf. Sie sehen sich Schurken auf verschiedenen Seiten gegenüber. Ein Werwolf scheint angesichts eines mörderischen Duos sogar das geringere Übel zu sein, von dem schrecklichen Geheimnis, das die Vergangenheit ihrer Weide umgibt einmal abgesehen. Diese verzwickte Geschichte aus der Sicht von Miss Maple und ihren Mitschafen zu erzählen, ist keine geringe Aufgabe. Garou hat mich zugegebenermaßen eingangs überraschend schnell das Flair Glennkills spüren lassen, doch fesselte mich der Roman in der zweiten Hälfte mehr durch die Aufgaben, die vor den Schafen lagen.
Sie alle verhalten sich schafsgerecht und ihren Eigenschaften entsprechend. Sie lösen ein Rätsel, das ihnen ganz persönlich auf den Pelz rückt und kommen dabei durch viele Umwege zu einem Ziel, das über weite Strecken unabsehbar bleibt. Charmant und witzig richtet sich Garou an eine jugendliche und erwachsene Leserschaft. Dabei geht es durchaus mehr zur Sache als im ersten Buch und wer sich auf mehr Schaf-Action freut, kommt ebenso auf seine Kosten, wie wer einen skurrilen Krimi in authentischem Winterambiente erwartet – aus einer einzigartigen Schafsperspektive erzählt.