Belfast [2021]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 10. Januar 2022
Genre: DramaOriginaltitel: Belfast
Laufzeit: 98 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Kenneth Branagh
Musik: Van Morrison
Besetzung: Jude Hill, Caitríona Balfe, Jamie Dornan, Judi Dench, Ciarán Hinds, Lewis McAskie, Colin Morgan, Lara McDonnell, Gerard Horan, Conor MacNeill, Turlough Convery, Gerard McCarthy, Olive Tennant, Victor Alli, Josie Walker, Vanessa Ifediora
Kurzinhalt:
Am 15. August 1969 findet sich der neunjährige Buddy (Jude Hill), der mit seiner protestantischen Familie in einem Stadtgebiet Belfasts lebt, in dem überwiegend die katholische Minderheit beheimatet ist, mitten in einem Angriff protestantischer Nordiren wieder, die Autos zerstören und Häuser verwüsten, um die Katholiken einzuschüchtern und zu vertreiben. Buddys Mutter (Caitríona Balfe) kann ihn und seinen älteren Bruder Will (Lewis McAskie) zwar ins Haus holen und als Protestanten sollten sie grundsätzlich sicher sein, doch die Unruhen ziehen auch eine Präsenz des Militärs nach sich. Unterdessen wird Buddys Vater (Jamie Dornan), der unter der Woche in England arbeitet, von Billy (Colin Morgan), dem Anführer der Protestanten, aufgefordert, sich zu ihnen zu bekennen und sie aktiv zu unterstützen. Für Buddys Vater ist klar, dass er mit seiner Familie zu ihrer aller Sicherheit fortziehen müsste, doch Buddys Mutter ist dagegen. Auch Buddys Großmutter (Judi Dench) und Großvater (Ciarán Hinds), die unweit entfernt wohnen, wird man kaum zum Wegziehen bewegen können …
Kritik:
In seiner jüngsten Regiearbeit Belfast nimmt Filmemacher Sir Kenneth Branagh das Publikum mit auf eine Reise ins Jahr 1969 in die Titel gebende, nordirische Hauptstadt. Er erzählt dort eine Geschichte, die so persönlich wirkt, als würde er mehr als ein Einblick in seine eigenen Erfahrungen geben. Vor dem Hintergrund der Unruhen ist dies ein Porträt der Menschen jener Stadt zu jener Zeit. Nicht verurteilend, aber mit einer geradezu greifbaren Empathie, die über die Leinwand springt.
Branagh selbst wurde in Belfast geboren, ehe er mit seiner Familie im Alter von neun Jahren nach England zog. Sein grundsätzlich in schwarzweiß gehaltener Film wird mit Aufnahmen in Farbe des heutigen Belfast eingeleitet, ehe die Geschichte zum 15. August 1969 wechselt. In deren Zentrum steht die Familie des neunjährigen Buddy, bemerkenswert verkörpert von der Nachwuchsentdeckung Jude Hill. Es ist ein unschuldiger, fröhlicher Freitagnachmittag mit spielenden Kindern in dieser Nachbarschaft, in der überwiegend Katholiken wohnen. Bis sich Buddy in der Straße einem Mob gewalttätiger Protestanten gegenübersieht, die die Siedlung in ein Kriegsgebiet verwandeln. Wände werden beschmiert, Fenster eingeworfen und Häuser wie Autos in Brand gesteckt. Es ist ein Konflikt zwischen der protestantischen Mehrheit und der katholischen Minderheit, der seit Generationen zu Gewalt führt. Buddys Familie selbst ist ebenfalls protestantisch und sein Vater, „Pa“, wird von einem der Anführer der Gewalt schürenden Protestanten unter Druck gesetzt, sich entweder den Protesten anzuschließen, oder zu bezahlen.
Auch wenn nicht alle Momente nur aus seiner Sicht geschildert sind, ist Belfast doch aus Buddys Perspektive erzählt, dessen Vater auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit in Nordirland in der Nähe von London arbeitet und nicht jedes Wochenende nach Hause kommt. Dort wächst Buddy mit seinem Bruder Will bei seiner Mutter „Ma“ und den Großeltern „Granny“ und „Pop“ auf. Sein Großvater, früher Minenarbeiter, dem inzwischen die Lunge Probleme bereitet, ist für Buddy eine starke Bezugsperson, mit der er sich hinsichtlich der Schule oder auch Mädchen austauscht. Die Art und Weise, wie das Drehbuch, das Kenneth Branagh ebenfalls verfasste, diese Zusammenhänge vorstellt, ist meisterlich. In gerade einmal eineinhalb Stunden vermittelt er den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht nur den Aufbau dieser Familie, sondern auch dieser Gemeinschaft selbst.
