Nope [2022]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 4. August 2022
Genre: Horror / Science FictionOriginaltitel: Nope
Laufzeit: 130 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Jordan Peele
Musik: Michael Abels
Besetzung: Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yeun, Brandon Perea, Michael Wincott, Wrenn Schmidt, Keith David, Donna Mills, Barbie Ferreira, Eddie Jemison, Oz Perkins, Devon Graye, Terry Notary, Andrew Patrick Ralston, Jennifer Lafleur
Kurzinhalt:
Nach einem tragischen Zwischenfall muss OJ Haywood (Daniel Kaluuya) die Geschäfte des prestigeträchtigen Familienunternehmens von seinem Vater Otis (Keith David) übernehmen. Seit Generationen sind die von den Haywoods trainierten Pferde in Film- und Fernsehproduktionen zu sehen. Doch ohne die Unterstützung seiner Schwester Emerald (Keke Palmer) kann OJ die Aufträge nicht halten und verkauft notgedrungen zahlreiche Pferde an den Vergnügungsparkbesitzer und ehemaligen Kinderstar Ricky „Jupe“ Park (Steven Yeun). Als sich Emerald entscheidet, über das Wochenende auf der Ranch zu bleiben, geschehen seltsame Dinge über dem Gelände, die sich die Geschwister nicht erklären können. Mit Hilfe des Technikers Angel (Brandon Perea) hoffen sie, sie wenigstens in Bildern festhalten zu können, doch der Horror hat gerade erst begonnen …
Kritik:
Jordan Peeles Nope ist so schwer zu beschreiben, es mag womöglich besser sein, es gar nicht zu versuchen. Der Film beinhaltet Science Fiction-Elemente, ist zum Teil aber auch ein richtiggehender Horrorfilm, dann wieder Charakterdrama und mit so vielen Gesellschaftskommentaren gespickt, dass man ihn mehrmals gesehen haben sollte, um sie auch nur annähernd zu verstehen. Was klingt wie ein Vorwurf, ist lediglich die Schilderung einer ureigenen Handschrift und Vision des Filmemachers, dessen Werk sich nicht an Konventionen hält und darum einen Teil des Publikums verprellen dürfte.
Die Geschichte beginnt mit einem scheinbar inhaltlich losgelösten Teaser, der innerhalb der Story jedoch aufgegriffen wird und eines der Kernthemen verdeutlicht. Anschließend stellt das Drehbuch die Familie Haywood vor, die seit Generationen als Tiertrainer Pferde für Filme und Fernsehshows bereitstellt. Nachdem Familienoberhaupt Otis bei einem unerklärlichen Unfall ums Leben kommt, als es Metallstücke im freien Fall vom Himmel regnet, übernimmt dessen Sohn OJ. So groß sein Talent mit den Tieren, so gering beim alltäglichen Showgeschäft. Den Teil übernimmt seine Schwester Emerald, die sich aber hauptsächlich anderweitig engagiert. Als OJ nach und nach Tiere an den ehemaligen Kinderdarsteller „Jupe“ verkauft, der unweit der Haywood-Ranch einen Karneval mit Western-Attraktionen betreibt, entscheidet sich Emerald, zu bleiben. Doch dann geschieht erneut etwas Seltsames und OJ bekommt etwas zu sehen, das er sich nicht erklären kann.
Im Grunde sollte man mehr über Nope nicht verraten und ehrlicherweise würde jede Beschreibung ab diesem Moment nur wie zusammenhangloser Kauderwelsch klingen. Doch so seltsam die einzelnen Elemente der Geschichte auch anmuten, Peele verknüpft sie alle miteinander und stellt sowohl in OJ und Emerald wie auch in Jupe oder dem Technikverkäufer Angel Figuren vor, die mit ihrer Lebensplanung gescheitert sind und damit schnelles Geld machen wollen, dass sie sich mit etwas anlegen, das sie unmöglich verstehen, geschweige denn kontrollieren können. Dies ist ebenso Teil des sozialen Kommentars, wie das Vermächtnis eines afroamerikanischen Schauspielers und Stuntmans, der auf einem Pferd reitend auf dem ersten jemals gedrehten Filmclip zu sehen ist, der hier vorgestellt wird. So bedeutend der Moment für das Medium Film überhaupt, so oft werden farbige Darstellerinnen und Darsteller in großen Hollywoodproduktionen nur in Nebenrollen besetzt. Für einen Genrefilm deckt Nope sehr vieles ab, mehr, als Jordan Peeles letzte Filme Get Out [2017] und Wir [2019], von denen letzterer inhaltlich schwer nahbar war, aber dank der fantastisch greifbaren, zentralen Darbietung einen Zugang bot.
