The Empty Man [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. Juni 2022
Genre: Horror / Thriller

Originaltitel: The Empty Man
Laufzeit: 137 min.
Produktionsland: USA / Südafrika
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: David Prior
Musik: Christopher Young, Brian Williams (als Lustmord)
Besetzung: James Badge Dale, Marin Ireland, Stephen Root, Ron Canada, Robert Aramayo, Joel Courtney, Sasha Frolova, Evan Jonigkeit, Virginia Kull, Samantha Logan, Jessica Matten, Phoebe Nicholls, Aaron Poole, Owen Teague


Kurzinhalt:

Seit einem persönlichen Verlust vor einem Jahr ist der ehemalige Undercover-Polizist James Lasombra (James Badge Dale) mit sich selbst beschäftigt. Doch als Amanda (Sasha Frolova), die Tochter seiner Nachbarin Nora (Marin Ireland), verschwindet und in ihrem Zimmer mit Blut an der Wand geschrieben steht, „Der Empty Man hat mich dazu gezwungen“, beginnt James zu ermitteln. Amandas Mitschülerin Davara (Samantha Logan) verrät ihm hierzu die Empty Man-Legende, denn sie ist als einzige aus Amandas Freundeskreis nicht ebenfalls unauffindbar. Doch dann werden die ersten Leichen entdeckt und als James auf das „Pontifex Institut“ aufmerksam wird, sieht er sich mit einem so unheimlichen wie weitläufigen Kult konfrontiert, dass Amandas Aufenthaltsort beinahe nebensächlich wird. Denn nicht nur, dass Arthur Parsons (Stephen Root), der Anführer des Instituts, James zu kennen scheint, James selbst glaubt zunehmend, selbst in das Visier des Empty Man geraten zu sein …


Kritik:
Nach vielen Jahren im Filmgeschäft in zahlreichen Funktionen und einer Reihe von Kurzfilmen sowie Hintergrunddokumentationen präsentiert David Prior mit The Empty Man seinen ersten Spielfilm. Der lag beinahe zwei Jahre nach Fertigstellung beim produzierenden Studio in der Schublade, offenbar, weil man nicht wusste, wie man den ungewöhnlichen Genrefilm vermarkten sollte. Dabei entpuppt sich der Horror-Thriller trotz einiger Schwächen als überaus gelungen, mit einer dichten Atmosphäre, die nachwirkt.

Basierend auf dem Graphic Novel The Empty Man [2014, 2018-2019] von Cullen Bunn, beginnt die Geschichte im Jahr 1995 im Ura-Tal in Bhutan, wo vier Freunde eine Wanderung unternehmen. Was anschließend mit ihnen geschieht, sollte das Publikum für sich selbst herausfinden. Bereits früh etabliert Prior eine unheimliche wie unheilvolle Stimmung, die nicht von lauten Geräuschen hervorgerufen wird, sondern von subtilen Bewegungen, Schatten, die mehr zu sein scheinen als nur das, und von einem Gefühl, dem, was geschieht, nicht entkommen zu können. Nach dem überraschend langen Prolog springt die Erzählung ins Jahr 2018 nach Missouri, wo der ehemalige Polizist James Lasombra ein Jahr nach einem schrecklichen Verlust weiter unter seiner Trauer erdrückt zu werden droht. Seine Nachbarin Nora wendet sich an ihn, da ihre Tochter Amanda offenbar weggelaufen ist und sich in ihrem Zimmer mit Blut an der Wand der Satz findet, „Der Empty Man hat mich dazu gezwungen“. So beginnt James, parallel zu den polizeilichen Ermittlungen, der Sache nachzugehen. Dabei findet er nicht nur heraus, was es mit der urbanen Legende des Empty Man auf sich haben soll, sondern dass Amanda offenbar in die Fänge des Kults des „Pontifex Institut“ geraten ist – in dessen Zentrum ebenfalls der Empty Man steht.

