Kommissar Wisting: Eisige Schatten [2019]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. Dezember 2020
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: Wisting: Episode 1 bis 5
Laufzeit: 178 min.
Produktionsland: Norwegen
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Trygve Allister Diesen
Musik: Ole Bo, Jacob Groth, Sören Möller
Besetzung: Sven Nordin, Thea Green Lundberg, Carrie-Anne Moss, Mads Ousdal, Richie Campbell, Gard B. Eidsvold, Lars Berge, Kjersti Sandal, Ulrikke Hansen Døvigen, Irina Eidsvold Tøien, Jonas Strand Gravli


Kurzinhalt:

Es ist kurz vor Weihnachten, als in der norwegischen Stadt Larvik eine verweste Leiche gefunden wird. Die Ermittlungen führen Kommissar William Wisting (Sven Nordin) und sein Team auf die Spur des seit 20 Jahren verschwundenen, amerikanischen Serienmörders Robert Godwin. Zur Unterstützung entsendet das FBI die Special Agents Maggie Griffin (Carrie-Anne Moss) und ihren Kollegen John Bantham (Richie Campbell). Die weiteren Nachforschungen gestalten sich schleppend, bis Wistings Tochter, die Journalistin Line (Thea Green Lundberg), bei Recherchen zu einem Nachbarn, der monatelang tot in seiner Wohnung saß, der Verdacht beschleicht, dass ihre Story und der Fall ihres Vaters miteinander verbunden sein könnten. Dabei läuft den Ermittlern zusehends die Zeit davon …


Kritik:
Im verschneiten Larvik in Norwegen wird eine Leiche inmitten einer Baumschule entdeckt. Die Spur weist die Ermittler um Kommissar Wisting in die USA, von wo aus zwei FBI-Agenten entsandt werden, die norwegischen Behörden zu unterstützen. Die Geschichte von Jørn Lier Horsts Roman Eisige Schatten [2013] klingt überaus vielversprechend. Der erste Fernsehauftritt des Titel gebenden Kommissar Wisting hingegen, lässt am Ende viele Wünsche offen, was auch daran liegt, dass die Macher das Publikum unterschätzen.

Dabei mögen viele Kritikpunkte dem Umstand geschuldet sein, dass der gleichnamige Roman der insgesamt neunte um den norwegischen Kommissar Wisting ist, während dies der erste Fall ist, den selbiger in filmischer Form zu bestreiten hat. Ursprünglich als fünf jeweils 45 Minuten dauernde Teile gedreht, wird die Miniserie für den deutschen Markt als zwei eineinhalbstündige Spielfilm-Krimis präsentiert. Entsprechend fehlen Szenen, die zusammen genommen knapp eine ganze, 45 Minuten lange Episode ergeben würden. Dabei handelt es sich nach Rückmeldung des deutschen Verleihs Release Company – a division of WDR mediagroup – nicht um eine im engeren Sinne gekürzte Fassung. Vielmehr wurden beide Schnittfassungen unmittelbar von der norwegischen Produktionsfirma erstellt. Während der Krimi im deutschen Fernsehen als zweiteiliger TV-Film präsentiert wurde, strahlte die britische BBC beispielsweise alle fünf Episoden aus. Da die Abschnitte, die für die heimische Veröffentlichung der Schere zum Opfer gefallen sind, bedauerlicherweise nicht auf der Heimvideoveröffentlichung, wenigstens als gelöschte Szenen enthalten sind, mag es durchaus sein, dass zahlreiche der nachfolgenden Kritikpunkte nicht auf die längere Version zutreffen.

