Hereditary – Das Vermächtnis [2018]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. April 2018
Genre: Horror / Drama / Fantasy

Originaltitel: Hereditary
Laufzeit: 126 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Ari Aster
Musik: Colin Stetson
Darsteller: Toni Collette, Alex Wolff, Gabriel Byrne, Milly Shapiro, Ann Dowd, Mallory Bechtel, Zachary Arthur


Kurzinhalt:

Nach dem Tod ihrer Mutter Ellen ist deren Tochter Annie (Toni Collette) selbst überrascht, wie nahe ihr der Verlust geht. Beide hatten trotz – oder auf Grund – der tragischen Familiengeschichte kein gutes Verhältnis, auch wenn Annie die sich sonderbar verhaltende Frau bei sich hat wohnen lassen. Ellen hatte sich um Annies junge Tochter Charlie (Milly Shapiro) bemüht, die sich nun noch seltsamer verhält als sonst. Charlies älterer Bruder Peter (Alex Wolff) und Annies Mann Steve (Gabriel Byrne) scheinen mit der Situation besser klarzukommen. Doch beschleicht Annie das Gefühl, als wären sie in dem Haus nicht mehr allein. Nachdem die Familie erneut von einer Tragödie heimgesucht wird, wandelt sich Annies Vermutung zunehmend zu einer fürchterlichen und bedrohlichen Gewissheit …


Kritik:
Das allererste Bild, das Regisseur Ari Aster seinem Publikum in Hereditary – Das Vermächtnis zeigt, ist eine Todesanzeige. Es setzt die Stimmung für einen der unheimlichsten, atmosphärischsten und seltsamsten Horrorfilme der letzten Jahre. Es ist ein Film, in dem die darin vorgestellte Familie Graham kaum vorstellbares Leid erleben muss. Der wahre Horror, so schlimm das klingt, ist hier das Überleben. Doch so gelungen das Spielfilmregiedebüt dabei über weite Strecken ist, das Ende, das sicher kontrovers diskutiert werden wird, lenkt das Geschehen in eine unerwartete Richtung. Ob das eine weise Entscheidung ist, muss jeder für sich entscheiden.

Zwei Dinge gibt es, die dem aufmerksamen Publikum bei Hereditary bereits ab dem ersten Moment auffallen werden. Da ist zum einen der permanente Bass, der selbst dann die Lautsprecher zum Schwingen bringt, wenn sonst kein Geräusch zu hören ist. Es ist ein überaus manipulatives Stilmittel, das unter anderem bereits David Finchers Sieben [1995] so effektiv hat werden lassen. Das niederfrequente Geräusch sorgt auf unterbewusster Ebene für ein Unwohlsein, dessen Abwesenheit man in bestimmten Moment förmlich zu spüren bekommt. Zum anderen schimmert durch die Perspektiven und die surreale Musik von der allerersten Szene an etwas Unheimliches von der Leinwand, das man nicht in Worte fassen kann, dessen Präsenz aber nichtsdestoweniger greifbar ist.

Im Zentrum der Erzählung steht die Familie Graham. Annies Mutter ist gerade gestorben und auch wenn sie nie eine gute Beziehung zu ihr hatte – zuletzt umso weniger, obwohl die verschlossene, unter Demenz lebende Frau lange Zeit in Annies Haus gelebt hat – spürt sie den Verlust. Ihr Mann Steve versucht sie zu unterstützen, während ihre Kinder Peter und die jüngere Charlie selbst nicht zu wissen scheinen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Annie, die Miniaturhäuser und -szenerien baut, die auf Messen und dergleichen ausgestellt werden, verarbeitet in ihrer Arbeit immer wieder Szenen aus ihrem Alltag. Charlie, die Annies Mutter unter ihre Fittiche genommen hatte, verhält sich dabei stets sonderbar und mitunter geradezu verstörend. Das liegt nicht nur an den ständigen Schnalzgeräuschen, die sie mit dem Mund macht, sondern auch an Zeichnungen, die sie in ihrem Notizbuch fertigt.