Es ist eine eng verwobene Nachbarschaft, die ein Zusammengehörigkeits- und Heimatgefühl besitzt, dessen Anziehung Belfast hervorragend und spürbar zur Geltung bringt. So kann man Buddys Mutter verstehen, die in ihrer Heimat bleiben möchte, während sein Vater feststellt, „wir wohnen in einem Kriegsgebiet“. Erst überlegt er, nach Kanada oder Australien auszuwandern, bis er aus Sorge um seine Familie, seine Kinder, ein Angebot wahrnehmen möchte, für seinen Arbeitgeber nach England zu ziehen. Geradezu beiläufig schildert der Filmemacher dabei das Familienleben dieses Ehepaares, das tägliche Nachtwachen und Checkpointkontrollen beim Verlassen und Betreten der Siedlung als Normalität zu akzeptieren scheint, das sich trotz der Bedrohung für ihr Leben, und sei es nur im Kreuzfeuer, auch wenn die protestantischen Angreifer „ihresgleichen“ nicht verletzen wollen, darum sorgt, dass sie einer Steuernachzahlung nicht nachkommen können. Selbst, wenn ihre eigene Ehe auf Grund Pas weit entfernter Arbeit in einer Krise steckt.
Branagh legt in gewisser Weise ein Zeitzeugnis ab, ein Porträt jener Figuren, bei dem man mit ihnen ebenso mitfühlt, wie man mit ihnen lacht und sich freut. Trotz einiger beklemmender Erfahrungen, die Buddy macht, trotz Schicksalsschlägen, hat man bei Belfast oft ein Lächeln auf den Lippen. Das liegt auch an der Besetzung, bei der Ciarán Hinds und Judi Dench als Großelternpaar eine Herzlichkeit versprühen, dass man sich dem kaum entziehen kann. Hinds als Buddys Ersatzvater in gewisser Weise, wirkt so charismatisch wie weise, als habe er sich mit den Unruhen, die Nordirland prägen, schon lange arrangiert. Judi Denchs Blicke, die mehr aussagen, als eine Seite an Dialogen, bedürfen keiner weiteren Ausführung. In der Rolle von Buddys Mutter zeigt Caitríona Balfe eine starke Darbietung, die eben auch diese Stärke und Zerrissenheit ausstrahlt, während Jamie Dornan sich von seiner Rolle in den Fifty Shades of Grey [2015-2018]-Filmen weiter emanzipiert. Seine ruhige Ausstrahlung als für die Familie weit weg von Zuhause arbeitender Vater, der sich dessen, was er versäumt, sehr wohl bewusst ist, macht seine Stärke aus.
Gekleidet ist dies alles in eine tolle, unmittelbare Optik, die mitunter eher an ein inszeniertes Theaterstück erinnert, mit Aufnahmen, die teils dicht an den Figuren sind und nur selten die Stadt insgesamt zeigen oder aber die Perspektive der Personen verlassen. Untermalt von stimmungsvoller Musik des nordirischen Musikers Van Morrison, erzeugt Belfast so eine einnehmende Atmosphäre und besitzt eine Identität, die nachwirkt. Es mag sein, dass nicht alle Szenen ihre volle Wirkung entfalten, wie die harsche Predigt des Priesters, dessen Bild einer Weggabelung Buddys Verständnis dessen, was passiert, prägt. Und so gelungen die Idee einer strebsamen, katholischen Mitschülerin Buddys ist, in die er ein wenig verschossen ist, wie eine mögliche Zukunft mit ihr ihn beschäftigt, wirkt, als wäre der Film um eine klärende Botschaft am Ende bemüht. Doch dies sind Kleinigkeiten, die die Wirkung von Branaghs Erzählung nicht dämpfen.
Fazit:
Nicht zuletzt mit seiner Widmung am Ende „Für die, die blieben. Für die, die gingen. Und für diejenigen, die verloren wurden“, wirkt Belfast wie mehr als nur wie eine persönliche Geschichte für Autor und Regisseur Kenneth Branagh. Es ist, als würde er sein Publikum auf eine zum Leben erweckte Erinnerung einladen, es einweihen in seine ganz persönliche Erfahrung. Dem beizuwohnen fühlt sich an wie ein Privileg. Anstatt die Hintergründe dieses eine gefühlte Ewigkeit dauernden Konflikts zu analysieren, vermittelt das überraschend unterhaltsame Drama, wie es sich damals wenigstens für ihn angefühlt haben muss. Ein ruhiger, nicht verklärender Blick auf jene Zeit, aus der Perspektive eines neunjährigen Jungen, dessen Welt vor ihm in Flammen aufging und in Trümmern lag, und in der doch die heiteren Momente überwogen. Dies ist ein starker Film, getragen von einer fantastischen Besetzung. Ein Porträt und ein Denkmal gleichermaßen.