Onward: Keine halben Sachen [2020]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. Februar 2020
Genre: Animation / Komödie / Fantasy

Originaltitel: Onward
Laufzeit: 103 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Dan Scanlon
Musik: Jeff Danna, Mychael Danna
Stimmen: Tom Holland, Chris Pratt, Julia Louis-Dreyfus, Octavia Spencer, Mel Rodriguez, Ali Wong, John Ratzenberger, Lena Waithe


Kurzinhalt:

Auch wenn Elf Ian (Tom Holland) wie sein älterer Bruder Barley (Chris Pratt) mit den Geschichten aufgewachsen ist, dass es früher Magie in der Welt gegeben haben soll, im Gegensatz zu Barley kann Ian es nicht so recht glauben. An seinem 16. Geburtstag vermisst er seinen noch von seiner Geburt verstorbenen Vater, den er nie kennengelernt hat, noch mehr als ohnehin schon, ist Ian doch nicht so selbstsicher, wie er es gern wäre. Als ihre Mutter Laurel (Julia Louis-Dreyfus) ihnen ein Geschenk ihres Vaters übergibt, trauen sie ihren Augen nicht: Er behauptet, einen Weg gefunden zu haben, für einen Tag zurückkommen zu können, wenn sie mit dem beiliegenden Zauberstab einen Zauberspruch aufsagen. Doch der erste Versuch misslingt und statt ihrem Vater, haben sie nur seine untere Hälfte, Beine und Füße, zurückgebracht. Ihnen bleibt etwas mehr als ein Tag, um ein spezielles Juwel zu besorgen, und den Zauber zu beenden. Barley weiß auch schon, wo sie anfangen müssen, doch der Pfad wird schwierig sein und vor allem Ian auf mehrere Proben stellen …


Kritik:
Um es gleich vorweg zu sagen, Onward: Keine halben Sachen mag nicht der beste Film des Animationsstudios Pixar sein, doch das ist angesichts der vielen hervorragenden Produktionen noch keine wirkliche Wertung. Die Story um zwei Brüder, die in einer Fantasy-Welt auf eine waghalsige Suche gehen, um einen Zauber zu erfüllen, durch den ihr verstorbener Vater für einen Tag von den Toten zurückkehren kann, bietet aber mehr als genug Möglichkeiten, ein unvergleichliches Abenteuer zu erzählen. Nicht weniger ist Filmemacher Dan Scanlon hier gelungen.

Dabei ist das offensichtlichste Merkmal des Films letztendlich das unspektakulärste: Der kurze Prolog stellt eine Welt voller Fabelwesen und magischer Geschöpfe vor, die fröhlich, farbenfroh und lustig war – und es gab Magie darin. Zauberer konnten Feuer und Licht machen, bis die Wissenschaft entdeckt und mit ihr Magie nicht mehr benötigt wurde. So haben sich Elfen, Zyklopen oder Zentauren weiterentwickelt, haben Städte gegründet und Technologie erfunden, und die Magie, ihre Fähigkeiten von einst, vergessen. Barley Lightfoot glaubt noch an Zauberei und kämpft dafür, alte Stätten zu erhalten. Zum 16. Geburtstag erhält sein jüngerer Bruder Ian von ihrer Mutter ein Geschenk überreicht, das ihnen ihr Vater hinterlassen hat. Er war vor Ians Geburt gestorben und selbst Barley hat nur wenige Erinnerungen an ihn. Dabei wünscht sich Ian nichts mehr, als seinem Vater einmal zu begegnen und sich mit ihm austauschen zu können. Ian selbst ist ein normaler Teenager, voller Unsicherheit und Selbstzweifel. Barley hingegen jemand, der vor nichts Angst zu haben scheint, selbst wenn er bislang aus seinem Leben nichts gemacht hat.

Sieht man Ian, der eine Tonbandaufnahme seines Vaters anhört und die verblichenen Fotos auf seiner Pinnwand anschaut, von einem Mann, den er nie kennengelernt hat, der sein Leben aber trotzdem prägt, dann ist das nicht nur berührend, sondern vor allem für ein älteres Publikum auch bedrückend. Doch die erste Stunde von Onward lebt wenig von diesen ernsten Momenten. Es sind die aberwitzigen Ideen, die die Macher in der Darstellung der Fabelwelt finden, die den Animationsfilm über weite strecken prägen. Kleine Feen, die verlernt haben zu fliegen und stattdessen als Motorrad-Gang die Welt unsicher machen, eine geflügelte Mantikor, die als Restaurant-Besitzerin jedes Feuer vermissen lässt, bis sie ihre wahre Natur wiederentdeckt, oder Drachen, die hier als Haustiere gehalten werden – den Machen gelingt es ähnlich wie bei Die Monster AG [2001], die speziellen Eigenheiten dieser mystischen Wesen zu erhalten und sie doch auf eine lustige Weise darzustellen. Oder gar, diese Eigenschaften dadurch erst herauszuarbeiten, dass sie verlernt haben, sie zu nutzen. Ob darin eine Fabel zu sehen sein soll, dass die Menschen sich zu sehr auf Technik konzentrieren, anstatt sich an ihr kulturelles Erbe zu erinnern, sei dahingestellt. Herauslesen kann man es zweifellos.

