Rot [2022]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 2. April 2022
Genre: Animation / Fantasy / Komödie

Originaltitel: Turning Red
Laufzeit: 100 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Domee Shi
Musik: Ludwig Göransson
Stimmen: Rosalie Chiang (Lana Finn Marti), Sandra Oh (Christin Marquitan), Ava Morse (Derya Flechtner), Maitreyi Ramakrishnan (Marie Hinze), Hyein Park (Franziska Trunte), Orion Lee (Florian Clyde), Wai Ching Ho (Marianne Groß), Tristan Allerick Chen (Manik Zidan Gaschina), James Hong, Addie Chandler (Tim Schäcker), Sasha Roiz, Lily Sanfelippo


Kurzinhalt:

Auch wenn die 13jährige Meilin „Mei“ Lee (Rosalie Chiang / Lana Finn Marti) es vor ihren besten Freundinnen Miriam (Ava Morse / Derya Flechtner), Priya (Maitreyi Ramakrishnan / Marie Hinze) und Abby (Hyein Park / Franziska Trunte) anders vorgibt, im Grunde gefällt ihr die Arbeit, die sie nach der Schule in dem von der Familie betriebenen Tempel in Toronto verrichtet. Ihrer strengen Mutter Ming (Sandra Oh / Christin Marquitan) ist dies sehr wichtig und der Bezug zu den Vorfahren nimmt einen großen Platz ein. Doch dann, nachdem sie sich dabei ertappt hat, wie sie von einem Jungen schwärmt, wacht Mei eines Morgens als übergroßer, Roter Panda auf. Mit der Situation und der Veränderung überfordert, erfährt Mei, dass die Frauen in der Familie seit Generationen eine mystische Verbindung mit Roten Pandas haben und sie sich, wenn sie starke Emotionen verspürt, darin verwandeln wird. Da der Panda auch eine finstere Seite hat, soll beim nächsten roten Mond der Panda in einem Ritual verbannt werden. Aber nicht nur, dass ihre Freundinnen Mei so lieben, wie sie ist, ob Panda oder nicht, ihre Verwandlung bietet auch die Möglichkeit, dass alle vier Geld für Konzerttickets einer Boygroup sammeln könnten. Damit stellt sich Mei jedoch gegen die Anweisung ihrer Mutter, die ihr verbietet, das Konzert zu besuchen …


Kritik:
Es wundert nicht, dass so viele Geschichten über das Erwachsenwerden erzählt werden, immerhin ist es ein ebenso elementarer Bestandteil des Lebens, wie unterschiedlich für jede und jeden Einzelnen. Doch eine Geschichte wie diejenige von Regisseurin Domee Shi in dem Animationsfilm Rot, hat das Publikum wahrlich noch nicht gesehen. Anstatt diese körperliche wie geistige Veränderung als Drama zu verarbeiten, packt sie die Erfahrung in eine schrill-bunte Komödie, die erfrischender – und lehrreicher – nur schwer sein könnte.

Angesiedelt im Jahr 2002, als die Filmemacherin und Drehbuch-Koautorin im selben Alter war wie ihre Filmfigur, steht die 13jährige Meilin „Mei“ Lee im Zentrum. Sie wächst in Toronto, Kanada auf und ist nicht zuletzt durch ihre Eltern Ming und Jin stark mit ihren chinesischen Wurzeln verbunden. Die Familie betreibt einen Tempel in der Stadt, in dem Interessierten die Familiengeschichte nahegebracht wird und der auch einen Rückzugsort darstellt. Darin meditieren Bekannte der Familie und auch Mei und ihre Mutter sprechen zu den Geistern ihrer Vorfahren. Mei ist so stark in den Familienbetrieb eingebunden, dass dabei mitunter auch ihre Freundschaft zu Miriam, Priya und Abby leidet. Die eingeschworene Clique ist strebsam und vor allem Mei wird mitunter von Mitschülern wie Tyler gehänselt. Sie sind riesige Fans der Boygroup 4*Town, die in Kürze sogar nach Toronto kommen wird, doch dass Ming ihrer Tochter erlauben wird, ihr erstes Konzert zu besuchen, ist ausgeschlossen. Doch dann, eines Morgens, wacht Mei als ein riesiger, Roter Panda auf und wie ihr offenbart wird, widerfährt dies allen Frauen der Familie, die sich bei starken Emotionen in eine mystische Kreatur verwandeln.

Wofür die Figur des Roten Panda steht, darauf weist Rot selbst hin, wenn Ming noch in Unkenntnis, inwiefern sich ihre Tochter verändert hat, mit mehreren Packungen Damenbinden vor ihr steht. Auch der Originaltitel Turning Red ist eine Allegorie für die Menstruation, ein Thema, das die Hälfte der Weltbevölkerung betrifft und das dennoch meist nur zögerlich angesprochen wird. Es wäre eine Anmaßung zu behaupten, dieser Kritiker wisse, wovon Regisseurin Domee Shi hier erzählt. Die Art und Weise wie sie es tut, die Bilder, die sie findet, mögen Mädchen und Frauen dabei aus der Seele sprechen, sie machen aber auch dem ganzen Publikum begreiflich, welche Veränderungen Mädchen in der Pubertät tatsächlich durchleben. Über Nacht kommt Mei ihr eigener Körper fremd vor, haarig, mit einem Körpergeruch, der nicht ihr eigener scheint und sie ist leichter reizbar als zuvor. Hinzu kommt ein Gefühlschaos, das es ihr überdies schwermacht, sich zu beherrschen. War ihre Vergötterung der Boygroup bislang nur Schwärmerei und der Junge Devon, der von ihren besten Freundinnen angehimmelt wird, nicht mehr als eben ein Junge, lösen sein Anblick und ihre Gedanken an ihn Gefühle aus, die sie nicht einzuordnen vermag. Durch den Roten Panda, in den sie sich bei starken Emotionen verwandelt, werden diese Aspekte für alle sichtbar verkörpert, gebündelt, und auch er hat zwei Seiten. Mei kann in seiner Gestalt unsicher oder fröhlich sein. Oder wütend und ungerecht, so dass sie um sich schlägt und durch ihr Temperament Menschen verletzt, ohne dies zu wollen.