Der Leichenfund in Larvik ruft den in der Bevölkerung bekannten Kommissar Wisting auf den Plan. Weshalb er selbst im Spa von anderen Anwesenden erkannt wird, verrät Eisige Schatten dabei nicht. Dafür wird angedeutet, dass der Witwer im vergangenen Jahr seine Frau verloren haben muss – was ihn und seine beiden erwachsenen Kinder spürbar belastet. Die Verbindung der Leiche in die USA weckt das Interesse des FBI, das zwei Agenten entsendet: Die von Carrie-Anne Moss publikumswirksam gespielte Maggie Griffin und John Bantham. Die Hinweise verdichten sich, dass ein in den Vereinigten Staaten seit 20 Jahren gesuchter Serienmörder inzwischen in Norwegen tötet und für das Verschwinden Dutzender junger Frauen verantwortlich ist. Für sich genommen würde diese Story bereits für einen packenden Krimi ausreichen. Mit einer Nebenhandlung um Wistings Tochter Line, die als Journalistin an einem Artikel um einen in seiner Wohnung verstorbenen Nachbarn arbeitet, dessen Leiche erst nach Monaten gefunden wird, baut der Krimi jedoch ein zweites Standbein auf, das wenig überraschend schließlich mit dem ersten zusammengeführt wird.

Bis es soweit ist, bekommt das Publikum lange Einstellungen einer stellenweise kargen norwegischen Landschaft zu sehen, die nichtsdestotrotz eine kühle Schönheit besitzt. Viele Perspektiven kopfüber, von oben, nehmen bewusst Tempo aus der Erzählung und mit zahlreichen Nebenfiguren, sei es im Rahmen von Lines Recherchen oder Wistings Ermittlungen, stellt Eisige Schatten genügend Charaktere vor, um ein dichtes Netz aus falschen Fährten aufbauen zu können. Doch weiß der Krimi leider kaum etwas daraus zu machen.
Das Aufeinanderprallen der norwegischen und amerikanischen Ermittler führt ein paar Mal zu den üblichen Vorwürfen, dass die FBI-Agenten lieber bewaffnet in den Einsatz gehen, anstatt sich deeskalierend um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu bemühen. Entsprechend wird ihnen eine Cowboy-Mentalität vorgeworfen, anstatt wenigstens anzusprechen, dass sich die norwegischen Ermittler, die mehrmals Einsätze für private Belange abbrechen, unzureichend ausgestattet einer lebensbedrohlichen Situation gegenüber sehen. Ausgewogen oder objektiv erscheinen beide Beobachtungen nicht. Nebencharaktere wie der privat belastete und impulsive Ermittler Hammer tragen schließlich nichts zum Fall selbst bei und entwickeln sich auch nicht. Selbst über Hauptfigur Wisting erfährt man wie bereits gesagt kaum etwas.

Dass der Täter selbst kaum beleuchtet wird, ist ein Versäumnis, das man noch akzeptieren kann, doch dass das Publikum keinen Einblick erhält, was Wisting für ein Mensch ist, wie seine Methode bei den Ermittlungen oder Zeugenbefragungen aussieht, sich Eisige Schatten über weite Strecken kaum um die Ermittlung selbst zu drehen scheint, ist enttäuschend. Der langsame Aufbau mit den vielen Nebenhandlungen scheint daher letztlich nirgendwo hin zu führen und wäre in dieser epischen Breite auch nicht notwendig, wenn nicht wenigstens die Charaktere in dieser Zeit definiert werden.
Die erwartungsgemäße Überschneidung der beiden Erzählstränge um Wistings Ermittlungen und den Recherchen seiner Tochter, ist hierbei symptomatisch für das Selbstverständnis der Geschichtenerzähler, die dem Publikum offenbar zu wenig zutrauen. Nicht nur, dass diese Entwicklung mit ihrer letztlichen Zuspitzung der Situation, lange absehbar ist, sie wäre in vielerlei Hinsicht vermeidbar, würden sich Vater und Tochter ganz normal unterhalten. Doch scheint das Drehbuch wiederholt Wege zu suchen, dass dieser Fall nicht eintritt.