Wer oder was also ist der Empty Man? Ohne zu viel zu verraten, kann man nur die Grundregeln der Legende wiederholen, die auch auf dem Filmplakat zu lesen waren: Die besagen, dass man nachts, wenn man auf einer Brücke eine leere Flasche findet, hineinpusten und dabei ganz fest an den Empty Man denken soll. In er ersten Nacht hört man ihn dann. In der zweiten Nacht sieht man ihn. Und in der dritten Nacht findet er einen. Diese Erläuterungen sind vage genug, damit man sich Vieles darunter vorstellen kann, aber sie sind, zusammen mit der tollen Klangkulisse von The Empty Man, auch erstaunlich effektiv. Anstatt sein Publikum mit von Beginn an mit blutigen Horroreinlagen überraschen zu wollen, nimmt sich Filmemacher Prior die Zeit, die Atmosphäre seines Films durch eine fantastisch-düstere Optik aufzubauen. Die erinnert hinsichtlich der Perspektiven und Kontraste zwischen hellen und dunklen Elementen oftmals an David Fincher, was auch daran liegen mag, dass David Prior an einigen Produktionen des Oscarpreisträgers beteiligt war. Das dramaturgische Highlight des Films ist James’ nächtliche Recherche beim Kult des Pontifex Instituts, die dazu führt, dass er von dessen Mitgliedern im Wald verfolgt wird. Der Aufbau jener Sequenz ist hervorragend gelungen. Dasselbe gilt auch für die musikalische Begleitung, die durch die basslastigen, zurückhaltenden Themen ein Gefühl des Unwohlseins hervorruft.

In diesen handwerklichen Aspekten überzeugt The Empty Man durchaus, was aber nicht ganz aufwiegen kann, dass der Horror-Thriller mit deutlich mehr als zwei Stunden länger ist, als er sein müsste. Vor allem aber ergeben manche Elemente, darunter auch die Grundregeln der Empty Man-Legende, bei genauerem Hinsehen keinen Sinn, oder aber sie werden nicht konsequent angewandt. Zwar findet das Drehbuch von Prior am Ende eine Auflösung, mit der sich manch inhaltliche Ungereimtheiten erklären ließen, doch lässt die zahlreiche offene Fragen zurück. So hat man am Ende zwar James’ Suche nach Antworten begleitet und sogar Antworten erhalten, doch ein Gefühl, die Geschehnisse wirklich verstanden zu haben, stellt sich dennoch nicht ein. Ein Teil des Publikums wird vermutlich so weit gar nicht kommen, da der unerwartet ruhige, bedächtige Aufbau der Erzählung eine gänzlich andere Herangehensweise darstellt, als ihn viele Horror-Produktionen heutzutage wählen. Doch das ist kein Kritikpunkt, ganz im Gegenteil.


Fazit:
Lange Zeit fragt man sich, wie sich die örtlich wie zeitlich losgelöste Vorgeschichte in die Ereignisse um James Lasombra und seine Suche nach Amanda einfügt. Aber nicht nur, dass Filmemacher David Prior den Bogen hier schlägt, er erschafft eine so düstere wie faszinierende Mythologie, deren größten Schwachpunkte lediglich sind, dass sie zu viel zu erklären versuchen und diese Ausführungen darüber hinaus nicht vollends Sinn ergeben wollen. Doch das ändert nichts daran, dass der Horror-Thriller gerade auf Grund seiner ungewöhnlichen, ruhigen Herangehensweise eindeutig die ureigene Vision des Filmemachers darstellt, der sie darüber hinaus mit einer unheimlichen, hervorragenden Optik zum Leben erweckt. The Empty Man ist handwerklich ein geradezu überraschend bemerkenswerter Genrefilm, der mit Licht und Schatten meisterhaft jongliert, anstatt den Horror in die Schatten zu verbannen. Zusammen mit einer gelungenen, atmosphärischen Akustik ergibt das gerade in den Szenen, die sich intensiv mit dem Kult beschäftigten, eine beängstigende Stimmung, selbst wenn die Geschichte nicht vollends stimmig erscheint. Nicht nur für ein Spielfilmregiedebüt ist das eindrucksvoll und für Fans des unter die Haut gehenden Horrors definitiv ein Tipp.