So amüsant es darum auf den ersten Blick ist, wenn sie sich insbesondere das erste Mal, oder aber in der Schule verwandelt, als ihre Mutter sie auf geradezu surreale Weise vor allen anderen blamiert, die Unsicherheit in Meis Augen zu sehen, ihre Angst, nicht zu wissen, was sie am nächsten Tag erwartet, ihr Gefühl, nicht mehr Herrin ihrer eigenen Sinne oder ihres Körpers zu sein, ist für ein älteres Publikum, das diese Zwischentöne wahrnimmt, so bewegend wie durchaus erschütternd. Mei fühlt sich allein, unverstanden und sie zu begleiten, ihr Halt zu geben, wäre das Mindeste, was ihre Mutter Ming tun könnte. Doch durch ihren überstark ausgeprägten Instinkt, ihre Tochter beschützen zu wollen, und ihr strenges Regime, sorgt sie zu Beginn nicht nur für einen höchstpeinlichen Moment für Mei vor Devon, sondern bietet ihr an, den Roten Panda in einem Ritual zu verbannen, damit sie wieder die Tochter wird, die Ming möchte, dass Mei ist. Dass es sich Rot nicht ganz so einfach macht, die Erzählung vom Erwachsenwerden auch das Lossagen der Kinder von den Eltern bedeutet und Ming trotz der Unsicherheiten auf beiden Seiten verstehen muss, dass sie ihre Tochter nicht davor bewahren kann, eine Frau zu werden, ist inhaltlich keine große Überraschung – die Wege, die die Geschichte dafür geht, sind aber kaum vorherzusagen und führen beim überlebensgroßen Finale zu einem Aufeinandertreffen der besonderen Art.

Vor allem aber gelingt es Regisseurin Shi, diese verschiedenen Aspekte der Story mit Fingerspitzen- und Feingefühl herauszuarbeiten, ohne dass diese das Publikum beschweren würden. Das liegt zum einen daran, dass der Rote Panda eine der knuffigsten und putzigsten Figuren ist, die Pixar seit Jahren hervorgebracht hat. Aber auch daran, dass Rot sich der Perspektive einer 13jährigen, aus der die Geschichte erzählt wird, stets bewusst ist. Als Erwachsene würde man bei manchen Dingen, die Mei wichtig sind, den Kopf schütteln, doch aus dem Blick einer Teenagerin wirkt die Animationskomödie erfrischend authentisch. In Meis Alter und aus ihrer Sicht, ist das Verbot ihrer Mutter, das Konzert besuchen zu dürfen, als würde ihre ganze Welt zusammenbrechen und ihre Reaktion damit nur verständlich. Unterstützt wird dies durch eine visuelle Handschrift, die das Spielfilmregiedebüt spürbar von anderen Pixar-Produktionen abhebt. Die schimmernden Augen, Großaufnahmen von Gesichtern mit in Bewegung verharrenden Hintergründen, oder das Design der Charaktere und Szenen im Allgemeinen, sind sichtlich Anime-geprägt. Auch die Farbpalette scheint gänzlich anders zu vorigen Produktionen des Studios. Das ist nicht negativ gemeint, es unterstützt vielmehr den individuellen Look dieser universellen Story. Die eignet sich für ein Publikum über Geschlechter- und Altersgrenzen hinweg, auch – oder gerade weil – es sich nicht wie ein typischer Disney-Film anfühlt.


Fazit:
Strotzt Mei bei ihrem ersten Auftritt noch vor Selbstüberzeugung, bröckelt diese Fassade zuerst, wenn sie sich innerhalb der Familie hinter ihrer Mutter einreiht und bricht vollends zusammen, als sie nach ihrer Verwandlung in den Roten Panda nicht mehr weiß, ob ihre Mutter sie überhaupt noch akzeptiert und sie sich selbst nicht mehr erkennt. Zu sehen, wie sich ihre Figur entwickelt, ist dabei nicht nur schön, sondern für jüngere Zuschauerinnen vielleicht auch ermutigend oder inspirierend. Ältere mögen dabei an ihre eigenen Erfahrungen zurückdenken oder sich vielleicht in der Position von Meis Mutter Ming wiederfinden, die so sehr darum bemüht ist, ihre Tochter zu beschützen, dass sie ihre Entwicklung dabei nicht unterstützt oder fördert. Oder sie wenigstens helfend begleitet. Beim männlichen Teil der Zuschauerschaft weckt Domee Shi durch ihre authentisch greifbare Erzählung auf ebenso witzige wie berührende Weise ein Verständnis nicht nur dafür, welche Transformation Mädchen in der Pubertät durchleben, sondern was die Beziehung von Müttern und Töchtern so stark prägen kann. All dies ist eingebettet in einer liebevoll detailreichen und herzerwärmend feinfühlig erzählten Fantasy-Geschichte, die diese Aspekte ebenso toll zum Ausdruck bringt wie die asiatischen Wurzeln der Figuren und das einzigartige Design. Das macht Rot nicht nur zu einem der sehenswertesten Filme zu diesem Thema, sondern auch zu einem der am leichtesten zugänglichen. Dabei werden sich manche angesichts der eingangs überschwänglichen Energie der Hauptfigur auf den Rhythmus und die Stimmung der Erzählung erst einlassen müssen. Doch das lohnt sich. Klasse!