Deutschsprachige Interessentinnen und Interessenten erwartet bei der Heimvideoveröffentlichung von Kommissar Wisting im Verleih von Release Company – a division of WDR mediagroup – neben dem zweiteiligen Eisige Schatten auch der ebenfalls in zwei eineinhalb Stunden aufgeteilte Fall Jagdhunde. Neben einer deutschen Sprachfassung in 5.1-Surround Sound ist auch eine Stereo-Tonspur sowie der Original-Ton in norwegisch und englisch (nur Stereo) enthalten. Eine Hörfilmfassung (ebenfalls nur Stereo) ist dankenswerter Weise ebenso vorhanden wie eine Untertitelspur für hörgeschädigte Menschen. Die deutsche Synchronisation wartet bei Hollywood-Schauspielerin Carrie-Anne Moss erfreulicherweise mit der bekannten Stimme von Synchronsprecherin Martina Treger auf. Darüber hinaus lässt die Synchronisation jedoch merklich Räumlichkeit und Ambiente vermissen. Ob die Figuren in einem Haus oder auf einem freien Feld stehen, die Stimmen hören sich stets an, als stünden die Sprecher im Tonstudio. Außer Trailern zu anderen Produktionen ist bedauerlicherweise kein Bonusmaterial enthalten, dafür gewinnt die Optik dank des Bildverhältnisses von 2,35:1 merklich an Kinoflair. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Bild insgesamt sehr weich erscheint und die Farbgebung teils innerhalb einer Szene von einem Schnitt auf den anderen von warm zu kühl oder zurück springt, als wäre die Farbtemperatur nicht richtig abgestimmt. Diese Details sorgen schließlich dafür, dass Wisting, wie die bis dahin teuerste Fernsehserie Norwegens prägnant betitelt ist, trotz des filmischen Looks nicht über das Niveau einer Fernsehproduktion hinauswächst.

Was somit bleibt, ist ein ruhig erzählter Krimi, bei dem erst in der letzten Stunde eine Dringlichkeit aufkommt, dass die Ermittler zügig die Lösung finden müssen, um einen weiteren Mord zu verhindern. Bis dahin erwarten das Publikum atmosphärische Bilder einer kühlen Landschaft. Das bietet für sich genommen seinen Reiz, fällt aber auch hinter anderen skandinavischen Krimis insbesondere hinsichtlich Spannung und Dramatik merklich zurück.


Fazit:
Gibt der Krimi zum Ende hin ein spürbar flotteres Tempo vor, lässt Regisseur Trygve Allister Diesen erkennen, welchen Eindruck dieser Einstand um den Titel gebenden Kommissar hätte hinterlassen können. Dann ist der Polizist selbst merklich investiert, und das Publikum entwickelt ein Gespür dafür, was für ihn auf dem Spiel steht. Doch ausgerechnet beim Finale, dessen Idee durchaus spannend ist, wenn auch inhaltlich absehbar, erweisen sich Figuren, die bis dahin einfallsreich und natürlich waren, als einfältig und weltfremd. Wenn ein Serienkiller eine an die Wand gelehnte Leiter hinaufläuft, um zu einem hinaufzuklettern, was sollte einen davon abhalten, die Leiter einfach nach hinten wegzudrücken und den Bösewicht zu Fall zu bringen? Kommissar Wisting: Eisige Schatten lässt seinem Publikum viel Zeit, über solche inhaltlichen Ungereimtheiten nachzudenken. Durchaus atmosphärisch umgesetzt, mit faszinierend kalt-rauen Landschaftsaufnahmen, ist der Krimi bis auf stellenweise uninspirierte Zooms routiniert inszeniert. Doch so interessant auch Wisting selbst als Figur sein mag, er erscheint vor allem deshalb profillos, weil die Geschichte ihn zu wenig definiert. Immerhin behält er sich auf diese Weise das Potential, in dem kommenden Fall Ecken und Kanten hinzuzugewinnen. Man würde es sich wünschen.


Wisting-Packshot Kommissar Wisting: Eisige Schatten (1+2) und Jagdhunde (1+2) ist seit
13. November 2020 als Blu-ray, DVD und digital von
WDR mediagroup / Release Company erhältlich!
Urheberrecht des Bildes liegt bei
WDR mediagroup / Release Company.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung.