The House At Night [2020]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 30. Oktober 2021
Genre: Horror / Drama

Originaltitel: The Night House
Laufzeit: 107 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: David Bruckner
Musik: Ben Lovett
Besetzung: Rebecca Hall, Sarah Goldberg, Vondie Curtis-Hall, Evan Jonigkeit, Stacy Martin, David Abeles, Christina Jackson, Patrick Klein, Crystal Swann, Catherine Weidner, Laura Austin, Jacob Garrett White, Samantha Buck


Kurzinhalt:

Nachdem ihr Mann Owen (Evan Jonigkeit) sich ohne Vorwarnung oder Erklärung das Leben genommen hat, steht Beth (Rebecca Hall) vor dem Nichts. Nichts kann ihr begreiflich machen, weshalb Owen sich das angetan hat und nichts kann die Leere füllen, die sie verspürt. Alpträume plagen sie und Visionen in dem Haus am See, das Owen selbst gebaut hat. Beths Freundin Claire (Sarah Goldberg) versucht ebenso zu helfen, wie der Nachbar Mel (Vondie Curtis-Hall), doch beide finden keinen Zugang zu ihr. Stattdessen spürt Beth immer stärker eine Präsenz in dem Haus, vor allem nachts, als wäre Owen bei ihr. Als sie seine Habseligkeiten verpackt, wird sie auf Fotos aufmerksam und auf Bücher, von denen sie nicht wusste, dass Owen sie besaß. Entschlossen, dem auf den Grund zu gehen, forscht Beth weiter und stößt auf verstörende Geheimnisse …


Kritik:
David Bruckners The House At Night, dessen Originaltitel The Night House weitaus passender gewählt ist, ist ein Film, dessen Inhalt man insbesondere im letzten Drittel auf verschiedene Weisen interpretieren kann. Sie alle haben ihre Berechtigung und auch ihre Stärken. Und es ist nur ein Grund, weshalb dieses ruhig erzählte, atmosphärische Horrordrama so gelungen ist. Anstatt mit blutigen, brutalen Einstellungen zu schockieren, rückt die Geschichte die Dunkelheit in uns selbst ins Zentrum, die weitaus beunruhigender ist.

Erzählt aus der Perspektive der Lehrerin Beth, deren Ehemann sich gerade das Leben genommen hat, steht sie zu Beginn vor den Trümmern ihres Lebens. Das Haus am See hatte ihr Mann Owen entworfen und gebaut und wie wenig sie mit seinem Tod abgeschlossen hat, hört man bereits daran, dass sie von ihm immer noch in der Gegenwart spricht. Sei es mit ihrer Freundin Claire oder dem Nachbarn Mel. Ohne Vorwarnung war Owen in ein Ruderboot gestiegen, auf den See hinausgefahren und hatte sich erschossen. Sein kurzer Abschiedsbrief enthält keine Erklärung, er endet mit dem Satz, dass sie nun in Sicherheit sei. In der Rolle der Beth gelingt es Rebecca Hall durch eine packend nuancierte Darbietung, die verschiedenen Facetten des Gefühlschaos hervorzubringen, die sie nach der Tragödie zunehmend einnehmen und die sie versucht, im Alkohol zu ertrinken. Ihre verzweifelte Trauer wird immer wieder überlagert durch eine kaum zu bändigende Wut auf Owen und seine Tat, und durch das Bedürfnis, all das verstehen zu können, was sie in völlige Verzweiflung stürzt.

Kurz nach Owens Tod suchen Alpträume Beth heim, die sich so real anfühlen, als würde sie schlafwandeln. Sie hört Geräusche, hat Visionen einer Präsenz in diesem Haus und findet auf dem Handy ihres Mannes Bilder, die eine andere Frau zeigen. So beginnt sie, Nachforschungen anzustellen, die nur noch mehr Fragen aufwerfen und Geheimnisse zutage fördern. In welche Richtung sich The House At Night dabei entwickelt, sei nicht verraten, es ist eben diese Unvorhersehbarkeit, die den Reiz der Erzählung ausmacht. Insoweit kann man Bruckners Film so auslegen, dass die übernatürliche Präsenz, die Beth wahrnimmt, die in der Nacht die Stereoanlage anschaltet, die vielleicht sogar für die Alpträume unmittelbar verantwortlich ist, wirklich existiert. Womöglich ist sie auch nur eine Manifestation der Ahnungen, die Beth über ihren Ehemann hatte, sich aber nie eingestand.

Insbesondere das letzte Drittel und das Finale hinterlassen sogar einen bedeutenderen Eindruck und ergeben mehr Sinn, wenn man das Gezeigte in die wirklichen Geschehnisse und das unterteilt, was im Inneren der Protagonistin geschieht. So entpuppt sich The House At Night als eine Geschichte über Trauer und Depression, darüber, wie man den Tod eines geliebten Menschen verarbeitet – oder eben nicht. Dies in einen Horrorthriller zu verpacken, ist eine ebenso ungewohnte wie mutige Entscheidung. Sie funktioniert gleichermaßen dank der erstklassigen Darbietung im Zentrum und der herausragenden handwerklichen Präsentation. In ruhigen Bildern eingefangen, die oftmals Spiegelungen zeigen, setzt David Bruckner nicht auf laute Erschreckmomente. Stattdessen verharrt er mit der Kamera bei Beth, versetzt das Publikum an ihre Seite, wenn sie nachts aufwacht, weil ein Geräusch in dem leeren Haus sie aufweckt. Wenn sie den Wald erkundet oder das Boot am See. Wir erleben, was geschieht, gewissermaßen aus ihrer Perspektive und versuchen wie sie, alledem einen Sinn zu verleihen. Dass das Drehbuch dabei nicht zu einfachen Auswegen greift, eine Person vorstellt, mit der sich Beth ständig austauscht, ist eine lobenswerte Entscheidung.

Anstatt jede Aktion zu erklären, was Beth vorhat, welche Richtung sie bei ihren Nachforschungen erfolgt, bleibt Vieles bei The House At Night unausgesprochen und für ein aufmerksames Publikum selbsterklärend. Zu sehen, wie Beth Schicht für Schicht des Lebens abträgt, das sie glaubte, geführt zu haben, mitzuerleben, wie ihre Welt immer weiter zusammenbricht, ist bedrückend und in tollen Bildern einnehmend dargebracht. Statt den Fokus auf Umrisse und Bewegungen zu lenken, sollen die Zuschauerinnen und Zuschauer diese selbst entdecken. Man bekommt ein Gespür für dieses Haus, wo sich welche Räume befinden und wo sich Beth aufhält, wenn die Visionen sie heimsuchen. Erstklassig präsentiert, ist das unheimlicher und mitreißender, als viele Horrorfilme der vergangenen Jahre.


Fazit:
Den Tod eines geliebten Menschen zu verarbeiten, ist immer schwer, wenn überhaupt möglich. Hat sich dieser Mensch selbst das Leben genommen, stürzt dies Hinterbliebene mitunter selbst in Depressionen. So lässt sich interpretieren, was Hauptfigur Beth in David Bruckners Drama in ihrer Trauer widerfährt. Es verleiht dem Geschehen, gerade im letzten Akt, eine Bedeutung auf mehreren Ebenen, die alle für sich bestehen können, selbst wenn andere Interpretationen möglich sind. Die unheimliche, stimmungsvolle Musik untermalt eine Geschichte, die tief in die Finsternis der menschlichen Seele blickt. Die beunruhigende Atmosphäre wird durch eine exzellente Optik eingefangen und durch eine zentrale Darbietung von Rebecca Hall veredelt, die greifbarer kaum sein könnte und eine der besten des vergangenen Jahres ist. Ob das Finale so viele Erklärungen hätte bieten müssen, sei dahingestellt und auch die übernatürlichen Momente scheinen hier etwas viel. Doch das ändert nichts daran, dass The House At Night einer der einfallsreichsten und durch die genreübergreifende Erzählung mutigsten Filme der vergangenen Jahre ist, der sein Publikum sowohl emotional mitnimmt als auch zum Mitdenken auffordert. Selbst, wenn Vieles am Ende offen bleiben.