Hereditary ist geprägt von langen und langsam aufgebauten Einstellungen. Die Perspektiven erinnern dabei nicht von ungefähr an die Miniaturhäuser, die Annie baut und sehr oft, vor allem in der zweiten Filmhälfte, hat man das Gefühl, man würde selbst als Beobachter in den Querschnitt eines solchen Miniaturmodells blicken. Dass die Einrichtung stellenweise einen unwirklichen Eindruck macht, die Größenverhältnisse der Möbel und Figuren sowie die Abstände nicht so recht zu passen scheinen, verstärkt diesen Eindruck noch. Die Ausleuchtung ist absolut hervorragend, setzt meist auf natürliche Lichtquellen und trägt ungemein zur beunruhigenden Atmosphäre bei.
Die ist so dicht und durchgehend, dass mitunter ein einzelnes Geräusch, das nicht einmal laut eingespielt wird, ausreicht, um den Puls in die Höhe zu treiben. Manche Momente und Ereignisse treffen einen so unvermittelt und unvorbereitet wie ein Schlag in die Magengrube. Steigert sich die Spannung innerhalb der Familie, hält man stellenweise buchstäblich die Luft an, um die Figuren nicht daran zu erinnern, dass man sie beobachtet.

Diese werden von einer Besetzung zum Leben erweckt, die passender nicht sein könnte. Für ihre nervenzerrende Darbietung der Annie hat Toni Collette eine Oscar-Nominierung verdient. Sie wirft sich mit einer Vehemenz in die aufwühlenden Szenen ihrer Figur, dass es mitunter beängstigend wirkt und auch im Nachhinein für Gänsehaut sorgt. Dem steht Alex Wolff in nichts nach, dessen Porträt von Sohn Peter ebenso preiswürdig ist. Allein seine Szene im Auto nach dem tragischen Unfall ist so intensiv verkörpert, dass man körperlich mitgenommen wird, wobei ihm in der zweiten Filmhälfte noch bedeutend mehr bevorsteht.
Bedauerlich ist allenfalls, dass Gabriel Byrne kaum gefordert wird.

Schon auf Grund der ruhigen Erzählweise und des langsamen Aufbaus eignet sich Hereditary nicht für ein großes Publikum. Wer hier mit Zuschauerinnen und Zuschauern im Kino sitzt, welche die Spannung durch ständiges Reden oder Ablenkung kompensieren müssen, wird sich vielmehr ärgern. Aber für das richtige Publikum in der richtigen Stimmung ist das einer der einfallsreichsten und verstörendsten Horrorfilme der letzten Jahre. Vor allem ist es einer der wenigen, bei denen man die Mythologie und ihre Gesetzmäßigkeiten im Laufe der Geschichte mit den Figuren entdeckt, anstatt sie lediglich in einem Dialog erklärt zu bekommen. Schade, dass Regisseur und Autor Aster dem nicht in letzter Konsequenz treu bleibt, sondern am Ende eine Erklärung liefert, die mehr auflösen soll, als notwendig wäre.


Fazit:
Auch wenn es im letzten Drittel merklich brutaler und absonderlicher wird, die Optik bleibt bestechend und verstörend-beunruhigend zugleich. Regisseur Ari Aster kleidet seinen Film in Bilder, die sich in bestimmten Elementen der Story widerspiegeln, ohne dass dies aufgesetzt erscheint. Dafür vereint er insbesondere mit Toni Collette und Alex Wolff zwei Darsteller vor der Kamera, die sich hier zu Höchstleistungen anspornen und deren Intensität einem tatsächlich einen Schauer über den Rücken jagt. Für Fans ruhig erzählten, atmosphärischen Horrors ist das, wenn auch etwas zu lang, eine Offenbarung. Das liegt auch daran, dass der Horror aus den Bildern und dem jeweiligen Moment entsteht und nicht durch billige Erschreckeffekte wie laute Geräusche hervorgerufen wird. Einzig das Ende erscheint – ohne etwas vorwegzunehmen – zu fantastisch-profan, sofern dies Sinn ergibt. Auch wenn Fragen bleiben, was die geballten Informationen in den letzten Minuten zu bedeuten haben, so viele Erklärungen wären gar nicht notwendig gewesen und zerren die Story merklich in eine andere Richtung. Das ist insofern bedauerlich, da Hereditary – Das Vermächtnis bis dahin eine Parabel für Vieles hätte sein können. Dennoch gibt es hier seit langem einen körperlich spürbaren, einfallsreichen und Furcht einflößenden Horror zu erleben. Aber nur für ein Publikum mit sehr starken Nerven.