Einen solch einfachen Einstieg sucht man hier vergebens. Von Daniel Kaluuya und Keke Palmer ebenso fesselnd gespielt, wirken ihre Figuren unzugänglich. OJ ist nicht nur verschlossen, seine Motivation behält er so lange für sich, dass man sich fragt, weshalb er bleibt, anstatt – wie vermutlich die meisten aus dem Publikum – wegzulaufen. Emerald besitzt ein einnehmendes Wesen, aber auch ihre Absichten sind kaum greifbar. So macht es Nope schwer, den Figuren zu folgen und stellt gleichzeitig eine Geschichte vor, die sich geradezu unvorhersehbar entwickelt. Langsam, bedächtig aufgebaut, ist das faszinierend anzusehen, und nur schwer greifbar. Die Stimmung bei jener abgelegen lebenden Familie erinnert an M. Night Shyamalans Signs – Zeichen [2002], wenn die Bedrohung schlagartig zunimmt, jedoch an den Horror aus Brian De Palmas Carrie: Des Satans jüngste Tochter [1976] und durchaus an Der weiße Hai [1975]. Peele legt sich nicht fest, ist nicht auf Genrezuordnungen aus, sondern darauf, seine Vision zum Leben zu erwecken.
Aus dem Grund wird ein (vielleicht sogar großer) Teil des Publikums am Ende fragen, was all das soll, während andere die Einzigartigkeit der Erzählung feiern, die sich im letzten Drittel spürbar und packend entlädt. Worüber man sich einig sein kann ist die Tatsache, dass Nope hervorragend eingefangen ist. Die Bilder sind nicht nur erstklassig ausgewählt, durch das lange Halten einzelner Einstellungen, oft gerichtet auf die Figuren, steigt spürbar die Spannung, anstatt diese durch ständige Schnitte zunichte zu machen. Gerade deshalb entwickelt der Film solch packende Momente und eben dadurch interessiert das Schicksal der Figuren, auch wenn sie unnahbar erscheinen. All das macht Peeles bislang womöglich eigenwilligsten Film nicht verständlicher. Es erklärt aber hoffentlich, wieso er gerade deshalb fasziniert.
Fazit:
Der persönliche Ehrgeiz und das Bestreben, der Nachwelt dieses eine, perfekte Bild als persönliches Vermächtnis zu hinterlassen, wiegt für einen berühmten Kameramann innerhalb des Films so schwer, dass er dafür sogar sein Leben aufs Spiel setzt. Vergleichbar geht Filmemacher Jordan Peele zu Werke, der seine Geschichte als klassischen Genrefilm hätte erzählen können, sich aber entscheidet, abseits hiervon seine eigene Vision umzusetzen. Das ist kein Kritikpunkt, sondern bildet vielmehr die Grundlage dafür, dass Zuschauerinnen und Zuschauer das Ergebnis ganz unterschiedlich wahrnehmen werden. Der ruhige, atmosphärische Aufbau mit der intensiv spielenden Besetzung mag manchen zu lange dauern, andere werden von dem Nichtwissen um das, was OJ und Emerald hier erwartet, fasziniert. Nicht wenige Menschen werden die Nebenhandlung um eine Sitcom mit dem Affen Gordy unnötig finden, andere wiederum darin ein Spiegelbild der Verhaltensweisen der tragenden Figuren erkennen. Nope ist ein Film, der nicht nur einlädt, über seine Wirkung zu diskutieren, sondern bei dem sich die Diskussion mehr als lohnt. Regisseur Peele präsentiert handwerklich beeindruckend einen ungewöhnlichen Science Fiction-Horrorfilm in fantastischen Bildern, der sich von anderen Werken merklich abhebt und voll interessanter Ideen ein zentrales Design vorstellt, deren Einfallsreichtum Fans ebenso verblüfft, wie das letzte Drittel mitreißt. Diese Vision muss einem nicht gefallen, aber dafür, dass er sie konsequent verfolgt, sollte man ihm gratulieren. Dabei ist Nope als Geschichte weder so packend oder gesellschaftlich aufwühlend, wie seine letzten Arbeiten, aber immens ideenreich und auch dank der tollen, mitunter bedrohlichen, dann wieder unheimlichen Umsetzung mehr als lohnenswert.