Die Story verlässt sich dabei auf die sagenumwobene Magie, über die Ians Bruder Barley in Büchern und Brettspielen gelesen und jede Silbe davon verschlungen hat. Das Geschenk, das ihr Vater ihnen hinterlassen hat, ist ein Zauberspruch und ein dazugehöriger Zauberstab. Er hat eine Möglichkeit gefunden, für einen Tag zurückzukehren, wenn sie beides richtig anwenden. Doch dabei geht etwas schief und nur die untere Hälfte ihres Vaters wird zurückgebracht. Ian und Barley bleibt bis zum Sonnenuntergang am nächsten Tag, um ein Phoenix-Juwel zu finden und den Zauber zu beenden, wenn sie ihren Vater noch einmal wiedersehen wollen. Es beginnt das, worauf sich Barley Zeit seines Lebens vorbereitet hat: Eine Abenteuersuche wie in einer Fantasy-Geschichte.

Die wartet mit verschlungenen Wegen, gefährlichen Fabelwesen, Rätseln und Prüfungen für die beiden Elfen auf. Vor allem ist sie handwerklich fantastisch umgesetzt. Erneut finden sich hier Bilder, die mehr an Fotografien denn einen Animationsfilm erinnern und sieht man die vielen Details in der Landschaft, an den Figuren, voluminöse Nebelschwaden oder allein das Sonnenlicht, das eine natürliche Wärme ausstrahlt, als wäre die Szenerie draußen aufgenommen, dann wird deutlich, dass der comicartige Look der Figuren eine bewusste Entscheidung der Filmemacher war. Technisch ist Onward: Keine halben Sachen schlicht beeindruckend und stellenweise mitreißend spannend inszeniert. Hierzu trägt auch die Musik von Jeff und Mychael Danna bei, die einerseits an Folklore und Fantasy erinnert, mitunter aber herrlich atypisch Rock- oder sogar Metal-Elemente verwebt. Allein die Untermalung von Krimhilds (im Original: Gwynivers) letzter Fahrt, Barleys Van, ist schlicht fantastisch. Der Spagat der unterschiedlichen Stile findet sich auch in der Präsentation und der Story selbst wieder, wenn beispielsweise das vermeintlich unschuldigste Fabeltier von allen, das Einhorn, hier als im Müll nach Nahrung suchender Streuner dargestellt wird.
Diese unterschiedlichen Interpretationen der Moderne und der Magie, der Fabelwesen und der Wirklichkeit, zusammenzubringen, ist ein enormes Wagnis. Aber eines, das durchweg gelungen ist. Dass dabei nur wenige Figuren wirklich entwickelt werden, manche Gags weit absehbar sind und man das Gefühl hat, dass vor allem Ians und Barleys Mutter zu wenig zum Zug kommt, verzeiht man den Machern insoweit gern.


Fazit:
So interessant die Ausgangsidee von einer Märchenwelt, die sich durch Wissenschaft und Technik weiterentwickelt hat, auch ist, sie gibt nicht mehr als den Rahmen der eigentlichen Geschichte vor. Die ist in der ersten Hälfte durchweg unterhaltsam und lustig, ist liebevoll und einfallsreich zum Leben erweckt, nicht nur beim Aussehen der Figuren. Nur ist sie nie außergewöhnlich oder in irgendeiner Weise beeindruckend, geschweige denn überraschend. Es ist das letzte Drittel, welches das Publikum mit viel Herz, Fingerspitzengefühl und ebenso tollen wie unerwarteten Aussagen zu den Menschen, die unser Leben prägen, trifft. Wenn es Ian, der sich seit er sich erinnern kann nach seinem Vater sehnt, weil er glaubt, niemandem in seinem Leben zu haben, mit dem er die Dinge, die ihm am wichtigsten sind, teilen kann, wie Schuppen von den Augen fällt, dann ist das pures Pixar-Gold und ebenso herzerwärmend und gelungen tiefsinnig. Die Umsetzung ist gewohnt erstklassig, aber es ist die berührende Botschaft am Ende, die Onward: Keine halben Sachen zum zauberhaftesten Märchen macht, das es seit langem zu sehen gab. Und zu einem tollen Film für die ganze Familie.