Die Mitchells gegen die Maschinen [2021]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 25. Juli 2021
Genre: Animation / Komödie / Science Fiction

Originaltitel: The Mitchells vs the Machines
Laufzeit: 113 min.
Produktionsland: USA / Kanada / Hongkong
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Michael Rianda, Jeff Rowe
Musik: Mark Mothersbaugh
Stimmen: Abbi Jacobson (Lea Kalbhenn), Danny McBride (Matti Klemm), Maya Rudolph (Anna Grisebach), Michael Rianda (Oskar Hansch), Eric André (Tobias Schmidt), Olivia Colman (Claudia Urbschat-Mingues), Fred Armisen (Rainer Fritzsche), Beck Bennett (Tobias Müller), Chrissy Teigen (Nadine Warmuth), John Legend (Sascha Krüger), Charlyne Yi (Alma van Cauwelaert), Blake Griffin, Conan O’Brien (Julien Haggège), Doug the Pug, Madeleine McGraw (Bonny von Lenski)


Kurzinhalt:

Katie Mitchell (Abbi Jacobson / Lea Kalbhenn) hat den Tag kaum erwarten können, an dem sie endlich von Zuhause ausziehen und in Kalifornien an der Filmschule studieren kann. Der Abschied fällt ihr nicht schwer, denn sie fühlt sich von ihren Eltern, vor allem ihrem Vater Rick (Danny McBride / Matti Klemm), seit Langem nicht mehr verstanden. Durch ihre Kurzfilme, die sie im Internet hochlädt, versucht sie, sich auszudrücken, verbringt viel Zeit mit ihrem jüngeren Bruder Aaron (Michael Rianda / Oskar Hansch), aber wäre es nicht um Katies Mutter Linda (Maya Rudolph / Anna Grisebach), die um den Familiensegen bemüht ist, hätte es vermutlich bereits früher gekracht. Aber anstatt Katie einfach zum Flughafen zu bringen, entscheidet Rick, es wäre eine gute Idee, wenn die ganze Familie Katie im Rahmen eines Road Trips zur Filmschule bringt. Während sie auf dem Weg sind, stellt der Techkonzernchef Mark (Eric André / Tobias Schmidt) sein neuestes Produkt vor: Roboter, die als Haushaltshelfer den Menschen zur Hand gehen sollen. Dabei hat er seine Rechnung ohne die Künstliche Intelligenz PAL (Olivia Colman / Claudia Urbschat-Mingues) gemacht und als die Roboter beginnen, die Menschheit gefangen zu nehmen, liegt es an den Mitchells und ihrem Hund Monchi (Doug the Pug), die Welt zu retten …


Kritik:
Nach mehreren Kinostartverschiebungen auf Grund der Corona-Pandemie erschien der jüngste Animationsfilm von Sony Pictures Animation, Die Mitchells gegen die Maschinen, vor Kurzem nicht mehr im Kino, sondern direkt bei der Streamingplattform Netflix. So schön es auf der einen Seite ist, dass er nun einem größeren Publikum zugänglich gemacht wird, so bedauerlich ist es, dass eines der einfallsreichsten, mutigsten und herausstehendsten Animationsabenteuer der letzten Jahre nicht auf der großen Leinwand zu sehen sein wird. Was Filmemacher Michael Rianda mit seinem Ko-Regisseur Jeff Rowe hier gelingt, kann man gar nicht genug empfehlen.

Im Zentrum steht die Titel gebende Familie Mitchell, wobei Tochter Katie die Geschichte auch erzählt. So innig ihr Verhältnis zu ihrem bodenständigen Vater Rick früher war, nun, da sie ihren Traum wahrmachen und auf eine Filmschule in Kalifornien gehen kann, ist sie froh, ihr Zuhause endlich verlassen zu können. Sie hat das Gefühl, seit ihren Teenagerjahren nicht mehr verstanden zu werden, interessiert sich für Film und Kunst, dreht Kurzfilme und veröffentlicht sie im Internet, während ihr Vater beständig Ausreden findet, sie sich anzusehen. Ihr kleiner Bruder Aaron, fasziniert von Dinosauriern, ist ihr bester Freund, während ihre Mutter Linda darum bemüht ist, den Hausfrieden zu wahren. Nicht einfacher wird das durch die perfekt gestylten und ihr idyllisches Familienleben auf allen Social-Media-Kanälen publizierenden Nachbarn, den Poseys, deren Hund sogar perfekt ist, im Gegensatz zum Hund der Mitchells, Monchi, der Star von Katies Videoreihe, bei dem aber beide Augen ständig in unterschiedliche Richtungen blicken. Die Mitchells selbst halten sich für seltsam und vielleicht auch keine normale Familie, doch sie sind gefordert, als Roboter die Erde über- und die Menschheit gefangen nehmen und der ungewöhnlichen Familie liegt, die Welt zu retten.

Das klingt absurd? Und wie, aber es ist mit einem derartigen Tempo und so viel Humor dargebracht, dass dies keinen Moment lang stört. Was als erstes bei Die Mitchells gegen die Maschinen auffällt, ist der Stil, mit dem die Verantwortlichen ihre Geschichte erzählen. Anstatt einzig auf bekannte, moderne Computeranimationen zu setzen, entwickeln Rianda und Rowe einen einzigartigen und unverwechselbaren Look, bei dem die Hintergründe teils aussehen, als wären sie einem Aquarell gleich gemalt, während die Figuren modern animiert sind, und dabei mit klaren Strichen und Kanten an handgezeichnete Animationen erinnern. Hinzu kommen teilweise eingeblendete Realaufnahmen und kleine Elemente wie Herzen, Sterne oder Regenbogen in Zeichentrickstil (die oftmals die Gefühlswelt der Figuren ausdrücken), so dass der Film mitunter aussieht wie ein zum Leben erwecktes Scrapbook. Zusammen mit den vielen Anspielungen sowohl bei den jeweiligen Szenen als auch der Story selbst, sprühen die Bilder über vor einer Kreativität, die man in vielen anderen Animationsfilmen der letzten Jahre zusehends vermisst.

Dies so umzusetzen, ist gleichzeitig überaus mutig, da insbesondere in der westlichen Gesellschaft Animationsfilme oft mit Kinderfilmen gleichgesetzt werden und diese zu dem andersartigen Stil nur schwer Zugang finden werden. Vor allem werden sie die vielen, vielen Anleihen und Kommentare, die hier einem regelrechten Feuerwerk gleich präsentiert werden, kaum verstehen. Sei es, wenn der Leiter des weltumspannenden Technologiekonzerns zum Besten gibt, dass es wohl keine gute Idee war, eine übermächtige, künstliche Intelligenz zu erschaffen und mit den privaten Informationen der Menschen auf der Welt zu füttern – dass der Techkonzern-Chef Mark heißt und seine Produktpräsentation nicht nur Elemente von Instagram und Facebook, sondern auch Google und Apple beinhaltet, ist wohl kein Zufall. Oder wenn die Menschen in Die Mitchells gegen die Maschinen für kostenfreies WLAN bereit sind, ihre persönliche Freiheit zu opfern (eine Anspielung darauf, dass freie Netzwerke meist mit dem Verlust der Kontrolle über die eigenen Daten einhergehen). Das klingt thematisch überaus schwer und ernst, doch spätestens, wenn sich smarte Heimgeräte oder Furbys gegen die Mitchells stellen, kann man gar nicht anders, als loszulachen.

Die vielen Details, bis hin zur Autokorrektur, wenn Katie auf ihrem Handy etwas eintippt, runden diese Welt auf eine solch gelungene Weise ab, dass man sich dem Charme der Figuren kaum entziehen kann. Dank des immens hohen Erzähltempos vergehen die beinahe zwei Stunden wie im Flug, wobei ein älteres Publikum die zahlreichen Hommagen, sei es hinsichtlich des Designs an Tron [1982] oder an 2001 - Odyssee im Weltraum [1968] und den Computer HAL 9000 wird entdecken können. Der wahre Star ist dabei der Hund der Mitchells, Monchi, mit Auftritten, die in Erinnerung bleiben. Dass die Geschichte gleichzeitig nicht den menschlichen Kern aus dem Blick verliert und am Ende persönliche und wichtige Aussagen trifft, ist nicht nur schön, sondern sorgt für einige der berührendsten Momente.
Dies ist ein rundum gelungener, toller Familienfilm, der für das ganz junge Publikum etwas zu viel sein dürfte.


Fazit:
Mit den verschiedenen Stilrichtungen, der teilweise sprunghaft erscheinenden Erzählung und den ausladenden Settings, Rückblenden und Einfällen scheint es, als hätten die Verantwortlichen um die Regisseure Michael Rianda und Jeff Rowe ihrer Kreativität vollkommen freien Lauf lassen dürfen. So etwas kann schrecklich schief gehen, aber hier ist dies so fantastisch gelungen, dass es einem bisweilen beinahe den Atem raubt. Und sei es nur, weil man gar nicht aufhören kann zu lachen, in Anbetracht des regelrechten Gag-Feuerwerks und selbst dann, wenn die Actionmomente teilweise so schnell dargebracht sind, dass sie gar schon ins Stolpern geraten. Doch trotz der wunderbar bunten und vielseitigen Präsentation, behält die Geschichte ihren menschlichen Kern einer vielleicht gar nicht mal so „unnormalen“ Familie im Blick. Das ist charmant und mit einer einzigartigen, detailverliebten Handschrift erzählt, so dass die vielen unterschiedlichen Aspekte ebenso toll zur Geltung kommen wie beispielsweise Details, dass die Hauptfigur Teil der LGBT-Community ist. Die Mitchells gegen die Maschinen ist einer der einfallsreichsten, vor Ideen und Mut übersprühendsten Animationsfilme der letzten Jahre, der doch insoweit handwerklich klassisch erzählt ist, dass alles vorgestellt wird, was es braucht, um die Story zu einem Abschluss bringen zu können. Rasant und mit viel Herz dargebracht, ist es eine Freude, hier zuzusehen, selbst wenn ein ganz junges Publikum nur wenig davon verstehen wird.